Volltext: Liechtensteinische Wochenzeitung (1876)

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Man glaubt allgemein, daß eS sich um Zusammenziehung eines 
starken ObservationökorpS oder gar um Überschreitung der 
Save handelt. 
Franz Deak ist in der Nacht vom 23—29 gestorben. Er 
war 1803 zu Kehiva in Ungarn geboren, stuoirte die Rechte, 
war seit 1832 Führer der Opposition auf dem ungarischen 
Reichstag und 18-18 Justizmmister. Sein Wirken für das 
Zustandekommen des österreichisch-ungarischen Ausgleiches ist 
^ bekannt. 
Ueber die Sachlage in Serbien lauten alle von dort ein- 
treffenden Nachrichten, daß dieselbe nach und nach eine ver- 
zweifelte werde. 
So bringt die „N. Fr. Pr." einen ausführlichen Bericht 
über eine förmlich ausgebildete Verschwörung gegen den Für? 
sten Milan, dem zwei Parteien feindlich gegenüberstehen die 
monttnegrinische und die Partei deS Prinzen Peter Karageor- 
giewitsch. Fast noch düsterer ist daS Bild, welches ein an die 
„Polit. Korrefp." aus Belgrad vom 22. d. M gerichtetes 
Schreiben entfaltet. ES heißt nämlich: „Der Behauptung, 
daß wir unS zur Zeit hier im Zustand einer latenten Revolu- 
tion befinden, kann gewiß nicht der Vorwurf der Übertreibung 
oder Entstellung der thatsächlichen Verhältnisse entgegengestellt 
werden. Die AktionSpartei der Radikalen hat seit mehreren 
Wochen ganz entschieden die Oberhand gewonnen In Folge 
dessen stehen die Dinge in Wirklichkeit so: daß dem armen Für- 
sten, welcher aus mehr als einem Grunde die Achtung und 
Sympathie der zivilistrten Welt verdient, die Lage nachgerade 
über den Kopf gewachsen ist WaS er gegenüber diesen Ver- 
Hältnissen, welche die Sicherheit seines Thrones sehr sragü'ch 
machen, zu beginnen entschlossen ist, weiß in diesem Augenblick 
niemand. Die Konservativen, welche sehr wohl wissen, daß ein 
Thronwechsel gleichbedeutend mit einer Landeskatastrophe wäre, 
rathen zu einer Verfassungsänderung. Selbst Ristitsch, der Be- 
gründer der jetzigen politischen Aera, schreckt vor den Früchttn 
seiner Schöpfung zusammen und nähert stch den Konservativen, 
welche die Erkenntniß vertreten, daß Serbien bei den jetzigen 
Institutionen nicht länger alS monarchisches SmalSgebilde fort 
leben könne. WaS nützt aber die Ueberemstunmung in dieser 
Erkenntniß, wenn niemand Rath zu schaffen weiß, wie eS anzu- 
saugen wäre um aus diesem ChaoS mit beiler Haut heraus 
zukommen ? Niemand hat den Muth dem Fürsten eine rettende 
That anzurathen, niemand weiß wie eine solche in Szene zu 
setzen wäre und alles dieß, weil die Elemente, deren man 
dazu bedarf auch nicht die entfernteste Gewähr für emen glück- 
lichen Erfolg bieten Mit einem Wort: auf die bewaffnete 
Macht ist, mit Ausnahme einiger höheren Offiziere, nicht zu 
rechnen. Während aber so nach rettenden Hänoen und Thaten 
geseufzt wird, rumort eS in allen Eingeweiden deS fürchterlich 
aufgewühlten Landes fort und tritt die Revolut«onS- und KriegS-- 
partei täglich unverschämter auf Sie droht dem Fürsten gaüz 
offen: auch ohne ihn demnächst zur Aktton überzugehen Sie 
hat stch mit den verwandten Elementen in Rumänien in un- 
mittelbaren Contact gesetzt und man steht von dort beständig 
Sendlinge kommen und gehen. 
Von der bosnischen Grenze schreibt man der A. A. Ztg. 
vom 22. Jänner: Wenn nicht alle Anzeichen trügen, so gehen 
wir ernsten Ereignissen entgegen. Längs der ganzen österrei- 
chisch>türkischen Glänze sind gewisse militärische Vorbereitungen 
bemerkbar. Die Garnisonen von Esset und Petenvardein wer- * 
den bedeutend verstärkt und alles deutet darauf, daß man öfter- 
reichischerseitS auf alle Eventualitäten vorbereitet sein will. 
Diese militärischen Vorbereitungen Oesterreichs haben bei den 
Insurgenten in Bosnien eine gewisse Hoffnung erweckt, daß 
man vielleicht von Oesterreich irgendeine Unterstützung deS 
AufstandeS werde erhalten können. 
Die letzten Kämpfe in der Herzegowina waren bedeutender 
als man dieS anfangs veranlaßt war zu glauben. Nachdem 
eS den Insurgenten gelungen die aus Trebinje gegen sie kom- 
Menden türkischen Truppen am 17. Jan. in 3 Theile auseinan- 
ver zu trennen, haben sie die erste getrennte Abtheilung sogleich 
geschlagen und verjagt Mit den übrigen zwei Abteilungen, 
von denen eine umzingelt wurde, die andere sich aber in die 
feste Position zwischen Drijen und Zarina zurückzog, dauerte 
der Kamps mit einigen Unterbrechungen biS gestern. Die In- 
surgenten haben vorgestern in der Nacht vier türkische Schan- 
zen erstürmt und gestern die Türken auch aus der letzten, 
fünften, Schanz^ vertrieben. Die Verluste der Türken sind 
nach Angabe der Insurgenten ungeheuer. 
Rußland. Die Veränderungen in Rußland während der 
nun zwanzigjährigen Regierung des Kaisers Alexander werden 
wie folgt zusammengefaßt: Der Flächeninhalt des russischen 
Reichel hat sich um 35,347 Quadratmeilen vergrößert, so daß 
er jetzt 401,453 Q ladratmeiien beträgt; die Einwohnerzahl 
hat sich um 22,546,0(10 Seelen vermehrt und beträgt jetzt 
87,746,000 Die Staatsschuld hat stch um fast 50 Millionen 
Rubel vermindert und beziffert sich jetzt auf 1,494.070,791 
Rudel. Di? Staatseinnahmen sind um 295 Mill gestiegen u. 
betragen 559,361,197 Rubel Die Zahl der Fabriken hat sich 
von 9256 auf 18,892, ihre Produktionssumme von 157 Mill. 
Rubel auf 443 Mill Rubel, die Zahl der Fabrikarbeiter von 
456,000 auf 463.000 vermehrt Die Erträgnisse der Gold- 
Wäschereien sind von 23t Pud auf 2015 Pud gestiegen; da« 
gegen ist die Ausbeute der Silberbergwerke um 437 Pud, der 
Kupferbergwerke um t 55,330 Pud zurückgegangen Die Koh- 
ienbergwerke liefern heute 68 Millionen Pud mehr. Maaren 
werden heut um etwa 175 Millionen mehr, dagegen gemünzte 
edle Metalle um 10 Millionen weniger ausgeführt als vor 
zwanzig Jahren. Die Waareneinfuhr ist um etwa 260 Mill. 
Rubel, die Einfuhr edler Metalle um etwa 10 Mill. Rubel 
gestiegen. — Der bisherige Generalgouverneur von Turkestan, 
General Kaufmann, wird nicht mehr auf feinen Posten zurück- 
kehren, sondern vorläufig in St. Petersburg bleiben. Ueber 
seine weitere Verwendung ist bis jetzt noch nichts näheres be- 
kannt. Sein Nachfolger in der wichtigen Stellung eines Gou- 
verneurs in Mittel-Asien ist der General Kolpakowski. 
Italien. Peinliches Aufsehen erregen in ganz Italien 
die Enthüllungen über daS verbrecherische Treiben der Tunner 
Polizei, welches Epoche machen wird in ver traurigen Geschichte 
der so viel gerühmten, unverantwortlichen Sicherheitsbebörden, 
welche ihre Schüyempfohlenen auf das Ruchloseste während 
einer Reihe von Jahren auszubeuten wußten. Jahrelang hat 
man in Turin mit der Hefe der Gesellschaft, mit liederlichen 
Weibern, mit Kupplerinnen, mit autorisirten Proftitutionsan- 
stalten, mit Spielhöllen, mit Kneipen, welche dem schlechtesten 
Gesinde! zum Hauptquartier dienten, gegen bedeutende Sum- 
men paktirt, mit allen Erlaubnißscheinen den schmählichsten 
Handel getrieben, die Gefängnisse mit fingirten Arrestanten be- 
völkert, um die Regierung um die Unterhaltungskosten zu be- 
trügen; man hat eine kolossale Beschwindelung des Staats- 
schatzes erfunden, indem man die Bedürfnisse der Polizeimini- 
ster an Uniform, Schuhwerk, Feuerung künstlich steigerte und 
die Lieferanten zwang, für einen erheblichen Theil derselben baa- 
reS Geld statt Gegenstände gegen den enormen Wucherpreis 
von 40—50 Prozent auszufolgen. Der Polizeidirektor war 
der Hauptmann dieser sauberen Bande, der unterste Polizei- 
diener war das letzte Glied in der Verbrecherkette, welche un- 
ter dem Aushängeschild der höchsten Sicherheitsbehörde sechs 
oder sieben Jahre hindurch ihr frevelhaftes Spiel treiben konnte. 
Endlich gelang eS dem Stadtrath Tensi durch wiederholte öf- 
fentliche Anklage die Verbrecher an das Licht zu ziehen. Der 
Poli-eidirektor Vignani wurde verhaftet, die Gerichte mischten 
sich in die Sache, jetzt folgt eine Verhaftung der andern, eine 
noch schmachvollere Handlung verdunkelt die vorhergehenden.
	        

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