Volltext: Liechtensteinische Wochenzeitung (1876)

^genöthigt gesehen sich mit seinem Centrum von Schiljegowatz 
und Gredetin auf Kavnik zurückzuziehen. Nun wäre eS mög 
lich daß am 18. d. fein linker Flügel geworfen wurde, er aber 
mit dem früheren Centrum Schiljegovatz und Gredetin behal- 
ten und diese Stellungen erst am 19. verloren habe. Gelingt 
den Türken sich der Straße Dschunisch-Kruschewatz zu be- 
mächtigen, so erhält die Situation im Morawa-Thal eine ganz 
andere für sie günstigere Gestaltung, und dann können sie 
ruhig zusehen wie der nun wieder abgesetzte und durch Gene- 
ral Protitsch ersetzte Generalstabschef der Armee, Genera! Doc- 
toroff, die türkische Brücke bei Trnjnan deS Effekts halber bei 
Nacht — mit Dynamit sprengen läßt " 
Schweiz. Die „Schweizer Grenzpost", ein sehr beson 
nenes Blatt schreibt über die Gefahr eineS russischen Sieges 
4M BoSporuS: 
„ES ist der Fluch aller Weltmonarchien, von der Alexan 
ders von Macedonien bis zu der Napoleons I. herab, der noch 
-früheren gar nicht zu gedenken, daß sie unaufhörlich neue Er- 
oberungen anstreben müssen — gleichwie nach dem Dichtet das 
Böse fortzeugend BöseS muß gebären — bis sie eineS TageS 
über ihrer eigenen Last zusammenbrechen. Dieser Bruch kann 
sich aber oft lange verziehen, und unterdessen schmachten viele 
Millionen Menschen in Knechtschaft. So ist es ganz undenkbar 
daß Rußland, einmal im Besitz jener ungeheuren Macht, jener 
Offensivgewalt gegen Westen, die ihm zur Stunde noch man- 
gelt, diesen Westen werde in Ruhe lassen können. In erster 
Linie wird Oesterreich daran glauben müssen, dessen südslavische 
Länderstriche eS'von vornherein als verlorene Posten betrachten 
darf, sobald die Russen nur schon an der Donau sind. Nach- 
dem Oesterreich aufgehört hat ein SchutzwalZ gegen die moS- 
kowitifche Uebermacht zu sein, hat Europa den Koloß unmit 
telbar vor der Thür, und Deutschland, trotz aller seiner ge- 
waltigen Kriegsmacht, mag zusehen wie eS sich dann zumal 
-einer russisch - französischen Allianz erwehrt. Im glücklichsten 
Falle, nämlich wenn eS auch auS diesem kolossalen Kriege sieg- 
reich hervorgehen sollte, hätte eS einen Kampf um seine Exi- 
stenz zu kämpfen und müßte den Sieg unverhältnißmäßig theuer 
bezahlen, während heute noch mit leichter Mühe den Anfängen 
4« begegnen ist. WaS vollends in dem immerhin möglichen 
Falle daß Deutschland dem ungeheuren Anprall unterliegt? 
Dann ist daS Herz unseres ContinentS für lange Zeit kosakisch 
gemacht. Soll wirklich dieß daS Ziel und der Preis der fort- 
schreitenden europäischen Civilisation sein, daß sie wegschreite 
von ihren natürlichen Heimstätten und bei dem Mischmasch von 
Ueberkultur und Barbarei, welcher das Russenthum kennzeichnet, 
in die Schule gehe? Diese Perspektive ist durchaus kein Hirn- 
gespinnst, sondern eine natürliche Consequenz der russischen 
Politik; behalten wir aber für einmal nur die Balkan-Halb- 
insel und Kleinasien im Auge, und sehen wir, welcher unmit« 
telbare Gewinn diesen Ländern aus der russischen Eroberung 
erwachsen würde. Die Staatsverwaltung wird ohne Zweifel 
eine bessere werden als die heutige türkische ist, allein eS wird 
dann der verkörperte Absolutismus regieren, während gerade 
jetzt die begründete Aussicht vorhanden ist in der Türkei bis zu 
einem gewissen Grade die Selbstverwaltung der Provinzen und 
der Städte einführen zu können. In religiöser Beziehung herrscht 
in der Türkei bereits Glaubensfreiheit; mit dem Einmarsch der 
Russen wird die Propaganda der griechisch-katholischen Kirche 
kommen, deren Oberhaupt der Zar ist, ein mit ungeheurer 
weltlicher Macht ausgerüsteter Papst. Wie unduldsam und 
herrschsüchtig diese Kirche ist, und welche willfährige Unter- 
stützu.ng die fanatischen Popen an den weltlichen Behörden 
finden in dem Bestreben die Andersgläubigen in den Schoost 
der allein seligmachenden byzantinischen „Orthodoxie" hinein- 
zuzwängen, davon wissen die römischen Katholiken in Polen 
und die Protestanten in den Ostsee-Provinzen zu erzählen. 
Hand in Hand mit dieser nichts weniger als zivilisirten Po 
litik auf den ideellen Gebieten würden unfehlbar auch die eng- 
herzigen wirtschaftlichen Maximen der Russen ihren Einzug 
halten. Man weiß wie sorglich sich Rußland durch Schutz- u. 
Prohibitivzölle gegen außen absperrt. Nicht einmal die intime 
Freundschaft zwischen den Höfen von Berlin und St. PeterS- 
bürg hat den letztern bis jetzt bestimmen können in dieser Rich- 
tung dem befreundeten Preußen Zugeständnisse zu machen. Diese 
gleiche chinesische Mauer wird mit dem Einmarsch der Russen 
um die Türkei uud Kleinasien gezogen werden, und waS dann 
aus dem europäischen Export nach der Levante wird, an wel- 
chem unsere Schweiz so lebhast partizipirt, daS kann man sich 
unschwer vorstellen. Kurz, wohin man nur blickt, ergibt sich 
daß die angebliche Zivilisirung der Türkei durch die Russen 
dieser keine erheblich höhere Kultur bringen kann, in manchen 
Punkten sie vielmehr in der Richtung der Barbarei zurück- 
wirft und dem gebildeten und thätigen Europa unberechenbaren 
Schaden zufügt in Gegenwart und Zukunft." 
Neueste Nachrichten. 
Wie«, 24. Okt. Die Türken stehen seit den letzten glück- 
lichen Kämpfen unmittelbar vor Deligrad. DaS BelagerungS- 
geschütz soll schon unterwegs sein. Der Fürst von Montenegro 
erklärte den politischen Agenten der auswärtigen Mächte: er 
sei weder gegen Serbien verstimmt, noch beabsichtige er getrennt 
vorzugehen. — Das „N. W. Tagbl." behauptet daß nicht 
bloß eine Andrassy-, sondern auch eine Tisza-KrisiS im Anzug 
sei. — Der Fackelzug der Pester Studenten wird am Donner- 
stag abgebalten werden. 
Wien, 24. Okt. Die Dauer des Aufenthalts des Kaisers 
in Ungarn ist bis zum 4. Nov. verlängert. — Die neuerdings 
in Pest aufgetauchten Gerüchte vom Rücktritt des Grafen An- 
drassy sind grundlos. Die Morgenblatter fassen die Lage als 
eine bessere auf. 
Pest, 23 Okt. Die Studenten beschlossen dem türkischen 
Conful, trotz der Abmahnung Tisza'S, den projektiven Fackel 
zug darzubringen. Die Demonstration wird wahrscheinlich am 
Donnerstag stattsinden. 
Paris, 24. Okt. Die „Ag. HavaS" veröffentlicht nach 
stehendes Telegramm aus Konstantinopel, 23. Okt.: Zwischen 
dem General Zgnatieff und den übrigen Vertretern der Mächte 
findet ein lebhafter Austausch von Mittheilungen statt, trotz 
der Zurückhaltung welche die fünf andern Mächte zu beob- 
achten wünschen, um die Führung der Verhandlungen mit ver 
Türkei wenigstens vorerst Rußland allein zu überlassen. Be- 
treffS deS sechswöchigen Waffenstillstandes scheint die Pforte 
nachzugeben bereit, wofern eingewilligt würde daß der Waffen- 
stillstand um weitere sechs Wochen verlängert werde falls die 
Friedensbedingungen innerhalb der ersten Frist nicht geregelt 
würden. Betreffs der Konferenz gilt eS als zweifelhaft ob die 
Türkei, selbst wenn sie die bedingungsweise Verlängerung deS 
Waffenstillstandes und Vorbehalte wegen der Nationalität der 
mit der Überwachung der Ausführung ihrer Entschließungen 
betrauten Commissäre der Mächte erlangte, im voraus sich 
werde bereit erklären können sich den Beschlüssen einer Eon- 
serenz zu unterwerfen in welcher ihr eine berathende Stimme 
nicht zustände. 
Bukarest, 24. Okt. Aus Konstantinopel, 2t. Okt.' wird 
gemeldet: In der Versammlung der Botschafter betonte Ge- 
neral Jgnatiess die Notwendigkeit die aufgeregte Stimmung 
Rußlands dadurch zu beruhigen daß man die Pforte nöthige 
gewisse unumgängliche Conzessionen zuzugestehen. Rußland be- 
jfthe erstens auf einem sechswöchigen Waffenstillstand, zweitens 
auf der Autonomie Bosniens, der Herzegowina und Bulga- 
rienS, drittens auf Garantien. Der erste Punkt müsse unver- 
züglich erlangt werden, betreffs der beiden anderen würde eS 
einer Konferenz, auf welcher aber die Türkei nicht vertreten fein 
dürfe, zukommen die Bedeutung der Worte „Autonomie" und 
„Garantien" festzustellen.
	        

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