Volltext: Liechtensteinische Wochenzeitung (1876)

gelt, überhaupt eine Armee gebildet wird die alles russisch hat, 
nur nicht den Namen. Hier stoßen wir auf die empörendste 
Seite deö ganzen Krieges. Mit Noch und Müh: ist es den 
besten Männern Europa'S endlich gelungen den Krieg, soweit 
e& überhaupt möglich ist, zu humanifiren, durch die Stiftung 
deS rothen KreuzeS die KriegSgräuel einzuschränken. WaS die 
Genfer Convention an humanen Gesetzen geschaffen, erschien 
der russischen Regierung noch lange nicht genügend, sie schlug 
auf der bekannten Brüsseler Conferenz vor, jeden Paragra- 
phen deS KriegSrechteS mit Honigseim zu überziehen und jede 
Kriegserklärung vorher in Syrup zu tauchen. Und jetzt miß- 
brauchen tagtäglich, mit Zustimmung derselben russischen Re- 
gierung, Offiziere und Soldaten der russischen Armee die 
Privilegien deS rothen KreuzeS, durchziehen in hellen Hau- 
fen fremde Länder, den Neutralitätsgesetzen, dem Völker- 
recht offen Hohn sprechend. WaS thut eS, daß sie 
den Revolver und den Uatagan mitschleppen; daS rothe Kreuz 
heiligt diese Mordwaffen! Und diese entsetzliche Heuchelei, die 
schlimmer ist alS die bulgarischen Metzeleien, weil sie die euro- 
päische Kriegführung vergiftet und daS ganze alte brutale Kriegs- 
recht zurückzurufen droht, weckt im humanen Europa keinen 
Schrei der Entrüstung, kaum hie und da einen Tadel; die 
Stifter und Beschützer der Gesellschaft deS rothen KreuzeS tre 
ten nicht zusammen um einen Protest gegen solche Vorgänge 
wie sie kürzlich in Pest sich abspielten, zu verfassen, Rußland 
empfängt sogar Entschuldigungen daß man seinen Unterthanen 
gegenüber die Regeln der Genfer Convention anwenden wollte. 
Die rechte Antwort; über dem Gesetz, außer dem Gesetz, wagte 
niemand zu geben .... In dem serbischen Kriege tritt der 
PanslaviSmuS zum erstenmal auf den politischen Schauplatz, 
zum erstenmal übt er seine Kraft und zählt seine Anhänger. 
Ä5ir müssen bekennen daß er sich über die Erwartung stark 
zeigt, und daß eS für uns Deutsche bald an der Zeit sein 
dürfte mit ihm zu rechnen. An sich mag eS uns gleichgiltig 
fein wer auf der Balkan-Halbinsel herrscht. Der Halbmond 
hat längst seinen Glanz verloren, aber auch am Kreuze kleben 
im Orient Rostflecken. Und wenn spleenbehaftete Englander 
die Türken bis zum letzten Softa und Zaptie über den Hel- 
leSpont jagen wollen, fo mögen sie sich vorsehen daß nicht der 
Gegenruf erschalle: Heraus mit den Christen auS Asien! 
Schwerlich wird man für die Herrschast Europas in Asien 
bessere Rechtsgründe nennen können als sie die Türken in 
Europa besitzen. Erst daS siegreiche Auftreten der Panslavisten 
in Rußland weckt uns auS unserer Ruhe. CS mag im Augen- 
blick einzelnen russischen Staatsmännern passend dünken von 
den Sympathien Rußlands für das deutsche Volk zu reden, 
es mag sein daß dynastische Beziehungen noch eine Zeit lang 
den offenen Ausbruch der feindlichen Gesinnungen hindern wer- 
den. Wir wissen, daß in dem panslavischen Katechismus der 
Deutsche als Fremder und als Heide und Unterdrücker der 
Slaven dem Fluche preisgegeben ist, daß der Haß gegen die 
Deutschen in der Brust eines jeden Slaven tief eingegraben 
ist und mit jedem Jahr an Gift gewinnt, wir wissen endlich 
aus indiskreten Mittheilungen slavifcher Blätter, daß der 
Krieg gegen die Türkei nur als Probe und Vorspiel gilt, 
der Hauptkampf aber gegen die Magyaren und gegen die 
Deutschen vorbereitet wird. Und weil wir dieß alleS wissen, 
haben wir für dm Sieg der Serben, dieses panslavistischen Werk- 
zeugeS, keine guten Wünsche. Die Dankbarkeit, die uns an- 
geblich verpflichtet mit Rußland um jeden Preis vereint zu 
bleiben, obschon Rußland, wenn eS sein Interesse erheischt, die 
dankbaren Deutschen nicht um ein Haar besser behandeln wird 
als die undankbaren Oesterreicher, darf doch nicht fo weit ge- 
hen daß wir uns auch vor dem PanslaviSmuS schweifwedelnd 
krümmen. Wir zollen den Panslavisten die Anerkennung dafür 
daß eS ihnen gelungen ist, Rußlands Macht ihren Plänen 
unterthan zu machen, wir begreifen aber die Verblendung der 
russischen Dynastie nicht, die sich widerstandslos ihrem pansta? 
vistischen Gegner ergibt. Europa fürchtet sich vor Rußland 
und Rußland vor den Panslavisten. Sollte die Geschichte 
Europas wirklich mit dem Triumph der Ideen HertzenS und 
BakuninS schließen?" 
Rumänien. AuS Bukarest, 14. Okt., gehen der „Deut 
schen Ztg." folgende telegraphische Nachrichten zu: „Die ru- 
münische Regierung bereitet sich eifrigst auf alle Eventualitäten 
vor. Die unterbrochenen AssenNrungen wurden eiligst wieder 
aufgenommen. ES ist bereits die MobilisirungS-Ordre für 40.000 
Mann ergangen und steht die Einberufung weiterer 20.000 
Mann zu gewärtigen. In Zbraila ist ein englischer Dampfer 
mit 130 000 Oka Blei singelaufen, welche per Bahn nach 
Bukarest expedlrt wurden. Außerdem kam in Galatz eine Sen- 
dung von 25.000 Kilogramm Schwefel auS Marseille an, 
welche zugleich mit einer großen Menge Winterkleider für die 
Truppen nach Bukarest spedirt wurden. Die russischen Durch- 
züge welche, da die Durchzügler mit regelrechten Pässen ver- 
sehen sind, von der rumänischen Regierung nicht verhindert 
werden können, dauern in großartigstem Maßstabe fort. Durch- 
ziehende Kosaken, welche in Trupps bis zu 800 Mann zu 
Pferd und mit Waffen zur serbischen Armee stoßen, erzählen 
daß in Südrußland über 200.000 Mann konzentrirt sind und 
deren Durchmarsch durch Rumänien täglich zu erwarten steht. 
Hinsichtlich der sogenannten russischen Freiwilligen ist festgestellt, 
daß daS russische Kriegsministerium den Generalbefehl erließ 
daß von jedem Regiment durch das LooS hundert Mann ge- 
zogen werden, welche mit einem Handgelde von dreißig Ru- 
beln nach Serbien abgehen." 
Montenegro. Aus Ragusa, 13. Okt., gehen der Pol. 
Korresp. über das am J0. d. in dem montenegrinisch«» Be- 
zirke Bjelopawlitschi vorgefallene bedeutende Gefecht folgende 
Details zu: „Derwisch Pascha, welcher mit seinen sämmtlichen 
Truppen auf dem Vormarsche gegen Danilowgrad begriffen 
war, wurde auf den Hügeln bei Maliat von zwei montene 
grinischen Bataillonen in der Front erwartet, während zwei 
andere montenegrinische Bataillone derart günstige Stellungen 
in seinen Flanken einnahmen daß die türkischen Truppen ins 
Kreuzfeuer geriethen. Die Reserve der Montenegriner stand 
beiderseits im Thal, am Fuße der Anhöhen. Unter dem Schutze 
von vier Batterien und den Geschützen deS Forts unternahmen 
nun die türkischen Colonnen in der Stärke von 25 bis 30 
Bataillonen wiederholte Angriffe auf die montenegrinischen 
Stellungen. Die ersten drei Angriffe wurden abgeschlagen; dem 
vierten mußten die Montenegriner bei Maliat weichen. Die 
Flankenstellungen wurden jedoch von ihnen behauptet. Während 
der hartnäckigen Gefechte, die sich beide Parteien bei Maliat 
lieferten, hatten einerseits die Bewohner des montenegrinischen 
Bezirks von Piperi unter dem Serdar Jole Pitletitsch bei Ve- 
librdo mit großer Kühnheit über die Zeta gesetzt und daS tür 
kische Lager im Rücken angegriffen; andrerseits war der Woj- 
wode Marko Milanoff mit 5 Bataillonen von Kutschi gegen 
Podgoritza gerückt. Diesen mit Geschicklichkeit und zu rechter 
Zeit ausgeführten Diversionen haben eS die Montenegriner zu 
danken daß Derwisch Pascha, welcher sich genöthigt sah gegen 
Podgoritza und das Lager von Velibrdo zahlreiche Truppen 
zu detaschiren, in seinem Vormarsch aufgehalten wurde. Wie- 
wohl die Montenegriner, wie erwähnt, die Stellung von Ma- 
liat räumten, bezeichneten sie doch die berichtete Affaire als eine 
der glänzendsten dieser Campagne. Insbesondere wird der Um- 
sicht und Gewandtheit deS kommandirenden * Wojwoden Pla- 
menatz von Bozo Petrowitsch großes Lob gezollt. Die Mon- 
tenegriner beziffern ihren Gesammtverlust mit . 3 t Todten und 
57 Verwundeten. Der türkische Verlust wird auf Tausende ge- 
schätzt, und m<n gibt sich im montenegrinischen Lager der An- 
sicht hin daß dadurch die weiteren Operationen der Türken aus 
längere Zeit lahmgelegt seien.
	        

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