Volltext: Liechtensteinische Wochenzeitung (1876)

die zum Theil nachher wieder bei ihren Eltern sich eingefunden 
hätten. Herr Naring versichert. mehrere achtbare Bulgaren, 
selbst in Philippopel und anderSwo, hätten ihm erzäblt daß 
diese Erzählungen von öffentlichen Verkäufen reine Erfto« 
düngen seien. 
„DaS junge Weiber betrifft, so ist eine Anzahl derselben 
ohne Zweifel auS verschiedenen Dörfern durch BaschL-BozukS 
fortgeschleppt worden und wird in deren HaremS festgehalten; 
nach dem graustgen Gemetzel von Batak wurden z. B. 80 
junge Weiber und Mädchen nach den benachbarten muselmün- 
»tischen Dörfern geschleppt, wo ste sich noch befinden." 
Hinsichtlich deS Vorwurfs daß die Türken ihre Gefangenen 
der Tortur unterworfen hätten, sagt Herr Baring daß diese 
Frage schwer zu entscheiden , da die Aussagen äußerst wider- 
sprechend kauten. So hätten die Bulgaren in Philippopel be- 
stimmt behauptet daß die Zeugenaussagen vor den UntersucbungS- 
behörden durch Tortur erpreßt worden seien; während die Tür- 
ken eben so entschieden läugnen daß etwaS derart vorgekommen 
sei. Drei Leute hätten ihm indeß von persönlich erduldeten 
Torturen, in Aufhängen vermittelst eines eisernen RingeS, der 
um den Nacken gelegt wird, und Aushungern bestehend, be- 
richtet; Dr. VladoS dagegen, ein griechischer Gesängnißärzt in 
Bhilippopel, mit dem er den Gegenstand besprochen, habe er- 
klart: daß er allen diesen Erzählungen von Torturen keinen 
Glauben schenke 
Gefangene Bulgaren wurden jedenfalls häufig auf die 
brutalste Weise mißhandelt. Besonders geschah das 400 Leu 
ten, die schwer mit Kelten beladen von Bazardschik nach Phi- 
lipoppel marschiren mußten, und dort angekommen erbarmungS- 
loS von der Begleitungsmannschaft geschlagen und vom musel- 
männischen Pöbel beworfen und beschimpft wurden. Die Ge 
fangenen empfangen täglich 300 DramS (nicht ganz 34 Un 
zen) Brod, aber keine anderen Nahrungsmittel. Indessen muß 
man nicht vergessen, daß auch die türkischen Truppen auf 
ihrem Wege zum Kriegsschauplätze zwischen Konstantinopel und 
Risch keine Nahrungsmittel außer Brod erhalten." ; 
Die Erzählung, daß 40 Mädchen verbrannt worden feien, 
hat fich in Folge an Ort und Stelle, in Seloi-Neniköi, ange 
stellter Ermittlungen als falsch herausgestellt. Die Bewohner 
jenes Dorfes selbst, dem die Mädchen angehören sollten, laug- 
nen entschieden, daß so etwas vorgekommen sei. 
Der Berichterstatter stellt dann eine lange Untersuchung 
über die Zahl der umgekommenen Personen an, welche viel- 
leicht die größten Schwierigkeiten ergebe, und kommt zu dem 
Endergebniß: daß er nach möglichster Unparteilichkeit, ohne der 
tlebertreibung bezichtigt werden zu können, und ohne Dinge 
schwärztr zu malen als sie wirklich seien, sagen könne, daß in 
dem Sandschak von Philippopel 12,000 Personen umgekommen 
feien. 5000 seien allein wahrscheinlich in Batak, wo die 
schlimmsten Gräuel stattfanden, niedergemetzelt worden. 
Die Zahl der seitens der aufständischen Bulgaren getödte- 
ten Muselmänner sei eben so schwer genau festzustellen. Die 
schlimmsten Vetvaltthätigkeiten hätten die Bulgaren in Avrat- 
Alan begangen, wo sie mit kaltem Blut 72 Personen, den 
Mudir, seinen Sekretär, 64 Zigeuner und ein türkisches Mäd- 
chen massakrirt hätten. Im ganzen dürfte die Zahl der ohne 
Widerstand zu leisten niedergemetzelten Mohammedaner im 
Sandschak Philippopel 200 nicht übersteigen. 
1 Die Zahl der niedergebrannten Ortschaften schätzt Hr. 
Baring im Sandschak Philippopel auf 58, sowohl türkische 
alö christliche; ferner seien 4 Klöster zerstört. 
AuS der Einzelnschilderung der Zerstörungen ist der Bericht 
über Perustitza zunächst hervorzuheben, welchen Herr Baring 
einer dort ansässigen armenischen Frau verdankt. Er schließt 
die Erzählung desselben mit den Worten: „AuS all' den wi« 
versprechenden Aussagen kann man, glaube ich, sicher entneh- 
«ten daß AufstandSgelüste in Perustitza vorhanden waren, an 
drerseitS war aber die Strafe unverhältnißmäßig hart. Das 
Niederbrennen deS Dorfes war weder nothwendig.noch politisch 
und sicherlich kann die Plünderung weder hier noch anderSwo 
entschuldigt werden. In der Schule, welche während deS Ge» 
fechtet verbrannt wurde, kamen 2 Mädchen in den Klammen 
um. ES besteht kein ZwMl daß bei Abführung der Gefan- 
genen nach Philippopel zahlreiche Weiber auf der Straße ge- 
schändet wurden. 
„Ich habe jetzt einen Bericht zu geben von dem fürchter- 
lichsten Trauerspiel das während deS ganzen AufstandeS vor- 
fiel und über das bis vor sehr kurzer Zeit wenig oder nichts 
gesagt worden war. Die Medschliß von Tatar - Bazardschik 
hörten daß in dem Dorfe Batak Borbereitungen zu einem Auf- 
stände geschahen und befahlen Achmet Agha von DoSpat eS 
anzugreifen. Diese Persönlichkeit verband sich mit Mohammed 
Agha von Dorkowa und ging an die Ausführung der Be- 
fehle. Im Dorf angekommen, forderte er die Einwohner zur 
HerauSgebung der Waffen auf, was sie auS Mißtrauen ver- 
weigerten. Ein leichtes Gefecht, folgte und dauerte zwei Tage, 
ohne daß auf einer Seite Verlust war. Am 9. Mai sahen die 
Einwohner daß eS ihnen schlecht ginge und daß keine Hilfe 
nahte. Sie hatten eine Besprechung mit Achmet, und dieser 
schwur feierlich daß, wentt sie nur ihre Waffen ablieferten, kein 
Haar ihres Hauptes angetastet werden sollte. Eine Anzahl der 
Einwohner benützte zum Glück diese Besprechung zur Flucht. 
Die Bauern glaubten AchmetS Eide und lieferten ihre Waffen 
ab. Dieser Forderung aber folgte eine Forderung alles Geldes 
im Dorfe, und auch das mußte zugestanden werden. Kaum 
aber war das Geld gegeben als die Vaschi-BozukS auf daS 
Volk losgingen und die Leute wie Schafe abschlachteten. Eine 
große Anzahl — wahrscheinlich 1000 bis 1200 — flüchtete 
in die Kirche und den Kirchhof, der mit einer Mauer umgeben 
; war. Die Kirche selbst ist ein festes Gebäude und widerstand 
allen Versuchen der Baschi-BozukS sie von außen niederzubren« 
nen; so feuerten sie durch die Fenster hinein, stiegen auf daS 
Dach, rissen die Ziegel ab und warfen brennende mit Petro- 
leum getränkte Stücke Holz und Lumpen unter die Masse der 
unglücklichen Wesen. Zuletzt ward die Thüre eingesprengt, die 
Ermordung vollendet und das Innere der Kirche verbrannt. 
Kaum einer entfloh auS diesen tödtlichen Mauern. Die einzige 
Person die ich finden konnte war eine alte Frau, die allein 
von einer Familie von sieben Personen noch da war. AlS die 
Thür eingebrochen ward und sie unmittelbaren Tod erwartete, 
nahm ein Türke ste bei der Hand und sagte: „Komm, Alte 
ich will dir nichts zu leide thun", führte sie weg und rettete 
ihr daS Leben. DaS Schauspiel welches Kirche und Kirchhof 
darbieten, muß gesehen werden, um eS beschreiben zu können ; 
kaum ein Leichnam ist begraben worden; wo einer fiel, da liegt 
er jetzt, und mit Schwierigkeiten findet man seinen Weg zur 
Kirchthür, deren Eingang von einem schreitichen, über die 
Schwelle ausgestreckten Leichnam versperrt wird. Ich besuchte 
pieseS Thal deS TodeS am 3l. Zuli, mehr als zwei und einen 
halben Monat nach dem Mord, aber noch war der Gestank 
so überwältigend, daß man kaum seinen Weg in den Kirchhof 
erzwingen konnte Auf den Straßen lagen bei jedem Schritt 
menschliche Ueberbleibsel, faulend und dörrend in der Sommer- 
sonne; hier der Schädel eines alten WeibeS mit dem grauen 
Haare noch daran; da die falsche Flechte eines unglücklichen 
Mädchens, das durch einen Batagan zerhauen war. Das 
Haupt das von der Flechte geschmückt gewesen war, hatten 
wahrscheinlich einige der Hunde, welche bis dahin die einzigen 
Gassenkehrer gewesen waren, weggetragen zur Verzehrung. 
Gerade außerhalb deS Dorfes zählte ich mehr als 60 Schä- 
del in einer kleinen Höhle, und eS war aus ihrem Anblick klar 
daß fast alle von den Körpern durch Aexte und AataganS 
getrennt worden waren. Aus den Ueberbleibfeln weiblichen 
Schmuckes die umhergestreut lagen, ist klar daß viele der hier
	        

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