Moment hervorheben. Ich war heute Vormittags Zeuge einer
interessanten und rührenden Szene, welche an jene entsagungs-
sollen Akte in der Geschichte erinnert, da Frauen ihren
Schmuck und die Zierden ihrer Häupter auf dem Altar deS
Baterlandes opferten. Trommelschlag lockte mich in den Vor-
Mittagsstunden zur „Scharschia", einem der belebtesten Plätze
von Belgrad, wo unter dem Leinwanddach eineS Kaffeehauses
ein städtischer Beamter in Uniform Platz genommen hatte;
neben ihm war ein Tambour postirt; eine zweite Amtsperson
fungirte als Ausrufer.
Die Licitation galt den Schmuckgegenständen, welche patri
otische serbische Frauen dem Aerar zu Kriegszwecken gewidmet
hatten. Die wohlhabenderen serbischen Frauen tragen hier Kopf-
bedeckungen, die über und über mit Dukaten oder mit kleinen
türkischen Goldstückchen, die man hier „RubieS" nennt, benäht
find. Diese Goldstücke waren alle von den Kopfbedeckungen
abgelöst und dem patriotischen Zweck gewidmet worden. Außer-
dem sah ich größere türkische Münzen, die als BerloqucS ge-
dient hatten, in Gold ausgeführte Heiligenbilder, die nun unter
den Hammer kamen. Eine große Anzahl von „Serafim" (Geld-
Wechsler) umstand das improvisirte Verkaufslokal und kaufte
die Werthfachen zusammen. Man erwartet übrigens hier für
die nächsten Tage entscheidende Vorgänge. Minister Ristitsch
ist auS dem Hauptquartier zurückgekehrt, und man glaubt, daß
die vielbesprochene Seeschlange der „Mediation" doch endlich
<mS dem (&i schlüpfen werde. Die Kriegslust eineS Theilö der
Bevölkerung ist jedoch diesen Plänen hinderlich; denn zu einer
Ergebung auf Gnade oder Ungnade, zu einer Initiative um
Erbittung eineS Waffenstillstandes will man sich nicht verstehen.
Das Volk wiegt sich hier in der Hoffnung, daß nach dem
neuesten „geheimen Plane" TschernajeffS die Türken bei Knja-
fchewatz in eine Falle gelockt wurden, und daß sie dort
von den beiden operirenden serbischen Armeen aufgerieben
werden. Die Entsatzarmee von Nisch vergißt man hier freilich.
Ueberhaupt scheint hier die Menge die wunderbare Stylistik
der hiesigen offiziellen Kriegsbulletins nicht gut zu verstehen,
oder ist sie so schlau ihre Meinung vor den hier weilenden
Fremden zu verbergen. Als nach zwei langen, bangen Tagen
deS Wartens der ominöse Rückzug der Serben nach Banja
verkündigt wurde, war äußerlich gar keine Bewegung oder
Niedergeschlagenheit bei den hiesigen Bürgern zu bemerken, von
denen allerdings einige und, wie eS heißt, die wohlhabenderen
allen Schicksalsschlägen, von denen das Land lnSher betrof
fen wurde, weniger betheiligt sein sollen, da sie — um hier
den Gegensatz zu der oben erwähnten Opferwilligkeit vieler
Krauen hervorzuheben — uur mit Widerstreben an der Kriegs-
Anleihe sich betheiligten und ihre wehrfähigen Söhne frühzeitig
außer Land geschickt haben. Dafür wimmelt eS jetzt hier von
Russen. Russische Wärterinnen und Aerzte, russische Offiziere
und sonstige Männer auS Rußland, deren Mission mir aller-
dingS nicht bekannt ist, erfüllen alle Gaffen.
Montenegro. Die „Weser Zeitung" erhält aus Cetinje
folgende Schilderung der Schlacht bei Vrbitza-Wut-
schidol:
„Die türkische Bevölkerung hatte sich Nikita zwar aus
dessen Vormarsch unterworfen, als sie aber nun von Achmed
Mukhtar Pafcha's Waffenerfolgen hörte, erhob sie sich allent-
halben wieder, und die Montenegriner mußten auf Schritt und
Tritt befürchten in einen Hinterhalt zu fallen. Dort, wo die
Hochebene von Nevesinje in die von Gatzko übergeht, breitet
sich die Trusina-Planina aus, und hier war eS wo der be-
kannte Führer der Aufständischen, Peko Pawlowitsch, mit seinem
auf dem Rückzüge begriffenen Herrn und Meister zusammen-
traf. Bei Wutschidol oder eigentlich etwas oberhalb des OrteS
und der gleichnamigen Schlucht brachte Achmed Mukhtar
Pascha am frühen Morgen deS 28. Juli die Montenegriner
zum Stehen. Der türkische Kommandant verfügte über Iis
x
Bataillone Infanterie und 12 GebirgSgeschütze. Nikita'S Leute
kletterten wie Ziegen die Bergabhänge hinauf, und hatten eS,
Dank ihrer vortrefflichen Terrainkenntniß, bald dahin gebracht,
daß sie Achmed MukhtarS Streitkraft rings umzingelten, und
zwar so, daß sie alle gedeckten Positionen auf den Berghöhen
einnahmen, während die Türken, zu einem Haufen geballt,
tief unten im Kessel standen. In dieser für Achmed Mukhtar
Pascha höchst ungünstigen Situation wurden bis gegen halb
neun Uhr Morgens heftige Dechargen gewechselt, die Monte-
negriner, die kaum zu sehen waren, erlitten während dieses
Theils deS Kampfes fast gar keine Verluste, während die den
feindlichen Kugeln völlig preisgegebenen Türken sehr viele
Todte hatten. Die Kanonen konnten gar nicht in Thätigkeit
treten. Als nun die Montenegriner um die angegebene Stunde
merkten, daß die Türken, erschöpft durch den aussichtslosen
Kampf, bereits Miene machten sich in südwestlicher Richtung
gegen Bilek zurückzuziehen, da stürzten sie von allen Seiten
mit dem Handschar in der Faust in den Kessel herab, und
warfen sich auf die wankenden türkischen Truppen. Ein sürch-
terlicheS Gemetzel begann nun. Nur vier Bataillone, die auf'
der Seite von Bilek am Ausgange des Kessels standen, konn-
ten ziemlich unbehelligt das Weite suchen, und sie benutzten
denn auch die günstige Gelegenheit um ihre Kameraden im
Stich zu lassen und sich in Sicherheit zu begeben. Dem Rest
der Truppen Achmed Mukhrar Pascha'S wurde übel mitge-
spielt."
Italien. Eine jüngsthin von dem Ministerium für Acker-
bau u. s. w. veröffentlichte statistische Uebersicht der Heirathen
innerhalb deS Königreichs pro 1874 wirft ein trauriges Licht
auf den Stand der allgemeinen Schulbildung in Italien. Bei
einer Gesammtzahl von 207,997 vor der Civilbehörde voll-
zogenen Heirathen, von denen 63,146 auf die städtischen und
144,852 auf die ländlichen Bezirke fielen, haben die Boll-
ziehungSakte nur in 46,984 Fällen von beiden Theilen unter-
zeichnet werden können; in 47,696 Fällen war die Braut, in
6318 der Bräutigam deS Schreibens unkundig ; in 106,999
Fällen waren weder Bräutigam noch Braut im Stande, den
Akt selbst zu unterzeichnen. Dem Prozentsatze nach schwankt
in den 69 Provinzen Italiens die Zahl der „Analfabeti" von
24 auf 90 auf je 100 Verlobte, und zwar ist das günstigste
Resultat in der Provinz Turin, daS ungünstigste in der Pro-
vinz Potenza in Kalabrien zu Tage getreten.
AuS der angeführten Uebersicht entnehmen wir noch die.
folgenden Angaben: Die Zahl der Geburten belief sich 1874
auf 951,658, drei Prozent weniger als 1873. Die Zahl der
Unehelichen und Ausgesetzten unter diesen beläuft sich auf mehr
als 69,000. „Auch in diesem Zahre," setzt der Bericht hinzu,
„weisen Umbrien und die Marken den bei weitem größten
Prozentsatz an unehelichen Geburten auf."
Schweiz. Betreffend daS Attentat auf den Sohn deS
russischen Reichskanzlers, den Fürsten Michael Gortschakoff, den
außerordentlichen Gesandten des Kaisers von Rußland in
Bern, gehen folgende nähere Mittheilungen zu: DaS Attentat
fand gestern Abend bei der Rückkehr deS Fürsten auS dem
Sommertheater auf dem „Schänzli" nach seiner unterhalb deS-
selben außerhalb der Stadt gelegenen Wohnung statt. Die
Dame, eine geborne Russin, hatte dem Fürsten offenbar auf-
gelauert; erst nachdem sie- mit einem Blick durch ihr Augen-
glaS (ich von semer Person überzeugt hatte, zog sie das Pistol
hervor und feuerte den Schuß auf denselben ab, glücklicher-
weise ohne ihn zu treffen, wie bereits Ihren Lesern bekannt.
Die Verhaftung der Dame nahm der Wrst selbst vor mit
Hilfe eineS bei ihm sich befindenden Herrn, mit dessen Hilfe
er sie dann auch nach dem nächsten Landjägerposten am Aar-
berger Thor brachte, wo ein vorläufiges Verhör mit ihr vor-
genommen wurde. Rache soll sie, als das Motiv zu ihrer
That angegeben haben.