mindesten Bedrückungen und Härten von diesen erfahren; denn
seit 1827 ist Serbien ein vollständig unabhängiges Land, das
nur einen geringen jährlichen Tribut (zirka 360,000 Mark)
die Pforte zahlte, in welchem sonst aber die Türken nichts
mehr zu befehlen hatten, die ja außer einer Besetzung in der
Citadella in Belgrad, die 1868 abzog, gar nicht im Lande
weilten. So können nur die Erinnerungen an daS, was
einst ihre Väter von den OSmanen erdulden mußten, nicht
ober die eigenen erduldeten Leiden die Serben in diesen an-
geblich heiligen Kampf treiben. Und warum sollten vollends
diese serbischen Milizen jetzt so nachhaltig begeistert bleiben, da
ja im Fall eines Sieges nichts in allen Verhältnissen des
Landes (nach ausgesprochenem Willen der europäischen Diplo-
matie) verändert wird, als daß Fürst Milan vielleicht einige
Distrikte in Bosnien und Bulgarien -erhält und keinen Tribut
mehr nach Konstantinopel zu zahlen braucht, dafür aber eine
zehnmal größere Summe für die Verzinsung der aufgenomme-
nen Staatsschuld verausgaben muß, im Falle einer Niederlage
aber Alles wahrscheinlich beim Alten bleibt, und nur die bis-
her geordneten serbischen Finanzen sich im Zustand der größten
Zerrüttung befinden werden.
Und sollen die russischen Intriganten, die Hunderte von
früheren italienischen, österreichischen und auch deutschen Ofst-
ziere, welche jetzt in serbische Dienste getreten sind, vielleicht
patriotische Begeisterung, religiösen Fanatismus und selbstlose
Aufopferung für diesen sogenannten „heiligen Kampf" empstn-
den?! Der kleinere und bessere Theil aller dieser fremden Ofst-
ziere ist aus persönlichem Ehrgeiz und aus dem Wunsch, ihre
militärischen Erfahrungen zu bereichern, jetzt in serbische Dienste
getreten, manche auch als Lust an Krieg, Kriegsleben nnd
allen möglichen Abenteuern; die meisten aber, weil sie zu
Hause doch ohnehin eine unglückliche Existenz führen müssen,
vielfach wegen Schulden oder anderweitiger Unzuträglichkeiten
den heimatlichen Dienst zu quittiren gezwungen waren und
im schlimmsten Fall nichts als das nackte Leben zu verlieren,
im glücklichen Fall aber Beute, Sold und höheren bleibenden
Rang zu gewinnen haben. Von irgend einer Begeisterung für
Serbien und nun gar für den ihnen vollständig unbekannten
und höchst gleichgültigen Fürsten Milan kann bei diesen Kon-
dottieri der Neuzeit doch nicht die Rede sein.
Und nun gar, wenn erst Mißerfolge eintreten, wie löst
sich dann in überraschender Schnelligkeit das ohnehin nur zu
lockere Band der * oberflächlichen Kameradschaftlichkeit, welches
alle diese abenteuerlustigen und beutegierigen Offiziere, im
Glück wenigstens, nothdürftig zusammenhält; und gegenseitiges
Mißtrauen, Neid, Verklatscherei, Tadelsucht, ja selbst offenbare
JndiSziplin und frevelhafte Jnfubordation treten in widerlicher
Weife hervor, und rauben solchen Offizierkorps jede Tüchtig-
keit, jeden militärischen Werth und den letzten Rest von Ein-
fluß und Ansehen bei ihrer Mannschaft Ich möchte es jetzt
wohl mit ansehen, wie sich diese blasirten russischen Offiziere,
welche an den willenlosensten Gehorsam ihrer Soldaten ge-
Wöhnt sind, mit den undiSziplinirten, freiheitsstolzen serbischen
Milizen zurecht finden, und wie die durch ihr steteS Schwadro-
niren und Renommiren in den Kaffeehäusern der italienischen
Großstädte verbummelten ehemaligen Garibaldianer, zu den
ernsthaften schweigsamen, Kultur und Zivilisation kaum dem
Namen nach kennenden serbischen kleinen Grundbesitzern paffen
mögen, welche man jetzt gegen ihren Wunsch und Willen noth-
gedrungen zu Hauptleuten in den Milizbataillonen machen
mußte, weil sie wenigstens die ersten Anfangsgründe der edlen
Kunst des Lesens und Schreibens verstehen und vielen sozialen
Einfluß auf die untersten Volksklassen ihrer Heimatsorte besitzen.
Kann man den Zeitungsberichten aus Serbien trauen, so
sollen auch schon Zwietracht und Unordnung in bedenklicher
Weise in der serbischen Armee, herrschen, die bei allen undis-
ziplinirten Schaaren beliebten Schlagworte „Verrätherei" und
„Bestechlichkeit" daselbst schon erschallen, und der serbische Ge-
neral Stratimirowitsch, ein bekannter österreichischer Freischaaren-
führer auS dem ungarischen Krieg von 1849, der sich durch
seine wilde Grausamkeit gegen die besiegten Magyaren berüch
tigt machte, in offener Insubordination gegen den russischen
General Tschernajeff begriffen gewesen sein. Auch die auS allen
möglichen Elementen bunt zusammengesetzten serbischen Freikorps
mit den lächerlich - prahlerischen Namen „heilige Schaar",
„KorpS der Rache" u. s. w. sollen in offenem Hader und
Zank mit den gewöhnlichen Milizbataillonen leben, wie dieß
auch gar nichts anders zu erwarten stand.
Seit dem 15. Juli hat die Türkei aufgehört ein abfolu-
ter Staat zu sein und ist in die Reihe der konstitutionellen
Monarchien getreten. An dem genannten Tage fand an der
Pforte eine große Rathsversammlung von mehr als 100
Personen, hohen Würdenträgern statt, in welcher der von
Midhat Pascha aufgesetzte Gesetzentwurf einer Konstitution
verlesen und zur Berathung gebracht wurde. DaS Resultat
der Abstimmung war, wie ein Korrespondent der A. A. Ztg.
auS Poca mittheilt, eine mit weit überwiegender Mehrheit
erfolgte Annahme deS Entwurfs dem Prinzip nach, d. h. die
Versammlung beschloß daß dem Reich eine Landesvertretung
gegeben werde, in welcher die Vertreter jedem Kultus ange-
hören können. Was nun die weiteren Details betrifft, z. B.
aktives und passives Wahlrecht, Zahl der Deputirten, Befug-
nisse der Landesvertretung u. f. w., so soll eine Kommission,
auS Mitgliedern des StaatsratheS bestehend, den vorgelegten
Entwurf prüfen und über etwaige Modifikationen desselben
Vorschläge machen. Die Zahl der Deputirten ist dem Ver-
nehmen nach auf 80 bis 120, d. h. auf 2 oder 300,000
Einwohner 1 Deputirter, festgesetzt.
Heber die Einzelheiten dieser großen Berathung theilt der-
selbe Korrespondent Folgendes mit: Der Großwessier eröffnete
die Sitzung mit einem langen Vortrag, in welchem er die
Lage des Reiches in kräftigen Zügen schildert. Unter der vor-
hergehenden Regierung sagte er, seien ^alle Zweige der Ver-
waltung in die äußerste Verwirrung gerathen. Eine maßlose
Verschwendung habe nicht nur alle Hülsöquellen deS so reichen
Landes völlig erschöpft, sondern auch dem Land eine Schulden-
last von 200 Millionen Lire aufgebürdet, und unter den
jetzigen Verhältnissen sei man leider in der Lage weder Zinsen
noch Kapital abtragen zu können. In einem großen Theil von
Rumelien herrsche Krieg und Aufruhr, und die Kurzsichtigkeit
der Regierung habe diese Uebel zu einer solchen Höhe heran-
wachsen lassen, daß es der Anspannung der äußersten Kräfte
bedürfe um diese Uebelstände zu bemeistern. Der beständige
Wechsel der höheren und niederen Beamten, meistens ohne alle
Ursache und lediglich aus reiner Willkür vorgenommen, habe
in allen Theilen des Reiches auch selbst den Gedanken an
Reformen und Verbesserungen beseitigt. Dazu komme daß die
so oft mit Feierlichkeit verkündeten Versprechungen niemals
ernstlich gemeint waren, so daß von allen diesen Versprechungen
nichts ausgeführt sei. Dieser Umstand habe bei allen euro-
päischen Regierungen ein tiefeS Mißtrauen gegen die türkische
Regierung erzeugt, was nicht nur auf die finanziellen Verhält-
nisse verderblich eingewirkt, sondern auch im allgemeinen dem
Ansehen der Pforte geschadet habe. Se. Majestät der Sultan
habe in einer Proklamation bei seinem Regierungsantritt ernst-
liche Reformen anbefohlen, und das Ministerium beauftragt,
ihm solche Vorschläge zu machen, welche am besten geeignet
wären, die trostlose Lage des Landes zu verbessern und den
europäischen Regierungen und den Staatsgläubigern genügende
Sicherheit zu geben, und als einziges Mittel habe die Regie-
rung die Verleihung einer Konstitution erkannt, wodurch na-
mentlich die Finanzverwaltung einer strengen Kontrole unter-
worfen und den Mißbräuchen der Verwaltung ein Riegel vor-
geschoben würde. Der Sultan habe die Gleichstellung aller