Volltext: Liechtensteinische Wochenzeitung (1876)

sprechen. Man sollte glauben, daß sie • beim Studium der 
französischen Geschichte den 2 Dezember als das vollkom- 
mene Borbild friedlicher und konstitutioneller Reformen gewählt 
haben. Ütr letzte Sultan galt für eine Kreatur Rußlands; 
er Wird abgesetzt, eingesperrt, selbftgemordet, und England 
triumphirt. Der neue KriegSminister, ein wahrer Türke von 
dem alten Schlage, war entschlossen, die von Rußland unter- 
haltene Insurrektion mit den Waffen zu unterdrücken. Da 
kommt ein Tscherkesse, der ihn niederschießt, und Rußland hat 
seine Revanche. Also gesäubert, gehört M Platz jetzt der 
jungen Türkei und der Verfassung!" 
Murad V ist jetzt von allen Großmächten anerkannt. 
Ferner wird amtlich gemeldet, daß Mukhtar Pascha einen neuen 
BerproviantirungSzug nach Niksic mit Erfolg ausgeführt habe, 
daß der Aufstand in Bulgarien ausgerottet sei und daß die 
Aufständischen in Bosnien und der Herzegowina Willens feien 
" sich zu unterwerfen. Wir brauchen kaum noch zu erwähnen, 
wie wenig türkische Berichte auf Zuverlässigkeit Anspruch er- 
heben können. 
Serbien. Bei der gegenwärtigen Lage der Dinge dürfte 
eS von Interesse sein einen Bericht mitzutheilen den die „Polit. 
Korr." auS Belgratz, 21. d., erhält. Er lautet: ^Mit heutigem 
Tag find alle Dispositionen getroffen worden, daß bis zum 
27. d. die gesammte Armee in ihre strategischen Aufstellungen 
einrücken solle. Wie wohl man annimmt, daß dieser Tag — 
der 487. Jahrestag der berühmten Schlacht von Kossovopolje 
— zur Überschreitung der Gränze ausersehen sei, kann ich 
positiv versichern, daß man noch nicht so weit sei. Wenn eS 
zum Bruch mit der Pforte kommt, was allerdings sehr wahr- 
scheinlich, deßhalb aber noch keineswegs unvermeidlich ist, so 
dürfte die kriegerische Aktion kaum vor den ersten Tagen deS 
Zuli ihren Anfang nehmen. Dagegen dürfte Fürst Milan 
Anfangs nächster Woche mit einer Proklamation, welche einem 
Kriegsmanifest gleichkäme, von der Hauptstadt Abschied nehmen 
und sich zur Armeee nach Deligrad begeben. Seit den letzten 
48 Stunden hat sich hier ein großer Umschwung vollzogen, 
dessen innere Motive sich jetzt noch schwer darlegen lassen. 
Ohne das äußerste auf diplomatischem Wege versucht zu haben, 
wollte man nicht an die Waffen appelliren. Fürst Milan 
versprach in seiner AntwortSnote an den Großwesster einen 
Spezialdelegirten zu schicken, um eine Verständigung zu suchen. 
Ehristitsch, der destgmrte Delegirte, stand schon mit einem Fuß 
im Dampfer als er plötzlich Contre-Ordre erhielt. Die Sisti- 
rung seiner Mission ist das erste Ergebniß deS hier seit länger 
alS acht Tagen wüthendea Kampfes zwischen den Einflüssen 
Rußlands und Englands. Daß eS aber schließlich doch seine 
großen Schwierigkeiten haben dürfte den Kriegsausbruch zu 
verhindern, geht aus den vom Goldenen Horn hier einlaufen- 
den Meldungen zur Genüge hervor. Die Pforte will selbst 
von gewissen geringen Eonzessionen nichts wissen; wie soll sich 
da ein friedliches Arrangement erzielen lassen, da man umge- 
kehrt hier wieder mit belanglosen Zugeständnissen die öffentliche 
Meinung nicht zufriedenzustellen im Stande wäre. Nach den 
bereits von der Nation geforderten und gewährten Opfern 
wäre eS für den Fürsten die reine Unmöglichkeit zum Status 
quo snw zurückzukehren. Seine Stellung wäre dann ernstlich 
gefährdet." — Der „Zastava", dem Organ MiletitschS, wird 
über die militärischen Maßregeln welche die serbische Regierung 
ergriffen Hat, sowie über die Streitkräfte, über welche Serbien 
in dem gegenwärtigen kritischen Augenblick verfügt, folgendes 
geschrieben: Ein fürstlicher UkaS brachte die Ernennung deS 
Generals Zach zum Kommandanten der westlichen Morava- 
Division. Diese ist mit allem versehen. Die Magazine sind 
mit zehntägigen und Reserve-Borräthen für die Verpflegung, so 
auch mit Zwieback und Conserven versehen. Weiter wurde 
allen WirthShäusern^ sowohl in den Orten wie an den Heer» 
straßen, der Auftrag ertheilt sich mit Vorräthen an Mehl, 
Heu, Hafer, Holz, Getränken u. f. w. zu versehen. Alle 
HauSthiere: Pferde, Schweine, Schafe, Ziegen und Rindvieh 
sind namentlich verzeichnet und dürfen bis auf weiteres weder 
verkauft noch aus dem Bereich der Gemeinde ohne Befehl ge- 
führt werden. Jeder Soldat hat eine dreitägige Reserve- 
Verpflegung mit sich zu führen, welche erst auf höhern Befehl 
angegriffen werden darf. Gestern ist an das DivisionS-Konu 
mando ein telegraphischer Befehl eingetroffen, worin es heißt, 
daß Serbien aufgehört habe ein Vasallenstaat zu sein und den 
Sultan nicht mehr als Suzerän anerkenne. In Veschitza 
werden mit noch zu erwartenden BoSniaken an sechstausend 
Freiwillige versammelt sein. Die Freiwilligen haben bereits den 
KriegSeid abgelegt, und 4 GebirgSkanonen wurden ihnen zu- 
gewiesen. An der Drina stehen 2000 Freiwillige mit 3 
GebirgSkanonen und 50 PontonS. In Kruschewatz stehen 
4000 Freiwillige. Die Freiwilligen sind mit Nahrungsmitteln 
auf 5 Tage versehen. Die Zwangsanleihe wird auf dem 
Lande mit allen der Regierung zu Gebote stehenden Mitteln 
eingetrieben. Die serbische Armee ist folgendermaßen bewaffnet: 
Infanterie: erste Klasse mit Pidov-Gewehren, zweite Klasse mit 
Grinov-Gewehren, dritte Klasse mit den alten Gewehren; ein- 
zelne Mannschaften werden außerdem mit Schanzzeug versehen. 
Artillerie: mit schweren, leichten und GebirgSkanonen; von 
den 3 Feldbatterien stehen eine in Tschatschak, zwei in Kawno- 
watz Eine GebirgSbatterie befindet sich in Milanovatz, eine 
in Jvanice. Das FestungSgeschütz steht in Tschatschak. Die 
Reserve-Division zählt 36 Geschütze und erwartet dieser Tage 
eine Mörserbatterie. Die Artilleristen sind mit Gewehren und 
Säbeln, die Unteroffiziere mit Revolvern bewaffnet. Kaval- 
lerie: Gut beritten, mit Säbeln ausgerüstet, erwartet demnächst 
die AuStheilung von Revolvern. Pioniere: mit Brückenequi- 
pagen und Schanzzeug wohl versehen, führen auch Schußwaffen. 
Das erste Aufgebot ist militärisch uniformirt, die übrige Mann- 
schast trägt nur die vorschriftsmäßige Kopfbedeckung. Die 
Morawa-Division zählt 26 Bataillone erster und zweiter Klasse, 
3 Feld-, 2 GebirgSbatterien und 4 Stück Belagerungsgeschütze, 
4 Escadronen Kavallerie, 1 Bataillon Pioniere und den 
nöthigen Train. Die serbische Armee zählt 2 Generale, ferner 
im Generalstabe 24, in der Genietruppe 46, in der Artillerie 
113, in der Infanterie 205, in der Cavallerie 43, in der 
SanitätStruppe 29, zusammen 462 Offiziere. 
Bosnien. Uiber die letzten Äefechte in Bosnien liegt 
folgender Bericht aus Zassenovatz, 16. Juni, vor: „ Dießmal 
waren die Insurgenten der angegriffene Theil. Gegen 3000 
derselben lagerten auf dem Abhang der Bergkette Kosaratz, 
welche sich, südlich von der Dubitza und Unna, südwestlich 
hinziehen und bis nach Banjaluka verzweigen. Am halben 
Wege, beiläufig zwischen dieser Stadt und Priedor (welches 
in Folge eines Maffacre'S der Christen eine traurige Berühmt- 
heit erlangt hat) liegt ein kleines Dorf NamenS Zelovatz. 
Hier fand daö Gefecht statt. Die Türken von Priedor, Costai- 
nitza, Dubitza, Banjaluka und dem größeren Theil der umlie- 
liegenden Dörfer erfuhren die Anwesenheit der Insurgenten 
aus den Abhängen deS Kosaratz, und in einer Versammlung 
der BegS wurde der Beschluß gefaßt einen äußersten Versuch 
zu machen, um wo möglich die Ausständischen zu vernichten. 
In der That vereinigten sich gegen 5000 Türken auS den 
genannten Dörfern in Waffen und rückten auf verborgenen 
Pfaden gegen die Stellung der Insurgenten vor. Dieß ge- 
schah langsam und mit großer Vorsicht, und da die Türken 
darauf gefaßt waren daß sie einige Tage zu dieser Expedition 
brauchen würden, nahmen sie entsprechende Vorräthe mit, und 
konnten daher auf den schlechten durch die heftigen Regengüsse 
der früheren Woche arg verdorbenen Wegen nur sehr schwer 
vorwärts kommen. Die Hälfte derselben waren Bäschi-BozukS, 
die anderen Söhne der mohammedanischen BegS. Die Hoff- 
nung der Türken die Insurgenten zu überrumpeln wurde nicht
	        

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