Volltext: Liechtensteinische Wochenzeitung (1875)

DaS Briefchen lag vor. Es war auf hellrotheS Papier 
in zierlichem Format geschrieben und enthielt die Einladung 
zu einem verliebten Stelldichein, in allgemeinen Ausdrücken 
abgefaßt und ohne Unterschrift. Als der Ort des Stelldich- 
eins war eben jene Bank bezeichnet, wo man den Leichnam 
gefunden hatte. 
Der dunkle Zusammenhang deS Verbrechens ward mit dem 
Vorlesen dieses Briefchens lichter. Man sah klar, hier war 
mit teuflischer List und Schlauheit zu Werke gegangen} der 
oder die Verbrecher hatten die schwachen Seiten ihres leichtfer 
tigen Opfers gekannt u. gut benutzt, indem sie ihn mit diesem 
Briefchen zu dem Orte seines Todes hingelockt. 
Der Präsident rief einen neuen Zeugen auf. ES war ein 
Knabe. Er sagte auS, an jenem Abende (er erinnerte sich dessen 
genau, weil am Morgen darauf die Geschichte der Ermordung 
in aller Leute Munde war) habe ein Herr ihm ein Stück Geld 
gegeben u. ihm aufgetragen, einem, andern Herrn, den er ihm 
zeigen würde, ein rotheS Briefchen zu geben. Darauf habe er 
sich mit dem Unbekannten unter einen Baum, unfern der Thüre 
deS Spielsaals gestellt und dort hätten sie gewartet. Endlich 
sei ein Herr aus dem Spielsaale getreten — als es schon ganz 
dunkel gewesen — der Unbekannte habe ihm zugeflüstert: „der 
ist'S!" Er, der Knabe, hätte dem Herrn dann daS Briefchen 
gegeben, worauf sich dieser dem Fenster deS erleuchteten Spiel- 
saals genähert und da das Briefchen gelesen habe. Er, der 
Knabe/habe sich dann nach dem Unbekannten umgesehen, allein 
dieser sei verschwunden gewesen, und er sei auch davon gelau- 
fen. Wo der Herr hingegangen sei, dem er daS Briefchen ge- 
geben, wußte der Knabe nicht. Doch meinte er, der Herr müsse 
nach dem Park gegangen fein, denn er habe auf dem Wege 
nach Hause hinter sich Niemanden kommen hören. 
Der Präsident forderte den Knaben auf, die beiden Ange- 
klagten anzusehen u. zu sagen, ob er in einem von ihnen den 
Unbekannten wieder erkenne, der ihn mit Abgabe deS BriefchenS 
beauftragt habe. Der Knabe prüfte beide — erklärte dann, so 
etwa wie die beiden Angeklagten habe der Unbekannte auSge- 
sehen, allein er könne nichts Bestimmtes sagen. 
Die Angeklagten waren beide junge Männer von oberfläch- 
licher Aehnlichkeit in Gestalt und Haltung. 
Der Präsident rief jetzt einige Sachverständige auf, um die 
Handschrift des Briefchens zu prüfen. Sie erklärten, diese 
Handschrift sei eine absichtlich verstellte, man erkenne deutlich 
daS Bemühen, die Eigenthümlichkeiten einer weiblichen Hand- 
schrift nachzuahmen, doch sei ste für eine solche nicht zu hal- 
ten. Darauf wurden den Sachverständigen Schriftproben der 
beiden Angeklagten vorgelegt und sie aufgefordert, diese mit 
dem Briefchen zu vergleichen, ob sich eine Aehnlichkeit heraus- 
stellte. Die Sachverständigen erklärten die Handschrift Theo- 
baldS für eine 'Unleserliche, wie ste Gelehrte häufig zu haben 
pflegten, dagegen die FriedhelmS für eine gewandte, auSgebil- 
dete. Ein bestimmtes Urtheil ob einer der Beklagten daS 
Briefchen geschrieben habe, wagten sie auS der Vergleichung 
der Handschriften nicht zu fällen. 
AlS letzter Belastungszeuge trat der Wirth auf, dem die 
Pistole gehörte. Dr erkannte die auf dem Tische liegende 
Waffe für die seinige an und erklärte, daß die Angabe Theo- 
baldS, wie er zu der Pistole gekommen fei, wohl wahr sein 
könne. 
ES ward jetzt zur Vernehmung von Schutzzeugen geschritten. 
Friedhelm hatte zu tiefem Zwecke mehrere laden lassen, welche 
bekunden sollten, daß sie ihn mit dem Ermordeten hätten Ecart6 
spielen sehen. Eine bestimmte Aussage war von .diesen Zeu- 
gen nicht zu erlangen. Sie erinnerten sich wohl, den Beklag- 
ten hier und da gesehen zu haben, einige wollten ihn auch 
Ecarts haben spielen sehen und bestritten die Möglichkeit nicht, 
daß er mit dem Engländer gespielt habe, allein ein unbeding 
tes Zeugnis* # daß Friedhelm an dem verhängnißvollen Tage 
von ihnen gesehen worden sei, legten sie nicht ah. 
Theobald hatte Anfangs keine Schutzzeugen laden lassen, 
indessen wider seinen Willen ^war von seinem Bertheidiger der 
Kaufmann, für welchen Theobald hauptsächlich jene Erbtheil- 
ungSangelegenbeit betrieben, veranlaßt worden, als Schutzzeuge 
aufzutreten. Allein dieser konnte nur ein LeumundSzeugniß 
abgeben und er bekundete, daß er Theobald als einen streng 
rechtlichen Mann kenne, den er jedes Verbrechens für. unfähig 
halte, ja daß er ihm selbst daS Vergehen WS Spiels nicht so 
hoch anrechnen würde, um ihm sein Vertrauen ganz zu ent- 
ziehen. 
DaS Zeugenverhör war damit zu Ende. Der StaatSan- 
walt begann seinen Vortrag. Nach einer allgemeinen Einlei- 
tung über daS Entsetzliche deS Verbrechens suchte er die Schuld 
der Angeklagten zu beweisen. Friedhelm sei ein Spieler von 
Profession, was niemals ;alS ein Zeichen besonders sittlichen 
Charakters angesehen werben könne. Theobald solle zwar frü- 
her ein unbescholtener Mensch gewesen sein, allein nach seinem 
eigenen Geständniß habe er mit ihm anvertrautem Gelde ge- 
spielt und verloren, und die Erfahrung lehre, daß der auf der 
Bahn deS Verbrechens furchtbar schnell fortschreite, der den 
ersten Schritt einmal gethan. 
(Fortsetzung folgt.) 
Verantwortlicher Redakteur u. Herausgeber: Dr. Rudolf Schädler. 
Kornpretse vom Fruchtmarkt in Bregenz vom 7. Mai. 
Der halbe Metzen 
beste 
mittlere 
geringe 
% 
kr. 
st 
kr. 
st. 
kr. 
Korn 
3 
40 
1 3 
15 
3 
05 
Roggen . . . . j 
2 
80 
2 
60 
2 
50 
Gerste ..... 
2 
70 
2 
50 
2 
30 
Türken .... 
2 
80 
2 
50 
2 
20 
Hafer 
1 
70 
1 
60 
1 
50 
Thermometerstand nach Reaumur in Vaduz. 
Monat 
Morgens 
7 Uhr 
Mittags 
12 Uhr 
Abends 
6 Uhr 
Witterung. 
Mai 5. 
+10% 
+*2% 
+ 8'/2 
trüb; Reg. 
„ 6. 
+ 6% 
+15% 
+15 
hell 
„ 7. 
—|—10 
+19 
+ 11% 
trüb; Reg. 
„ 8. 
+ 9y 4 
+17 % 
+ 14 
fast trüb 
H 9. 
+ 9 
+ 19 
+ I8V2 
hell 
„ 10. 
+10 
+22% 
+16% 
fast hell,Ncht.Rg. 
„ 11. 
+10 
+13 
+13% 
halb hell. 
Telegrafischer Kursbericht von Wien. 
12. Mai Silber 102.90 
20-Frankenstücke . . 8 91 ^ 
Druck von Heinrich Graff in Feldkirch.
	        

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