Die schwarze Dame.
Novellette
von
Rosenthal-Bonin.
Wein Freund Laver Bronner war ein eigenthüml icher
Mensch. Groß, breitschultrig, von mächtigem Körperbau, hatte
er ein markiges scharfgezeichnetes Gesicht, einen wahren Ur
wald dichter schwarzer Haare und gleichfarbige buschige Au-
genbrauen, die seiner ganzen Physiognomie etwas Düsteres,
Leidenschaftliches gaben. Einen angenehmen Kontrast hiezu
bildeten seine überaus ruhigen tiefbraunen Augen. Man konnte
stch in diese stillen Tiefen gar keinen Funken von Leidenschaft
hineindenken, und wirklich, der Grundcharakter dieseS Man«
neS war eine seltene Abwesenheit jeder Leidenschaft. Dise
Eigentümlichkeit hatte sich auch seiner Haltung mitge-
getheilt; im Gegensatz zu seiner Gestalt, die zur Ueberwin-
dung gewaltiger Hindernisse, zu großen Kämpfen geschaffen
schien, trug er sich, als ob sowohl fein Körper wie seine Seele
ihm ein ganz unnöthiger Ballast wären, und eS viel vernünf
tiger sein würde, wenn er überhaupt nicht auf diesem Erdkör-
per herumschlenderte. Von früher Jugend an elternlos, wurde
er von seinem Großvater, einem reichen Londoner Kaufmann,
in einer Pension reichlich unterhalten, besuchte daS Gymnasium
und stand gerade vor dem Abiturienten'Examen, als der Groß-
vater starb und ihm die Kleinigkeit von 60,000 Pfund hin
terließ. Er nahm die Nachricht mit einem melancholischen Lä-
cheln aus, machte gleichmüthig dag Examen, besuchte die Uni-
versität, studirte in allen vier Fakultäten herum, las viel, schrieb
wenig und zeichnete sich aur durch Gleichgiltigkeit und ein ge-
legemlich joviales Wegwerfen von Geld aus. Arme Bursche,
die an sein Herz appellirten, unterstützte er gerne und zeigte
recht oft Blitze eines höchst liebenswürdigen drolligen HumorS.
So entschieden er die Mädchen floh, umsomehr folgten ihm
deren Blicke, und auffällige Aufmerksamkeiten hübscher Blond-
köpfe erwiederte er meist mit einem Lächeln, daS zu sagen
schien — „Mach' Dir nur keine Mühe!" —
So vergingen vier Jahre, die wir in derselben UniversitätS-
stadt zubrachten. Während dieser ganzen Zeit habe ich nie be-
merkt, ^ daß er etwas mit besonderem Eifer erstrebt Hütte, wohl
aber, daß er sehr bemerkbar einen Gegenstand vermied, näm-
lich Kirchhöfe und Alles, was mit dem Begrabenwerden in
Verbindung steht. Wenn er vielleicht doch eine Leidenschaft
hatte, so war eS dieses ängstliche Pestreben, Allem, was nur
im Entferntesten an den letzten Akt unseres LebenSdrama'S
erinnert, auszuweichen. Trotzdem fehlte eS ihm durchaus nicht
an Muth, dem Tode, wenn eS sein mußte, gerade und kühn
in'S Auge zu sehen. AlS einst ein Tobsüchtiger auf der Straße
mit einer schweren eisernen Stange auf alle ihm Begegnenden
einschlug, schon einige lebensgefährlich verwundet hatte und
Niemand ihm entgegenzutreten getraute, sprang Laver, der ge-
rade des WegeS daherkam, auf ihn zu und enlriß ihm die
Stange, nahm sie hinauf in seine Wohnung und stellte sie zu
seinen Spazierstöcken.
Meinez Studienzeit war abgelaufen. Ich verließ die Stadt
und Laver, der mich feines launenhaften Umgangs gewürdigt
hatte. Ich hatte meinen ehemaligen Studienfreund gänzlich
aus dem Gedächtniß verloren, da erhielt ich, eö mochten wohl
zehn Jahre vergangen sein, auS dem Norden Frankreichs fol-
genden wunderbaren Brief von dem seltsamen Kameraden.
Ronen, den 7. Februar 1857.
„Ich habe die feste Zuversicht, daß diese Zeilen Dich noch
am Leben finden, denn wer sollte bei dem gemäßigten Drosch-
kenpferdetrab deS europäischen Lebens nicht lächelnd noch
seine Urenkelchen auf den Kopf pätfcheln — und ganz be
sonders Du mit Deinem Uhrwerksleben. Mich hat die Ge-
mächlichkeit, das stete sichere Einerlei, die gesetzmäßige Be-
Häßlichkeit, die breite stets gut unterhaltene Chausse deS eu-
ropäischen Daseins in die Welt hinauSgetrieben^ Ich habe
mich mit dem Eisbär am Nordkap herumgejagt; am Chim-
borasso habe ich meine Beine auf meiner freien Lagerstätte
sehr eifrig gegen einen Condor vertheidigt; daS Beduinen-
leben im arabischen Sande habe ich gründlich durchgekostet
und in Bolivia mich zur besseren Verdauung von Erdbeben
recht niedlich schütteln lassen, bin abe» zuletzt doch wieder
zurückgekehrt zu den ungestörten Fleischtöpfen der wohler-
haltenen alten Hausfrau Europa. Man bekommt eben
AlleS satt — den Reiz deS Außergewöhnlichen habe ich bis
zur Hefe ausgeschöpft und meine tüchtigen Kräfte aufge-
rüttelt und nicht ohne Nutzen verbraucht. — Denke Dir,
zwei Jahre lange habe ich nichts weiter gethan, als ein
von Tigern geplagtes indisches Dorf von zweiundzwanzig
dieser Bestien befreit. Dafür genieße ich denn auch dort
wahrhaft göttliche Verehrung. Wer von Euch hat solches
erreicht bei seinen Retorten und Akten? — Jetzt aber, wo
mir die vierziger Jahre nahe vor der Thüre stehen, will
ich in größter Seelenruhe mir alle Behaglichkeit der Civili-
sation angedeihen lassen. Zu diesem Zwecke habe ich nach
vielem Umhersuchen endlich ein Plätzchen gefunden. Meiy
HauS ist fertig; mein Garten beherbergt manch seltenes
Pflänzchen, und ich habe die größte Mühe, mir die Schu-
len der ganzen Provinz vom Leibe zu halten. Dich aber,
alter Kamerad, möchte ich gerne 'mal bei mir sehen. - Gleich-
zeitig mit diesem Briefe habe ich schon ein Eisenbahnbillet
für Dich in B. bestellt, Du brauchst also gar nichts weiter,
als Dich in den Zug zu setzen und Dich in sechsunddreißig
Stunden fast bis vor meine Thüre schleppen zu lassen. Ich
habe dieses Zwangsverfahren angewendet, weil ich die feste
Ueberzeugung habe, daß Du sonst nicht kämest." —
Ts traf sich glücklicher Weise, daß ich Ferien hatte. DaS
Obertribunal genoß die Julihitze in häußlichen Aktenstudien,
und ich alS ewig unbesoldeter Assessor packte schleunigst meine
sieben, wirklich nur sieben Sachen und dampfte meinem glück-
lichen spleenbehafteten Freunde entgegen.
Die Normandie ist ein eigenthümlicheS Land. Nach dem
Meer zu in stark zerklüfteten Felsen abfallend, wo ftetS eine
starke Brandung den buntgefärbten Sandstein tosend mit
Schaum umsäumt, ist im Uebrigen das Ländchen ohne Felsen
und höhere Berge. Prächtiges Grün; wellenförmige Vertie-
fungen mit schmucken Ortschaften darinnen, auf den Höhen
Schlösser mit schönen Waldungen dahinter; größere Städte,
ein bedeutender schiffbarer Fluß, rauschende Bäche, industrielle
Etablissements und über all diesem ein kräftiger Sonnenschein
mit frischer Seeluft bildeten den Gefammtcharakter der Land-
schaft. Ländliche Stille neben stark gewerblichem Treiben.
Eine schöne, idyllische und doch dabei pikante Schönheit der
Natur. Zu diesem eine Stadt wie Rouen, daS Ziel meiner
Reise, historisch berühmt, alterthümlich interessant in ihrem Kern
und in ihren modernen Theilen mit allem LuzuS und aller
Verfeinerung der Neuzeit ausgestattet Wahrhaftig der Ge-
schmack meines Freundes hatte sich unter Tigern und Löwen
merkwürdig fein ausgebildet.
Ihn selbst fand ich äußerlich wenig verändert; einige weiße
Linien in seinem dichten schwarzen Haar abgerechnet und ei-
nige Schmarren in dem stark gebräunten Gesicht, zeigte nichts
das zehnjährige Abenteurerleben, das mein Freund unter allen
Himmelsstrichen geführt. Sein Auge fand ich lebhafter als
früher, feine Haltung war nicht mehr so lässig und gleichgil-
tig; er war etwas korpulent geworden und bewegte sich ganz
mit den Manieren eines jovialen, reichen, hochgebildeten Ren-
tierS in seinem Schmuckkästchen von HauS u«d in seinem mit