Volltext: Liechtensteinische Wochenzeitung (1875)

sondern Tisch liegende kaiserliche Siegel, um dann in die Pro- 
vinzen geschickt und überall mit unterwürfigster Ehrerbietung 
empfangen zu werden. Musiker und Weihrauchträger stehen zur 
Hand Wenn alles fertig ist, dann führt (oder da dießmal der 
Kaiser ein dreijähriges Büblein ist, trägt) der Vorsteher des 
CeremonienamteS den Kaiser auS seinen Privatgemächern (dieß- 
mal vielleicht der Wiege) zu einer "goldenen Carrosse, und in 
dieser fährt er, begleitet von einer Leibgarde-EScorte mit Ban- 
nern, Standarten u. s. w., darunter besonders dem kaiserlich 
gelben Drachenregenschirm, zum Thronsaal. Dort kündigt der 
Chef des astrologischen AmteS an: der günstige Moment für 
die Besteigung deS ThronS deS „Reiches großer Reinheit" sei 
gekommen. Hierauf besteigt der Kaiser den Thron und nimmt 
seinen Platz mit dem Gesicht südwärts ein. Weihrauch wird 
nun verbrannt, Musik ertönt, jedermann verbeugt sich und ver- 
richtet den Kau-Tau, d. h. schlägt neunmal zum Zeichen der 
Huldigung mit der Stirne gegen den Boden, und der Sohn 
des Himmels u. Viceregent über alles unter dem Himmel ist 
fertig. Die Proklamation wird gesiegelt und fallen unter dem 
Himmel," d. h. allen in China, bekannt gemacht Auch der 
Himmel wird wie von allen wichtigen Ereignissen so auch von 
der Thronbesteigung in Kenntniß gesetzt. Wie das geschieht, ob 
die Chinesen, die ja alles erfunden haben sollen, schon Com- 
municationSmittel mit dem Himmel erfunden haben, ist unbe- 
kannt Genug, im großen Tempel deS Himmels wird Gott 
durch Opfer und Weihrauch von dem Vorgang in Kenntniß 
gesetzt. Auch die Ahnen deS Kaisers werden von dem freudigen 
Familienerngniß benachrichtigt durch eine Ceremonie im kaiser- 
lichen Ahnentempel, wie im Erdentempel die Erde, d. h die 
wirkliche Erde, nicht die Erdenbewohner, durch eine andere Ce- 
remonie Mittheilung erhält. Wie der Kaiser heißen wird, ist 
noch nicht bekannt. Bei der Thronbesteigung nimmt nämlich 
der neugeborne Sohn deS Himmels einen neuen Namen an, 
den er in der Geschichte den StaatSdokum.enten u. s. w. führt 
Der junge Kaiser, der heute den Drachenthron besteigt, ist der 
neunte Herrscher auS der Mantschu-Dynaftie, die seit dem I. 
1644, d h. seit dem Aussterben der MingS, das Reich der 
Mitte regieren. 
* Ein Thierquäler erfuhr dieser Tage in Uerdingen eine 
harte Strafe. Dort hatte nämlich ein Fuhrmann fein Pferd 
in unbarmherzigster Weise geprügelt Kaum war dasselbe 
ausgeschirrt, als es wüthend auf seinen Führer zusprang, ihn 
packte, zur Erde warf, wieder aufhob und eine Strecke weit 
fortschleppte, sich sodann mit den Knien auf denselben setzte 
und ihn zerbiß. Nur mit größter Mühe gelang eS den Her 
beieilenden, den Mann dem wüthenden Thier zu entreißen. 
Er hatte mehrfache Verwundungen im Gesicht, sein Arm aber 
mußte amputirt werden. 
* Praktisch. In Venezuela wollte man die Statue des 
Präsidenten aufrichten. Da man dort häufig mit dem Präsi- 
denten der Republik wechselt, verfiel man auf ein praktisches 
Auskunftsmittel und setzte dem Standbilde einen Kopf auf, 
der abzuschrauben ist So oft ein neuer Präsident an die 
Reihe kommt, fällt der Kopf deS alten und wird der des 
frischgewählten aufgesetzt; Uniform und Jnstgnien bleiben die 
nämlichen. 
* Ein alter Mann in Ueberlingen bewohnte sein HäuS- 
chen allein mit seiner Lieblmgskatze. Als er neulich zwei 
Tage lang nicht zum Vorschein kam, öffneten die besorgten 
Nachbarn seine Stube und fanden ihn todt, wahrscheinlich 
vom Schlage gerührt. DaS Entsetzlichste war aber, daß seine 
Kaye auf seinem Kopfe saß und ihrem Herrn das halbe Ge 
sicht weggefressen hatte. DaS hätte ein Hund nicht gethan. 
* Einen auffälligen Beweis von Besorgniß für das Leben 
seiner Mitmenschen gab dieser Tage ein Selbstmörder in Wien. 
Derselbe ließ sich in einem dortigen Lokale ein GlaS Wein 
geben. Nachdem er dasselbe ausgetrunken, rief er den Wirth 
zu stch und sägte ihm, indem er ihm das leere GlaS hinreichte: 
„Waschen Sie eS gefälligst aus, damit kein Unglück geschieht, 
eS war Eyankali darin, ich habe mich vergiftet." Nach diesen 
Worten erhob sich der Fremde und eilte auf die Straße; doch 
bereits nach wenigen Schritten sank er zu Boden und starb 
sofort. 
* Amerika. Ein entsetzliches Unglück wird aus diesem 
Lande gemeldet. Die ungeheure Seebrücke über den See Ro- 
land, etwa 6 Meilen von Boston, brach plötzlich unter der 
Last zweier Schnellzüge zusammen. Alles versank in den Ab- 
grund. Mehrere hundert ^Ellen weit hörte man einen unet- 
meßlichen TodeSschrei von den Passagieren der Züge, dann 
; schlugen wieder die Wellen über das Bild, und Tovtenftille 
herrschte an der Stätte, als ob nichts geschehen wäre. Die 
Zahl der Opfer muß sehr groß sein, da beide Züge von Rei- 
senden vollgestopft waren. 
Volkswirthschastliches. 
Die Futternoth 
(Nach einer Abhandlung von Fr. Römer.) 
ES erscheint unS überflüssig, dem Landwirthe die Nach- 
theile vor Augen zu legen, welche, der jetzt herrschende Futter- 
mangel seiner Kasse und Wirtschaft sowohl in der Gegen- 
wart als auch für die nächste Zukunft bringt; sie sind ihm 
zu gut bekannt, um nicht annehmen zu dürfen, daß Jeder von 
selbst alles thut, was er zur Abwendung oder Milderung vor- 
zukehren weiß. Da indessen auch die Presse eine allerwärtö 
lebhaft besprochene landwirthschaftliche Tagesfrage nicht igno« 
riren kann, so mögen nachfolgende Winke hier Entschuldigung 
finden und vielleicht manchem Leser nicht unerwünscht kommen. 
DaS, waS der Landwirth in gegenwärtiger Lage zu tbun 
hat, nimmt seine Thätlgkeit in vielfacher Richtung in Anspruch: 
er muß die Futterernte nach Kräften zu erhöhen suchen; am 
gewonnenen Futter Ersparnisse möglich machen ; den Übeln 
Nachwirkungen der. Futternoth zu begegnen trachten; endlich 
wird er stch mit Nutzen die Frage vorlegen, ob eS Mittel 
für ihn gebe, künftig den Folgen einer ähnlichen Futternoth 
so viel möglich zu begegnen. 
A. Maßregeln zur Erhöhung der Futtererndte 
I. In erster Linie ist der Anbau mancher Stoppelgewächse 
zu empfehlen, die sonst — wenn anderes Futter in ausreichen- 
der Menge vorhanden ist — an vielen Orten unbeachtet 
bleiben. 
Diese Stoppel-Futtergewächse müssen stch selbstverständlich 
nach den Verhältnissen deS Bodens und des KlimaS richten, 
und wenn man hiernach eine Reihe von Gewächsen bezeichnet, 
welche durch ihren Anbau sich zur Futtervermehrung eignen, 
so ist man natürlich nicht der Ansicht, daß sich jedes für Me 
Oertlichkeit eignet, sondern vielmehr der Meinung, daß davon jeder 
Landwirth daS für seine Verhältnisse passende selbst auswählen' 
müsse. 
1. Die Weißrübe. (Wasserrübe, Räbe, Stoppelrübe). 
Diese Pflanze verdient vor allen andern den Vorzug unter 
den für ste geeigneten Verhältnissen. Geeignet für ihren An- 
bau ist ein leichterer, frischer (nicht zu trockener) Boden, ein 
etwas besseres Klima, in welchem die Erndte der Vorfrüchte 
früh eintritt, und wo möglich ein in guter Kraft stehendes 
Land. 
Wo diese Rübe längst zu Hause ist, kennt man natür- 
lich auch die Bedingungen ihres Anbaus. Da aber anzuneh- 
men, daß sie an manchen Orten noch nicht gebaut wird, wo die Ver- 
Hältnisse für sie gleichwohl günstig sind, so f-i für solche Orte hier 
bemerkt, daß man die Räbe gewöhnlich breitwürfig, zweckmä 
ßiger aber auf flache Kämme, säet. Man bedarf dazu per 
Juchart nur 1, höchstens 1 */ 2 Schoppen Samen Unerläßlich 
für das Gedeihen der Saat ist, daß man den Acker unmittel- 
bar nach der Entfernung des Getreides nicht tief, die Furchen
	        

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