Volltext: Liechtensteinische Wochenzeitung (1875)

Erzbischof Paul Melchers im Jahre deS Herrn 1873." Die 
hier erwähnten Geschütze bestanden aus zweiundzwanzig Stück, 
und darunter befanden sich sieben mit Jahreszahlen die bis 
zur Zeit Ludwigs XlV. zurückreichten. Ob nicht der eine oder 
der andere dieser alten Feuerschlünde einst dieselbe Pfalz, da- 
rauS jetzt die Glocke hervorgeht, verwüsten geholfen? Unter 
dem Kranz ist ein Brustbild Petri, deS Glocken-Schutz-PatronS, 
angebracht, und auf der entgegengesetzten Seite prangt der 
deutsche Reichsadler, beide mit lateinischen Distichen, die zu 
deutsch etwa lauten: 
„Der du durch meine Stinune öeS Tempels Halten 
1 eröffnest, - 
Oeffne deS Himmels Thür, himmlischer Pförtner 
zugleich! — — 
Künd' ich mit meiner Stimme dem Volk die. himmlische 
Botschaft, 
Schwingen die Seelen sich auf, stimmen voll Elfer 
mit ein!" 
Nun finden wir noch auf dem blanken Erz die nächste- 
henden deutschen Verse: 
„Die Kaikerglocke heiß' ich 
DeS Kaisers Namen preis' ich, 
Auf heiliger Warte steh' ich 
Dem Deutschen Reich erfleh' ich, 
Daß Fried- und Wehr 
Ihm Gott bescheer'!" 
Gegen Ende Marz soll die Verladung auf dem Rheinca- 
nal von Frankenthal erfolgen. Wenn die Aufhängung, einst- 
weilen unter dem alten Glockenstuhle deS südlichen ThurmeS, 
geschehen sein wird, bedarf eS zum Läuten der Kraft von eini- 
gen dreißig Mannern. 
Oesterreich. Ein wichtiges Ereigniß in Oesterreich ist die 
vor einigen Tagen erfolgte Freisprechung OfenheimS Die 
dem Angeklagten günstigen Blätter priesen die Unbefangenheit 
und die Einsicht der Geschwornen, die ihm nicht günstig wa- 
ren „beugen sich dem Wahrspruch". Durch die Freisprechung 
OfenheimS sind dem moralischen Eredite Oesterreichs jedenfalls 
empfindliche Wunden beigebracht worden. 
Das „moralische Gewissen" und „daS StaatSgewissen" 
sind miteinander in Conflict gerathen und der schließliche Sieg 
des „StaatSgewissenS", daS eben den höheren Gelderwerb durch 
Gründergewinn u. s. w. quasi als durchaus ehrlichen Ver- 
dienst priviligirt hatte und somit einen Nutzanwender dieses 
Privilegiums nicht wohl bestrafen konnte, ist jedenfalls nicht 
in die Kategorie der moralischen und nutzreichen Siege zu 
zählen. . . ' 
Wir können eS nicht unterlassen einige treffende Satze aus 
einer Korrespondenz der „Allg Ztg " über den Ausgang die 
ses ProcesseS mitzutheilen. ES heißt dort unter Andern: 
, Alle Schaden sind blosgelegt, die Welt weiß wie in Oe- 
sterreich Eisenbahnen technisch erbaut, finanziell hergestellt, wie 
die Staatsaufsicht beschaffen, wie die Aktionäre preisgegeben 
werden: die Welt wtfß auch welch ein Bund mächtiger Inte- 
reffen vereint dasteht, Front gegen jedermann der den Augi 
asstall auszukehren Miene macht, die Welt kennt den amen- 
kanischen Vorbildern nachgemachten österreichischen „Ring", 
kennt nunmehr die moralische Korruption einer ganzen Ge 
sellschaftsklasse, weiß warum man Volksvertreter wird, wie 
parlamentarische Mehrheiten erzeugt werden und — sieht end 
lich den Angeklagten freigesprochen unter Hurrahrufen der 
Menge den Schwurgerichtssaal verlassen, um in seinem Pa- 
laiS wieder die Ovationen der besseren Classen entgegenzuneh- 
wen. Die dort abgegebenen Visitenkarten füllten zwei Säcke. 
Alles waö Gründer in Oesterreich war, gehörte mit einer 
äußerst geringen Ausnahme der herrschenden Partei an, und 
schwer muß es heute der um das Ansehen des Staats be 
sorgte Monarch büßen, daß er sich auch Minister in der Grün 
derclique geholt. Wer aber noch zweifeln könnte, wie naht 
sich die herrschende politische Partei und daS von Ofenheim 
verfochten? System gestanden und noch stehen, der braucht sich 
bloß zu erinnern, wo sich die eifrigsten Vertheidiger deS An 
geklagten befunden. Um Ofenheim vertheidigen zu können, 
haben sie offen ihre Waffen gegen die aus eigenem Fleisch und 
Blut, entstammende Regierung gewendet. Dieß hat ein gros- 
fer Theil der liberalen Partei, der größte Theil der versassungS- 
treuen Journalistik gethan. Heute triumphiren sie über 
den Sieg den sie errungen, und freuen sich der Niederlage 
die ihr Ministerium davongetragen, das sie befangener Lei- 
denfchaft zeihen, die sich mit dem Mantel der Ethik um- 
kleide, Dabei schreiben sie daß.jetzt für. die Moral daS 
höchste geleistet worden, und freuen sich daß über die 
Epoche der im großen Styl mit Muth, Energie, geistiger 
Kraft geführten Unternehmungen nicht den Stab gebrochen 
sei — dieß im Angesicht des eben beendeten ProcesseS mit sei- 
nen Enthüllungen waS „großer Styl" bei einem Eisenbahn- 
bau bedeute! 
Unter den vielen Sophismen mit welchen Hr. v. Ofen- 
heim die Welt beschenkt, hat sich denn doch auch ein wahres 
Wort gefunden; daß an dem „Krach" nicht bloS jene schul- 
dig seien welche die Concessionen genommen, wohl aber auch 
jene welche die Concession ertheilt, jene die gegründet und jene 
welche die Gründungen gestattet. Als ein sicher zum Theil 
Mitschuldiger hatte diese Regierung wenig Recht sich auf den 
Standpunkt der hohen Moral zu stellen, mindestens hätte sie 
früher dafür sorgen sollen daß sich in ihrem Schoß keine Per- 
sönlichkeit befinde die Hrn. v. Ofenheim Gelegenheit gab die 
Steine welche ihm zugeworfen worden mit Erfolg gegen daS 
GlaShäuS aus dem sie kamen zurückzuschaudern. In so fern 
verdient die Regierung das Schicksal daS ihr geworden Auch 
darum weil sie halbe Maßregeln beliebte. Warum setzte sie 
nicht alle VerwaltungSräthe der Gesellschaft mit auf die An- 
klagebank? Sie waren mit schuldig wie man erfahren, wenn 
Ofenheim schuldig sein sollte. DaS Werk wäre der Anklage 
leichter geworden, nicht materiell aber juridisch. Die Ehren- 
erklärungen der Zeugen VerwaltungSräthe für Ofen heim wä- 
ren entfallen, dieser nicht als allein verfolgt erschienen, un- 
möglich wäre eS gewesen von einem Tendenzproceß zu reden. 
So aber wurde die Anklage begränzt, es wurde in österreichi- 
scher Weise Protection geübt und die öffentliche Moral nie- 
dergerissen, denn dieß steht fest: die öffentliche Moral habe 
die Verurtheiluug OfenheimS verlangt. Wo diele von ihrem 
Piedestal stürzt, dort stürzen bald auch andere Größen. 
In Frankreich ist nach 4 jährigen Geburtswehen die Re- 
publik als definitive StaatSform endlich zu Stande gekommen, 
indem die Nationalversammlung neben den Gesetzen über die 
öffentlichen Gewalten nun auch das Senatsgesetz angenommen 
hat Neben der Mäßigung der republikanischen Partei ist 
wohl die Frucht öor den immer mehr an Einfluß gewinnen, 
den Bonapartisten die Hauptursache, daß diese Gesetze über- 
Haupt zu Stande kommen konnten. 
Verschiedenes. 
London, 25 Febr. Wenige Deutsche (schreibt die „Engl. 
Corresp") wissen, ;daß heut auf unserem Planeten ein Halb- 
gott ins Dasein tritt, nämlich der „Sohn deS Himmels," vulgo 
Kaiser deS Himmlischen Reiches. Heute findet die Kaiserkrönung 
in China statt oder, da eS im Reiche der Mitte keine Krone 
gibt, richtiger die Thronbesteigung. Die Besteigung deS Dra 
chenthrons, der daS Symbol der Souveränetät in China bildet, 
ist die große Ceremonie deS heutigen TageS, ist aber für China 
wenig complicirt u. trägt einen mehr amtlichen als religiösen 
Charakter. Die Proklamation deS Ereignisses ist immer vorher 
ausgefertigt u. hängt von dem Schnabel seines goldenen Phönix 
über eine goldene Vase und wartet nur auf das auf einem be-
	        

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