in einem durchaus friedfertigen, beinahe in einem theoretisch-
akademischen Tone. Der Reichskanzler erklärte eS wiederholt
für einen Fehler unserer StaatSgesetzgebung, daß sie in einer
ungesund sentimentalen Weise daS Individuum zu doch schätze
und den Interessen der Gesammtheit gegenüber so sehr begünstige,
daß dadurch manchmal der Staat und die Gesellschaft wehrlos er
scheine. Er exemplificirte unter anderm auch auf den Kall
Thomson oder Thomas und fragte die anwesenden Juristen,
wie sie dieses Verbrechen klassistziren würden. Zum großen Er-
götzen des Reichskanzlers hatte jeder der anwesenden Juristen
eine andere Meinung. Der eine hielt es für Mord, der andere
für „Mord mit «Zvlus incketermmslus," der dritte für Mord,
versuch, der vierte für Brandstiftung, der fünfte für „Zerstörung
5urch Explosivstoffe" (§ 311 deS Strafgesetzbuches); die mei-
sten aber waren der Meinung: man hätte den Attentater, wenn
er am Leben geblieben wäre, nicht zum Tode, sondern höchstens
zu lebenslänglichem Zuchthaus verurthetlen können. Da auch
eine Bemerkung über das Wüthen der „Norddeutschen Allge-
meinen Ztg " gegen de« ReichStag wegen feiner Haltung zur
EtrafrechtSnovelle fiel, so erklärte der Fürst ksutement: er
habe mit diesem Blatt gar nichts zu schaffen, überhaupt un-
terhalte. er seit dem Frühjahr (875 (damals war bei der „Post"
bekanntlich „der Krieg in Sicht") keinerlei Verbindung mehr
mit der Presse, namentlich mit der inländischen. Er sei dadurch
einer Masse unangenehmer Mißverständnisse und Hetzereien
loS geworden, welche dadurch entstanden seien, daß unberufene
Scribenten, wenn sie einmal eine amtliche Mitteilung erhal
ten, sich von da ab^ stets für offiziös ausgegeben hätten, um chre
Erfindungen besser zu verwenden. D e Hauptschuld liege am
Publikum, welches ungesunde ffoft vorziehe, und Klatsch und
unwahre Sensationsnachrichten l eber lese als gediegene sachli-
che Aufsatz^ über öffentliche Angelegenheiten, durch die sich z.
B. die englische Presse so sehr auszeichne. Er, der Fürst,
schreibe sein jetziges Besserbefinren zum Theil auch dem Um-
stände zu daß er seine Verbindung mit ter Presse gänzlich ab-
gebrochen und sich dadurch viel Aerger erspart habe. Mit dem
Abg. Rickert hatte der Fürst ein sehr langes und ernsieS Ge-
sprach über das Verhalten der national-liberalen Partei in
Budget- und Steuerlachen. Die DiScretion verbietet uns da-
rüber näheres, mktzutheilen "
Die Vergleiche, welche der Reichskanzler zwischen der
deutschen und ausländischen Presse zog, stellt die „Nord. Ztg"
in folgender Weise richtig:
„Fürst Bismarck äußerte sich dahin, daß in der deutschen
Presse die Sucht stets Neuigkeiten zu bringen allzuviel über-
Hand nehme, während im Ganzen gar nicht so viel geschehe
als man nach den Zeitungen im Publikum annehmen müßte.
So verwöhne man das Publikum, welches sich an die Zeitun
gen halte, wie diese wieder an ihre Korrespondenten. Ein
Korrespondent müsse daher immer neueS bringen, wenn nicht
von zwei Dingen eines geschehen solle: entweder halte ihn seine
Redaktion für nachlässig und faul oder sie halte ihn für schlecht
unterrichtet. In dieser verzweifelten Situation ist der Korre-
spondent nur allzu oft auf lene Phantasie angewiesen; oder er
findet sich veranlaßt sich an auswärtige Diplomaten zu wenden, die
sich natürlich zu ihren Zwecken solche Handhaben nicht entgehen
lassen. Im Augenblick z. B, so äußerte sich, wie berichtet
wird, Fürst Bismarck, geht ja gar nichts vor als „das bißchen
Herzegowina," daS unS glücklicherweise unmittelbar gar nicht
berührt. Die zweite Ausstellung, welche Fürst Bismarck machte,
bezog sich auf die übermäßige Pflege der auswärtigen Nach'
richten, so z B. ter französischen in der deutschen Presse.
Warten wir doch einmal mit unfern Notizen ab, äußerte stch
der Reichskanzler, bis die französische Presse sich einmal dafür
interessirt, waS ein deutscher $ in irgend einer Landstadt gere-
det, oder wer Regierungspräsident in Königsberg geworden
oder ob N. N. in Trakehnen in den Landtag gewählt ist. Da
gegen forderte der Reichskanzler mehr sachkundige eingehende
Behandlung der innern Fragen, wie dies z. B. die englische
Presse leiste, die damit in der That aufklärend und belehrend
wirke, während die deutsche Presse eine bedenkliche Neigung
verratbe in eine SensationSpresse nach französischem Styl um-
zuschlagen."
Frankreich. Von den 75 unabsetzbaren Senatoren, welche
die Rationalversammlung gewählt hat, gehören 58 den Par-
teien der Linken und 17 den Parteien der Rechten an.
Schweiz. St. Gallen. Ein von der österreichischen
an die St. Gallische Regierung gesandter Plan sammt Kosten
berechnung für den untern Rheindurchstich bei Fußach veran-
schlagt die diesbezüglichen Kosten auf Fr 8,457,000; fast
rbenjo doch würde nach der „St. Gallischen Zeitung" der
obere Durchstich bei DiepoldSau zu stehen kommen, dessen gleich-
zeitige Ausführung Oesterreich als unerläßliche Bedingung für
seine Betheiligung an dem großen Werke fordert.
Bon der bosnischen Grenze schreibt man der A. A.
Ztg vom 18. Dez. folgendes: Seit einigen Tagen ist es in
BoSmen ganz still geworden, und man hört von gar kunen
Scharmützeln zwischen Christen und Türken. Es mag sein, daß
man sich seit dem letzten Treffen bei Strischna («Allg. Ztg."
Nr. 349) etwas erholt, auch mag die zunehmende Kalle und
der gefallene Schnee einen Stillstand in den Kämpfen gebracht
haben. Bei den Insurgenten «st es auch ter hohe Feiertag
des hl. Nikolaus, den viele als Hauptpatron feiern, der sie
vielleicht ruhen läßt Aber in der Herzegowina dauern die
heftigsten Kämpfe, troy Winter, Schnee und Feiertagen unun-
le, krochen fort. ES scheint als wenn seit der Schlacht bei
Muratoviya die Insurrektion viel lebhafter geworden. Wenig-
stenS wird seit dieser Zeit eine ganze Reihe von Treffen ge-
meldet. Die Türken, um die Scharte bei Muratovitza auszuwetzen,
soreirten bald da bald dort die Verproviantirung der um Montene-
gro gelegenen FortS. Seit dem blutigen Versuch bei GoranSko ver-
suchten sie eS mit der Entsetzung deS gut befestigten und mit
einer bedeutenden Garnison versehenen Ntksitsch. Die Insur-
genten beobachten aber bei solchen Entsetzungen gegenüber den
Türken eine besondere Taktik. In den meisten Fällen gewäh-
ren sie den überlegenen Streitkräften der Türken den Durch-
gang. Durch genaue Kenntniß deS Terrain und der nur
ihnen zugänglichen Bergpfade aber erscheinen sie auf einmal
in der kürzesten Zeit auf anderen Punkten und greifen die
Türken unverhofft von verschiedenen Seiten an. In dieser Art
war eS möglich, daß Reuf Pascha am 3. Dez mit seiner
überlegenen Streitmacht, nachdem er Goronsko bere'tS entsetzt,
von den Insurgenten so furchtbar zugerichtet wurde („Allg.
Ztg." Nr. 349). Dasselbe ereignete sich auch mit einer klei-
nen Variation am 15. Dez. bei Niksitsch Hier wollten die
Garnison und die Einwohnerschaft deS Platzes den im Felde
kämpfenden NizamS entgegenkommen, wurden aber von den
Insurgenten zurückgeschlagen. Obwohl dieses Treffen nicht so
bedeutend war wie das bei GoranSko, so mußte der Kampf
doch ein heftiger gewesen sein, denn von den. Türken fiel der
Mudir (OrtSvorftand) von Niksilsch und ein Bimbascha (Major)
ver NizamS. Nach Angabe der Insurgenten haben die Türken
einen Verlust von 43 Todten gehabt. Um dieselbe Zeit mach-
te auch die Garnison von GoranSko einen Ausfall, wurde
aber von den Insurgenten mit einem Verlust von 26 Todten
ebenfalls zurückgeschlagen. Einen Tag zuvor begegnete eine In-
surgentenbande unter Sotschitza einer Abtheilung NizamS, welche
bei Nojdar von einem Blockhause zum andern kommen wollte.
Bei dem entsponnenen Kampf erlitten die Türken nach Angabe
ter Insurgenten einen Verlust von 36 Todten. Bei diesen
fortwährenden Kämpfen ist es begreiflich, daß sich nicht nur
die türkischen Spitäler, wie ich dieö unlängst berichtete, ungemein
füllen, sondern daß auch die in Montenegro für die Insurgen-
ten errichteten Spitäler viele Verwundete haben.