Volltext: Liechtensteinische Wochenzeitung (1875)

t>i< ernstesten Besorgnisse. Die KrisiS de< JahreS 1873 war 
leider keine vorübergehende EpekulationS- oder KreditkrisiS wo- 
für sie die Regierung beim Beginn derselben gehalten zu haben 
scheint. Gleich einer schleichenden Krankheit greift sie immer 
weiter um sich. Nicht nur die großen Unternehmungen auf 
dem Gebiete deS Handels und der Industrie, auch daS Klein- 
gewerbe und die Landwirtschaft sind von einem Siechthum 
bedroht, welches bei längerer Untätigkeit unheilbar werden 
könnte. Die Ausbeutung der produktiven Arbeit im allgemei- 
nen, insbesondere aber jener deS LanowirtheS und deS kleinen 
GewerbSmanneS, durch einen von allen Schranken befreiten 
Wucher bilvet den Gegenstand vielfältiger, leider bis jetzt er- 
folgloser Klagen. Die bisherigen Maßregeln und das Verhal- 
ten der Regierung gegenüber diesen Zuständen verschaffen unS 
leider nicht die Beruhigung, daß dieselbe nach festen Prinzipien 
und nach einem wohldurchdachten Plane vorgeht, um die wirth- 
schaftliche Kraft der Bevölkerung zu stärken und ver herein- 
brechenden allgemeinen Verarmung, soweit dieß durch staatliche 
Maßregeln möglich ist, einen Damm entgegenzusetzen. Nament- 
lich ist eS unS unmöglich in der auf Antrag der Regierung 
beschlossenen Maßregel der staatlichen AuShilfSkassen, sowie in 
den von der Regierung gegebenen Andeutungen über ihre künf 
tige Eisenbahnpolitik, ein Anzeichen zu erblicken, daß die Re- 
gierung sicher in der Wahl der zu ergreifenden Mittel mit Fe- 
fiigkeit und Ausdauer dem erwünschten Ziele entgegengeht. ES 
tntt nun abcrmalS ein weiterer, für die wirtschaftliche Ent 
wicklung deS gesammten Reiches hochwichtiger, Moment durch 
den in nächster Zukunft bevorstehenden Ablauf des mit Ungarn 
bestehenden Zoll- und Han»elSbündnisseS, sowie der mit vem 
Ausland abgeschlossenen Zoll- und Handelsverträge ein, und 
es kann keinem Zweifel unterliegen, daß die hierbei von der 
Regierung eingenommene Haltung für eine lange Reihe von 
Jahren über unsere wirtschaftliche Zukunft entscheiden wird. 
Nicht nur der Handel und die Industrie, sondern auch das 
Kleingewerbe und die Landwirthschaft verlangen dringend Auf- 
klärung und Beruhigung über die Intentionen der Regierung 
in dieser wichtigen Angelegenheit. Die Gefertigten erlauben 
stch daher die Frage zu stellen: Ist die Regierung geneigt die 
Grundzüge deS die Förderung der Volkswirtschaft bezwecken 
den und inSbessndere die künftig zu beobachtende Zoll- und 
Handelspolitik feststellenden PlanS ihrer Aktion dem Reichs- 
rath ehestens mitzuteilen ?" 
Bezüglich der seit jüngerer Zeit in den Zeitungen aufge- 
tauchten Kriegsbefürchtungen, welche die neuerliche Haltung 
Rußlands gegenüber der Türkei hervorgerufen hat, schreibt 
die „Wiener Abendpost": 
„Aus gänzlicher Unkenntrn'ß der Verhältnisse, hie und da 
vielleicht in der Absicht einer Störung des Einvernehmens der 
drei Mächte oder gar in der Tendenz die Börsenkurse zu drü- 
cken, werden eine Audienz, welche der russische Botschafter in 
Konstantinopd bei dem Sultan gehabt, ein Besuch den er vem 
Großwessier gemacht/ zur Bedeutung von Ereignissen hinaufge- 
schraubt, welche für den europäischen Frieden bedrohliche Aus, 
sichten eröffnen sollen " Dem gegenüber erklärt Die „Wiener 
Abendpost" auf Grund verläßlicher Kenntniß der Sachlage; 
„daß seit Beginn der Aktion in Bezug auf den Orient Ruß- 
land ebensowenig wie Oesterreich-Ungarn oder Deutschland, 
Jgnatieff ebensowenig wie GrafZichy oder Frhr. v. Werther, 
sei eS beim Sultan oder beim Großwessier, einen Schritt ge- 
than haben, welcher nicht den gemeinsam festgestellten Jnstruk- 
tionen entsprochen und auch die Zustimmung und Unterstützung 
der andern Kabinete gefunden hätte." 
Frankreich. Die französische Nationalversammlung hat 
sich nach langer Debatte hinsichtlich deS neuen WahlmoduS mtt 
einer Mehrheit von 31 Stimmen für die Wahlen nach Arron- 
dissementS entschieden. Die republikanische Partei, welche die 
Listenwahl anstrebte, hat somit eine bedeutende Niederlage er 
litten. Die ,TimeS" äußert sich hierüber ganz richtig: »Wen« 
es vergeblich für die Linken wäre die Bedeutung ihrer Nieder- 
läge verbergen zu wollen, so mögen sie doch erwägen, daß es 
überraschend gewesen wäre, wenn die jetzige Nationalversamm- 
lung ein Votum abgegeben hätte, welches das Land alS der 
Republik günstig hätte halten müssen Wir unsrerseits wieder- 
holen die Ueberzeugung, daß das System der Wahlabstimmung 
am Ende keinen großen Unterschied macht. Wünscht die Nation 
aufrichtig die Republik zu gründen, so wird sie sich durch die 
Schranken der ArrondissementSwahl nicht daran hindern lassen, 
und die Erringung eines republikanischen Wahlsiegs gerade auf 
dem von der royalistischen Partei gewählten Boden würbe daS 
entscheidendste aller Resultate sein. Zst aber daS Land gleich- 
gültig gegenüber der Regierungsform, fo kann es auch durch 
das Listenverfahren nicht zu einer entschiedenen Erklärung ge- 
trieben werden." 
England« Der englische Thronfolger, der wie bekannt 
vor einiger Zeit die Reise nach Ostindien angetreten hat, ist 
am 8. Nov. in Bombay angekommen. 
Um 8 Uhr Morgens verkündete der erste Kanonenschuß den 
Bewohnern der Stadt, daß der „SerapiS" in Sicht gekom- 
men sei, um 9 Uhr ^fuhr er unter dem Donner der Geschütze 
durch die Doppelreihe der im Hafen vor Anker liegenden Schiffe 
des fliegenden Geschwaders und ankerte nahe am Ladungsplatze 
im Bassin. Nun machte stch ganz Bombay auf die Beine um 
stch für den Einzug in Position zu stellen. Lange vor Mittag, 
so berichten unS spaltenlange Telegramme der englischen Blät- 
ter, drängte sich eine wogende Menge in den Straßen, die 
Fahnen flatterten längst schon luftig im Winde, die Häuser 
waren festlich geziert und da ws der Zug vorbeikommen mußte, 
die Fenster von Schaulustigen besetzt. Die Civil- und Mili- 
tärbehörden, eine Anzahl von Damen, die einheimischen Fürsten 
und Großen, im Ganzen etwa 700 Personen, erwarteten in- 
nerhalb der Werfte die Landung des Prinzen. Die indischen 
Großen trugen ihre StaatSgewänder und reichen Schmuck 
von Gold und kostbaren Edelsteinen. Der junge Gaikwar von 
Baroda war förmlich mit Diamanten bedeckt. Um 3 Uhr 
Nachmittags begab sich der Vizekönig und nach ihm der Gou- 
verneur von Bombay mit einigen andern hochgestellten Beam- 
ten an Bord des „ SerapiS." Alle, mit Ausnahme des 
VizekönigS, kehrten ans Land zurück, nachdem sie dem Prin- 
zen vorgestellt worden waren. Um 4 erneute stch der Lärm 
der Kanonen. Der Prinz von Wales u. der Vizekönig verließen 
den „SerapiS" und bestiegen die SrnatSbarke. Einen Augenblick 
war diese vom Pulverdampf umhüllt, für die Wartenden un- 
sichtbar, im nächsten legte sie am Landungsplätze an, und un 
ter dem Zuruf der Versammlung der fast die Kanonen über- 
tönte, stieg der Prinz ans Land. Er trug die volle Feldmar- 
schallsuniform mit der Halskette deS Hosenbandordens, dem 
großen Bande und Ordenszeichen, den Stern von Indien und 
den schützenden Sonnenhelm mit Feder. Die EmpfangSzere- 
msnien dauerten nicht allzulange. Eine etwas weitläufige 
Adresse deS Stadtrates , vom Präsidenten desselben verlesen, 
wurde vom Pynzen kürzer beantwortet. Der Vieekönig stellte 
ihm hierauf einige der indischen Großen vor, darunter auch den 
jugendlichen Gaikwar von Baroda. Der Prinz, der Vizekönig 
und der General Probyn bestiegen sodann den bereitstehendem 
Wagen und fuhren, gefolgt von den glänzenden, wenn auch 
etwas grotesken StaatSkarossen der einheimischen Fürsten, und 
begleitet von einer Eskorte der vizeköniglichen Leibwache durch 
die Straße» der S.adt zum RegierungSgebäude. Der Prinz 
wurde auf dem ganzen Wege von einer buntgemischten Volks- 
masse mit einer Begeisterung begrüßt, über die selbst die engli 
sche Blätter, die doch viel erwarteten, höchlich verwundert sind. 
Türkei. Die Nachrichten vom Schauplatz des Aufstanvs flie 
ßen sehr spärlich, wahrscheinlich weil das rauhe in den Bergen 
Bosnien» u. der Herzegowina doppelt empfindliche Klima jeder
	        

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