Volltext: Liechtensteinische Wochenzeitung (1875)

Rußland für die Aufrechterhaltung der gegenwärtigen Ordnung 
der Dinge in Frankreich. Dies geht der „Köln. Ztg." zufolge 
aus einem Schreiben hervor, welches Thiers über feine Unter- 
redung mit dem Fürsten Gortfchakoff an einen seiner Pariser 
Freunde gerichtet hat. . Der Fürst sprach sich in derselben ent- 
schlössen gegen die Wiederherstellung irgend einer Monarchie in 
Frankreich auS, die er, wie auch Thiers, für unmöglich hält. 
Dem Fürsten zufolge muß eine monarchische Negierung als 
Grundlage die Interessen und Verehrung haben, welche daS 
Volk für sie hat. In Frankreich bestünden diese beiden Be- 
dingungen nicht, und er (der Fürst) fei deßhalb für die Auf' 
rechterhaltung deS jetzigen französischen Regimes. 
Die ^Libertö" läßt sich aus der Schweiz telegraphiren, 
was bei der Unterredung zwischen Thiers und dem Fürsten 
Gortfchakoff in Vevey vorgegangen. Thiers, so erzählt sie, 
wurde letzten Montag von dem Fürsten Gorschakoff und dessen 
beiden Söhnen empfangen. Die Unterredung dauerte 3 
Smnden; das Gespräch erstreckte sich über die europäischen 
Angelegenheiten und die Friedens-AuSsichten. In Betreff der 
orientalischen Frage wurde bemerkt, daß ihre Lösung einstwei» 
len vertagt sei, daß aber aller Voraussicht nach diese Lösung 
darin bestehen werde, daß Bosnien und der Herzegowina die 
Autonomie zuerkannt wird (unter der Leitung des Erzherzogs 
Salvator oder Server Pascha's) während Montenegro einen 
Hafen am adriatifchen Meere erhalten soll. 
Die Gemahlin des Marschalls Mac Mahon ist nach Pa- 
ris gekommen, um in einer Versammlung des Komiteö für die 
Ueberschwemmten den Vorsitz zu führen. Dasselbe hat jetzt 
24 Millionen zu seiner Verfügung. 
Spanien. Der neue Präsident des spanischen Ministe- 
riumS, General Jovellar scheint seiner Erklärung, daß man 
alleS aufbieten werde, um den Karlisten-Aufstand zu ersticken, 
-wirklich die That folgen lassen zu wollen. Am 13. Sept sind 
in Guipuzcoa bedeutende Verstärkungen eingetroffen, die theil- 
weise schon den verschiedenen Garnisonen an der Grenze zuge- 
theilt wurden. Andrerseits lassen eS die Karlisten auch nicht 
an Anstrengungen fehlen. 
Europäische Türkei. Endlich erhält man einige Klar- 
heit über die jüngsten widerspruchsvollen Depeschen vom tüt> 
tischen Kriegsschauplatz. Es kam längS der montenegrinischen 
Grenze auf mehreren Seiten gleichzeitig zu heftigen Kämpfen. 
Diesmal ergriffen die Insurgenten die Offensive. Die Türken 
wurden in ihren theilweise verschanzten Stellungen bei Billetsche 
(wohl Billeki), Zubci und auf dem Boborer Felde angegriffen. 
Bei Billetsche wurden die Insurgenten sehr übel zugerichtet. 
Die Türken waren daselbst in bedeutender Uebermacht und in 
sehr günstigen Stellungen. Es kommen 2100 Türken auf 
700 Insurgenten. Letztere scheinen ganz aufgerieben worden 
zu sein. Dagegen wurden die Türken auf dem Boborer Felde 
entscheidend geschlagen und aus ihren Verschanzungen vertrie- 
den. / Die Insurgenten drangen nach diesem mehr als fünf- 
stündigen Kampfe nach Ljubifchuja vor, wo von ihnen, ebenso 
wie bei Pljvalj, türkisches Gepäck und Proviant-Kolonnen er- 
beutet wurden. 
— Unmittelbar an den Sultan — vor dessen Au 
gen eS übrigens schwerlich gelangen dürste — ist ein boSni- 
sches Kriegsmanifest gerichtet, dessen Wortlaut wir deßwegen 
mittheilen, weil es zur Charakteristrung der Volksstimmung in 
Bosnien immerhin beitragen ^kann. DaS merkwürdige Doku- 
ment lautet nach der „Zastava" wie folgt: 
„Manifest der nackten bosnischen Rajah an den Sultan, 
den türkischen Kaiser, der in Stambul thront und 500 Jahre 
mit seinen Großen, mit ven Agas und SpahijaS die boSni- 
schen Serben plündert und Drückt. Wir erklären Dir Krieg, 
mächtiger Sultan, Dir und allen Deinen Großen, die ihr euch 
fanatisch daS Versprechen gegeben eurer eigenmächtigen Herr- 
schaft auf dem Genicke der armen Rajah kein Ende zu machen 
und durch eure unerhörten Gewaltthaten und übermäßigen 
Abgaben sie aufzureiben. Krieg auf Leben und Tod! Hun- 
derte von bosnischen Helden erheben Heute ihre AataganS die 
Ketten zu sprengen, mit denen Du und Deine Blutsauger ihre 
Freiheit gefesselt; Hunderte von Helden greisen nach Waffen, 
die Tyrannen und Blutsauger in Deinem Staate zu Vernich- 
ten, und wenn Du auch einer von diesen bist, so sei versichert, 
daß daS serbische Rohr auch Dich jnkcht verfehlen wird, auch 
Deine SarajS werden erschüttert, „denn Jung und Alt greift 
zu den Waffen!" Unsere Reihen zählen nicht nach Tausenden, 
sondern nach Hunderten, aber wisse, daß sie so stark sind, daß 
all Deine wilde und barbarische Macht an ihnen scheitern wird; 
denn jeder von unfern Kämpfern zieht in den Kampf mit der 
festen Ueberzeugung, daß er siegen muß. Bedenke, Sultan, wie 
wir nach Dir und den Deinigen dürsten, ;wte wir uns sehnen 
nach Blut und Krieg, nach jenem Krieg, in dem Blut ver- # 
gössen wird, nicht aus Rache, sondern für Ehre, Wohlstand' 
und Freiheit, die ihr zertreten, den Wohlstand, den ihr ver- 
schlungen, grausame Asiaten. Bedenke nur, Du größter der 
Tyrannen, wie oft Du unser Weinen und Wehklagen gehört 
hast, wie oft Bitten und Beschwerden 'zu Deinem Tyrannen- 
throne gedrungen sind, und all das gebar in Dir noch einen 
größeren Haß gegen uns, und Dein Zorn wüthete über unS 
gewaltiger und gewaltiger. Tausendmal hast Du gleichgültig 
zuzusehen vermocht, wie sich der Serbe im Blute badet, un- 
schuldig und treu dem Rechte - gerichtet von Deinem barba- 
rischen Gerichte oder aus Muthwillen getödtet von einem MoS- 
lem, und es rührte Dich gar nicht; eS erweckte in Dir kein 
Mitleid, eS löste nicht die gelähmte Zunge zur Sprache: 
„Genug war ich Tyrann mit den Vorfahren; ich bin der Ty- 
rannei satt, jetzt will ich für meine gequälten Unterthanen ein- 
mal Recht und Freiheit suchen und ihnen verleihen." Und 
glaubst Du, Kaiser, Du Kaiser der Tyrannei und Verschwen- 
dung, daß Du auch fernerhin unser genannt werden kannst; 
denkst Du uns mit Gewalt zu nöthigen, Deine treuen Sklaven 
auch in Zukunft zu bleiben', daß wir Dich erhalten, wiewohl 
Hände und Kraft nicht mehr im Stande stndj, den Abgrund 
Deiner Verschwendung zu füllen; glaubst Du wirklich, daß 
Schwert und Gewehr Dir genügen werden, uns wieder in 
das alte Joch zu zwingen? O va täuschest Du Dich furcht- 
bar, Tyrannenkaiser! Die Waffen, mit denen Du unS zu be- 
zwingen gedenkst, werden Deinen eigenen morschen Staat ver- 
nichten, und beschämt wirst Du erst dann einsehen, daß die 
Rajahs seit jeher Recht hatten, indem sie Dich baten mit ihnen 
väterlich umzugehen. Wir haben genügend Gründe angeführt, 
die uns bestimmen, den Kampf aufzunehmeu, und wenn Du 
Dich nicht schämst dem auszuweichen, so schwinge die Faust 
und den krummen Säbel, auf daß wir nach Kosovo-Art das 
zurückerhalten, was wir verloren, „denn der Boden trieft von 
Blut, und eS ist Zeit den Kampf tzu beginnen." So grüßen 
wir Dich, wir Bosnier, und erklären Dir, daß die Stunde 
geschlagen, daß sich die Serben durch Schwert und Blut eini- 
gen und vereinigen. Ziehe also in den Kampf mit was im- 
mer für einer Macht, hier hast Du die Brust und hier die 
Helden^, die schon Deine Tyrannei mit Füßen treten, und die 
bemüht find, Frieden und Ordnung, Freiheit und Einheit im 
Staate herzustellen, die Du mit den Deinigen entfesselt und 
vernichtet hast. Komme wie eS Dir gefällt; unterlasse keinen 
Augenblick. Der Boden soll unter jenem weichen, der Dir 
weicht; rufe auch Du, waS wir zuerst auS vollem Halse tha- 
ten: „Hier hast Du den Krieg, alter Blutsauger, Du Feind 
deS SerbenthumS, unser Padifchah." Im September 1875. 
DaS serbische Volk auS allen Theilen Bosniens." 
Verschiedenes. 
Das Krachjahr statistisch dargestellt. W i e n, 3. Sept. 
DaS heute ausgegebene „Statistische Jahrbuch für das Jahr
	        

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