Volltext: Liechtensteinische Wochenzeitung (1875)

genthümlichen Erscheinungen eineS AufstandeS in schwer zu- 
gänglichen Gebirgsgegenden, wo ein geschlagener Haufen sich 
leicht ganz auflösen und eben so leicht wieder vereinigen kann. 
Die stetS von Neuem nachgeschobenen Zuzüge auS den benach- 
barten LandeStheilen sind ebenfalls geeignet, auf den entfernten 
Beobachter einen verwirrenden Eindruck zu machen. Die 
, Times" erhält auS Wien wie auS Konstantinopel die über- 
einstimmende Mittheilung, daß der größere Theil oeS Aufstau- 
deS abgethan sei. 
AuS Bosnien werden schändliche Greuelthaten der Türken 
gegenüber wehrlosen Weibern und Kindern der Christen berich- 
tet. Die Humanität der türkischen Befehlshaber gehe nur so 
weit, daß sie die Niedermetzlung von Kindern unter 10 Iahren 
verbieten, waS aber von den türkischen Truppen nicht genau 
genommen werde. Zu den gewöhnlichen Szenen gehöre eS, 
daß die Köpfe der massakruten Insurgenten auf den Bajon- 
netten im Triumphe getragen werden. — Bisher haben sich 
auf österreichisches Gebiet 30.000 Personen auS BoSnien ge- 
flüchtet. 
Ueber die Ursachen deS AufstandeS in der Herzegowina 
gibt ein Artikel der „Neuen Fr. Presse" sehr interessante Auf- 
schlösse, die darthun, daß die Mißverhältnisse im dortigen 
Steuerwesen derart sind, daß, bevor eine gründliche Abhülfe 
getroffen ist, nie auf eine längere Pazifijirung deS Landes ge 
rechnet werden kann. Wir finden darin folgende Gegenüber- 
stellung der betreffenden Zustände der Türkei im Allgemeinen 
und derjenigen Bosniens und der Herzegowina: 
„DaS Steuersystem der Türkei ist ein sehr einfaches. Es 
gibt in den Ländern des Padischah weder Einkommen-, noch 
Erwerb-, noch Verzehrungssteuer. DaS uns Abendländern so 
geläufige und so verdrießliche Wort „Steuerzuschläge" könnte 
man nicht ins Türkische übersehen, weil dem OSmanli der Be- 
griff dafür fehlt. Die wichtigsten türkischen Steuern sind der 
Wirgi und der Achan Erstere — eine Art Haussteuer — wird 
in der Weise eingehobcn, daß je vierzig Familien zusammen 
3000 Piaster bezahlen, wobei die Verthellung der Quote für 
daS einzelne Hauöwejen ihnen selbst überlassen wird. Der 
Achar, der Zehent, bedingt zwölseinhalb Percent deS tatsächlichen 
BodenerträgnisseS und wird vom Grundeigenthümer und vom 
Pächter gemeinschaftlich bezahlt. Von dem Erträgnisse selbst ge- 
hören zwei Drittel dem Pächter, ein Drittel bezieht der Besitzer. 
Außerdem gibt eS noch eine Schaf-, Schwein, u. Branntwein 
steuer. Für jedes Nutzschaf beträgt die jährliche Abgabe zwei, 
für jedeS zweijährige Borstenthier vier Piaster; vom Brannt- 
wein bezahlt der Brenner zehn Percent deS Erträgnisses. In 
neuester Zeit ist zu diesen Steuern noch daS Tabakmonopol ge 
kommen. Christen u. Türken zahlen die Steuern gleichmäßig, 
die Christen außerdem noch 16 Piaster per Kops u. Jahr als 
Militär-BefreiungStaxe, die auch wieder von je 40 Personen 
gemeinschaftlich erhoben wird. 
„Alle diese Steuern bilden zusammen durchaus keine uner- 
schwingliche Last. Im Gegentheil, die Türkei verlangt von ih 
ren Unterthanen weniger Abgaben als die meisten europäischen 
" Staaten, und in der Regel befinden sich die „GiaurS" — der 
Türke gebraucht dieS Schimpfwort nur im Zorn — gar nicht 
so übel. Die Bezeichnung „Rajah" (Unterthan, Höriger) ist 
in ganz Anatolien und Armenien, ja selbst in Rumelien unbe- 
kannt. Der christliche Bauer sitzt auf seinem eigenen Grund 
und Boden, häufig in großen Dörfern, wo sich kein Türke an- 
siedelt. JedeS Dorf hat feine eigene Schule und Kirche, wenn 
auch an letzterer der Thurm und die Glocken fehlen. Jedes 
Bauernhaus in Kleinasien hat fein Gastzimmer, in dem auch 
der reisende Türke gerne, und wenn er Offizier oder Beamter 
ist, ganz sicher einkehrt, weil er hier größere Reinlichkeit und 
bessere Bewirthung als bei seinen Glaubensgenossen findet. Die 
christlichen Viertel in den Städten sind durchwegs schöner und 
bequemer gebaut, als die türkischen, Kirchen und Schulen in 
Erzerum, Enzinghian, Charput, Kars u. s. w. wahre Pracht- 
gebäude. Bei allen Behörden findet man eine Anzahl christ- 
licher Beamter; die Steuer-Einnehmer sind durchwegs Christen. 
Der reiche Türke läßt seine Güter wohl auch von Christen 
bearbeiten, aber gegen gute Bezahlung. Der Zehent wird in 
öffentlicher Versteigerung verpachtet und häufig einem Christen 
zugeschlagen. Der Ersteher begibt sich in das Dorf, dort wird 
eine Kommission aus zwei OrtSbeamten und zwei vom Päch- 
ter bestellten Personen gebildet, die von HauS zu HauS geht 
und den Zehent in Naturalien einhebt. Tributpflichtig sind 
alle Feldfrüchte, Obst- und Garten-Erzeugnisse dagegen frei. 
Wäre nicht der Uebelstand, daß vor Gericht der Christ selten 
Recht erhält, weil der Kadi daS Zeugniß deS Ungläubigen ge- 
ring achtet, so könnte man daS Verhältnis zwischen Christen 
und Türken in den meisten Provinzen deS türkischen Reiches 
ein vortreffliches nennen. Thatfache ist, daß jder Hat-Hu- 
mayum doch kein todter Buchstabe blieb, und daß ein Auf- 
stand wegen unerschwinglicher Steuern nirgends außer in Bos 
nien und der Herzegowina vorkommt. 
Hier herrschen nun freilich höchst traurige Zustände. Es 
gibt hier keinen freien Bauer, sondern die Christen sind Rajah 
im schärfsten Sinne. AlleS Land gehört den BegS, und wenn 
hie und da ein Christ Grundbesitz hat, so muß er, will er 
nicht der Rache seiner Standesgenossen verfallen, so hart und 
tyrannisch wie sie sein. Der Zehent wird auch hier verpachtet, 
aber nur an Muhamedaner. Den Christen, der es wagte ihn 
je zu erstehen, träfe das TodeSloS. Der Bauer muß hier den 
Zehent, dessen Hälfte in den anderen Provinzen der Eigen- 
thümer trägt, ganz allein entrichten, das übliche Drittel der 
Bodenfrüchte abliefern und außerdem seinem Herrn alle mög- 
lichen Hand' und Spanndienste leisten Der Zehent — und 
hier liegt die Wurzel deS Uebels — wird in der Herzegowinä 
nicht in Naturalien, sondern in Geld bezahlt. Die Schätzung 
nimmt der Zehentpächter nach seinem Belieben vor und plün- 
dert so den Bauer. Beschwert sich dieser bei Gericht, so wird 
er eingesperrt und mißhandelt. Der bosnische Beg steht auf 
dem Standpunkte deS mittelalterlichen Feudalherrn; der Bauer 
ist für ihn kein Mensch, sondern eine Sache. Um den Hat- 
Humayum haben sich die BegS niemals gekümmert; er existirt 
für sie nicht." 
Aus Montenegro komnu die Nachricht, daß die Monte- 
negriner die über r»ie montenegrinische Militärstraße ziehenden 
türkischen Truppen siegreich angegriffen haben. ES dürfte da- 
her nicht ohne Interesse sein näheres über die Stärke und den 
Zustand der montenegrinischen Wehrkraft zu erfahren. Wir 
entnehmen die folgenden Notizen einer der „Politik" aus Ce- 
tinje zugegangenen Privmcorrespondenz. Seit dem letzten Kriege 
mit der Pforte hat sich die Regierung deS Fürsten Mola um 
die Hebung der montenegrinischen Wehrkraft ganz besondere 
Verdienste erworben. Die Montenegriner, welche noch vor 
wenigen Jahren zum größten Theil ans ihre alten mit Stein- 
schlössern versehenen langen Gewehre, auf Handschar und Pi- 
stolen angewiesen waren, sind heute den übrigen Heeren Eu 
ropas ebenbürtig bewaffnet. Fürst Nikola selbst widmet dem 
Waffenwesen seine ungetheilte Aufmerksamkeit, und er selbst 
war es, welcher im Jahr 1869 das System Krnka in Wien 
aequirirte und bei seiner Ankunft in St. Petersburg der russi 
schen Regierung empfahl. Mit den geringen Mitteln, über 
welche daö Land verfügt, wurden bis heut über 8000 Ge- 
wehre nach dem System Krnka angekauft, für welche 2 Mill. 
EinheitS-Patronen in den Magazinen vorhanden sind. Außer 
diesen Gewehren besitzt Montenegro einen Vorrath von 20,000 
gezogenen VorderladungSgewehren nach belgischem Muster, für 
welche 5 Mill. Patronen bereit liegen. Die alten mitunter 
reich verzierten Gürtel-Pistolen werden im Kriege so ziemlich 
gar nicht zur Verwendung kommen, da über 6000 schwere 
österreichische Armee-Revolver nach dem System Gasser mit
	        

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