genthümlichen Erscheinungen eineS AufstandeS in schwer zu-
gänglichen Gebirgsgegenden, wo ein geschlagener Haufen sich
leicht ganz auflösen und eben so leicht wieder vereinigen kann.
Die stetS von Neuem nachgeschobenen Zuzüge auS den benach-
barten LandeStheilen sind ebenfalls geeignet, auf den entfernten
Beobachter einen verwirrenden Eindruck zu machen. Die
, Times" erhält auS Wien wie auS Konstantinopel die über-
einstimmende Mittheilung, daß der größere Theil oeS Aufstau-
deS abgethan sei.
AuS Bosnien werden schändliche Greuelthaten der Türken
gegenüber wehrlosen Weibern und Kindern der Christen berich-
tet. Die Humanität der türkischen Befehlshaber gehe nur so
weit, daß sie die Niedermetzlung von Kindern unter 10 Iahren
verbieten, waS aber von den türkischen Truppen nicht genau
genommen werde. Zu den gewöhnlichen Szenen gehöre eS,
daß die Köpfe der massakruten Insurgenten auf den Bajon-
netten im Triumphe getragen werden. — Bisher haben sich
auf österreichisches Gebiet 30.000 Personen auS BoSnien ge-
flüchtet.
Ueber die Ursachen deS AufstandeS in der Herzegowina
gibt ein Artikel der „Neuen Fr. Presse" sehr interessante Auf-
schlösse, die darthun, daß die Mißverhältnisse im dortigen
Steuerwesen derart sind, daß, bevor eine gründliche Abhülfe
getroffen ist, nie auf eine längere Pazifijirung deS Landes ge
rechnet werden kann. Wir finden darin folgende Gegenüber-
stellung der betreffenden Zustände der Türkei im Allgemeinen
und derjenigen Bosniens und der Herzegowina:
„DaS Steuersystem der Türkei ist ein sehr einfaches. Es
gibt in den Ländern des Padischah weder Einkommen-, noch
Erwerb-, noch Verzehrungssteuer. DaS uns Abendländern so
geläufige und so verdrießliche Wort „Steuerzuschläge" könnte
man nicht ins Türkische übersehen, weil dem OSmanli der Be-
griff dafür fehlt. Die wichtigsten türkischen Steuern sind der
Wirgi und der Achan Erstere — eine Art Haussteuer — wird
in der Weise eingehobcn, daß je vierzig Familien zusammen
3000 Piaster bezahlen, wobei die Verthellung der Quote für
daS einzelne Hauöwejen ihnen selbst überlassen wird. Der
Achar, der Zehent, bedingt zwölseinhalb Percent deS tatsächlichen
BodenerträgnisseS und wird vom Grundeigenthümer und vom
Pächter gemeinschaftlich bezahlt. Von dem Erträgnisse selbst ge-
hören zwei Drittel dem Pächter, ein Drittel bezieht der Besitzer.
Außerdem gibt eS noch eine Schaf-, Schwein, u. Branntwein
steuer. Für jedes Nutzschaf beträgt die jährliche Abgabe zwei,
für jedeS zweijährige Borstenthier vier Piaster; vom Brannt-
wein bezahlt der Brenner zehn Percent deS Erträgnisses. In
neuester Zeit ist zu diesen Steuern noch daS Tabakmonopol ge
kommen. Christen u. Türken zahlen die Steuern gleichmäßig,
die Christen außerdem noch 16 Piaster per Kops u. Jahr als
Militär-BefreiungStaxe, die auch wieder von je 40 Personen
gemeinschaftlich erhoben wird.
„Alle diese Steuern bilden zusammen durchaus keine uner-
schwingliche Last. Im Gegentheil, die Türkei verlangt von ih
ren Unterthanen weniger Abgaben als die meisten europäischen
" Staaten, und in der Regel befinden sich die „GiaurS" — der
Türke gebraucht dieS Schimpfwort nur im Zorn — gar nicht
so übel. Die Bezeichnung „Rajah" (Unterthan, Höriger) ist
in ganz Anatolien und Armenien, ja selbst in Rumelien unbe-
kannt. Der christliche Bauer sitzt auf seinem eigenen Grund
und Boden, häufig in großen Dörfern, wo sich kein Türke an-
siedelt. JedeS Dorf hat feine eigene Schule und Kirche, wenn
auch an letzterer der Thurm und die Glocken fehlen. Jedes
Bauernhaus in Kleinasien hat fein Gastzimmer, in dem auch
der reisende Türke gerne, und wenn er Offizier oder Beamter
ist, ganz sicher einkehrt, weil er hier größere Reinlichkeit und
bessere Bewirthung als bei seinen Glaubensgenossen findet. Die
christlichen Viertel in den Städten sind durchwegs schöner und
bequemer gebaut, als die türkischen, Kirchen und Schulen in
Erzerum, Enzinghian, Charput, Kars u. s. w. wahre Pracht-
gebäude. Bei allen Behörden findet man eine Anzahl christ-
licher Beamter; die Steuer-Einnehmer sind durchwegs Christen.
Der reiche Türke läßt seine Güter wohl auch von Christen
bearbeiten, aber gegen gute Bezahlung. Der Zehent wird in
öffentlicher Versteigerung verpachtet und häufig einem Christen
zugeschlagen. Der Ersteher begibt sich in das Dorf, dort wird
eine Kommission aus zwei OrtSbeamten und zwei vom Päch-
ter bestellten Personen gebildet, die von HauS zu HauS geht
und den Zehent in Naturalien einhebt. Tributpflichtig sind
alle Feldfrüchte, Obst- und Garten-Erzeugnisse dagegen frei.
Wäre nicht der Uebelstand, daß vor Gericht der Christ selten
Recht erhält, weil der Kadi daS Zeugniß deS Ungläubigen ge-
ring achtet, so könnte man daS Verhältnis zwischen Christen
und Türken in den meisten Provinzen deS türkischen Reiches
ein vortreffliches nennen. Thatfache ist, daß jder Hat-Hu-
mayum doch kein todter Buchstabe blieb, und daß ein Auf-
stand wegen unerschwinglicher Steuern nirgends außer in Bos
nien und der Herzegowina vorkommt.
Hier herrschen nun freilich höchst traurige Zustände. Es
gibt hier keinen freien Bauer, sondern die Christen sind Rajah
im schärfsten Sinne. AlleS Land gehört den BegS, und wenn
hie und da ein Christ Grundbesitz hat, so muß er, will er
nicht der Rache seiner Standesgenossen verfallen, so hart und
tyrannisch wie sie sein. Der Zehent wird auch hier verpachtet,
aber nur an Muhamedaner. Den Christen, der es wagte ihn
je zu erstehen, träfe das TodeSloS. Der Bauer muß hier den
Zehent, dessen Hälfte in den anderen Provinzen der Eigen-
thümer trägt, ganz allein entrichten, das übliche Drittel der
Bodenfrüchte abliefern und außerdem seinem Herrn alle mög-
lichen Hand' und Spanndienste leisten Der Zehent — und
hier liegt die Wurzel deS Uebels — wird in der Herzegowinä
nicht in Naturalien, sondern in Geld bezahlt. Die Schätzung
nimmt der Zehentpächter nach seinem Belieben vor und plün-
dert so den Bauer. Beschwert sich dieser bei Gericht, so wird
er eingesperrt und mißhandelt. Der bosnische Beg steht auf
dem Standpunkte deS mittelalterlichen Feudalherrn; der Bauer
ist für ihn kein Mensch, sondern eine Sache. Um den Hat-
Humayum haben sich die BegS niemals gekümmert; er existirt
für sie nicht."
Aus Montenegro komnu die Nachricht, daß die Monte-
negriner die über r»ie montenegrinische Militärstraße ziehenden
türkischen Truppen siegreich angegriffen haben. ES dürfte da-
her nicht ohne Interesse sein näheres über die Stärke und den
Zustand der montenegrinischen Wehrkraft zu erfahren. Wir
entnehmen die folgenden Notizen einer der „Politik" aus Ce-
tinje zugegangenen Privmcorrespondenz. Seit dem letzten Kriege
mit der Pforte hat sich die Regierung deS Fürsten Mola um
die Hebung der montenegrinischen Wehrkraft ganz besondere
Verdienste erworben. Die Montenegriner, welche noch vor
wenigen Jahren zum größten Theil ans ihre alten mit Stein-
schlössern versehenen langen Gewehre, auf Handschar und Pi-
stolen angewiesen waren, sind heute den übrigen Heeren Eu
ropas ebenbürtig bewaffnet. Fürst Nikola selbst widmet dem
Waffenwesen seine ungetheilte Aufmerksamkeit, und er selbst
war es, welcher im Jahr 1869 das System Krnka in Wien
aequirirte und bei seiner Ankunft in St. Petersburg der russi
schen Regierung empfahl. Mit den geringen Mitteln, über
welche daö Land verfügt, wurden bis heut über 8000 Ge-
wehre nach dem System Krnka angekauft, für welche 2 Mill.
EinheitS-Patronen in den Magazinen vorhanden sind. Außer
diesen Gewehren besitzt Montenegro einen Vorrath von 20,000
gezogenen VorderladungSgewehren nach belgischem Muster, für
welche 5 Mill. Patronen bereit liegen. Die alten mitunter
reich verzierten Gürtel-Pistolen werden im Kriege so ziemlich
gar nicht zur Verwendung kommen, da über 6000 schwere
österreichische Armee-Revolver nach dem System Gasser mit