Volltext: Liechtensteinische Wochenzeitung (1874)

Kaiser vor seiner Abreise die Gewißheit sich verschaffen.wollte: 
eS werde durch seine Abwesenheit die Ausführung jener Maß- 
regeln nicht unterbrochen werden, welche daS Ministerium zur 
Abwehr deS herrschenden NothstandeS unternimmt." 
Einem Leitartikel der Augsb. Allg. Ztg, betitelt „Deutsch- 
land und Rußland gegenüber Oesterreich und der orientalischen 
Frage", entnehmen wir folgende höchst wahrscheinlich einer di- 
plomatischen Feder entstammende Ansicht, die die St. Peters- 
burger Reise vom Standpunkte der orientalischen Frage auö 
berücksichtigt. ES heißt darin: 
Deutschland und Rußland in ihrem Einverständniß stellen 
eine Machtfülle vor, welche auf die Geschicke Europa'S bestim- 
mend, auf Ost-Europa geradezu entscheidend einwirken kann. 
Deutschland u. Rußland haben die Kraft und die Macht, ge« 
rade die wichtigste Frage in Europa, die orientalische Fragt, 
nach ihrem Gutbefinden zu lösen. Die Constellation dafür ist 
gerade gegenwärtig die günstigste. ES steht nicht in der Macht 
Oesterreichs, diese Constellation zu ändern. An ein Bündniß 
Oesterreichs mit Rußland ist bei diesem Verhälmiß Deutsch 
lands und Rußlands gar nicht zu denken. Oesterreich vermag 
in St. Petersburg eine gewisse Versöhnung zu erwirken, eS 
vermag zwischen Deutschland und Rußland eine bescheidene 
Stellung einzunehmen, indem eS sich jener Richtung der Po- 
litik fügt, die man in Berlin und St. Petersburg bereits vor- 
gezeichnet hat; aber über diese Linie hinaus kann Oesterreich 
nicht gehen. Alle Plane, die man in Wien darüber hinaus 
aus Anlaß der St. Petersburger Reise macht, müssen sich als 
illusorisch zeigen. 
Ein gutes Zeichen für die Versöhnung Oesterreichs mit 
Rußland möchte wohl auch darin liegen, daß Graf Andrassy 
selbst den Monarchen zur Reise nach St. Petersburg begleitet 
Man will wissen, daß sich Graf Andrassy gerade in feiner 
Honved-Uniform in St. Petersburg präfentiren wird. Jeden- 
falls ist dies die beste Revanche eines Honved-GeneralS für 
VilagoS. Und sollte Graf Andrassy auch Moskau besuchen, 
so würde er im MuseumSsaale deS Kreml die unzähligen Hon- 
vedfahnen aus dem ungarischen Feldzuge zu Gesichte bekommen, 
die ihm wohl in Erinnerung bringen könnten, daß Ungarn nie 
berufen sein kann, eine Großmachtspolitik zu treiben, am wenig- 
sten aber die Richtung der Politik von zwei Großstaaten wie 
Deutschland und Rußland zu beeinflussen. 
Und sollte auch nur diese Ueberzeugung der Leiter deS öfter- 
reichischen auswärtigen Amtes aus der St. Petersburger Reise 
schöpfen, so wäre dieS schon ein großer Gewinn für Oester- 
reich. 
Jedenfalls hoffen wir, schließt der betreffende Leitartikel, 
daß die St. Petersburger Reise eine wesentliche Veränderung 
in der Orientpolitik Oesterreichs bringen werde. Diese Ver- 
Änderung könnte aber nur in der von Berlin und St. PeterS- 
bürg gemeinsam vorgezeichneten Richtung geschehen, und diese 
Richtung ist kaum die der Erhaltung der Türkei, sondern die 
der Anbahnung einer Lösung der orientalischen Frage im In- 
leresse der europäischen Zivilisation und Gesittung 
— Am 13. d. ist das österreichische Ministerium mit 
der Steuerreform in 4 getrennten Vorlagen vor das Abgeord- 
mtenhauS getreten. Die Vorlagen behandeln die Gebäude- 
steuer, die Erwerbssteuer, die Rentensteuer und die Personal» 
'Einkommensteuer. Wir lassen hier kurz den wesentlichen Inhalt 
deS Gesetzes über die. Gebäudesteuer folgen, da gerade die 
Haufersteusrfrage auch in unserem Ländchen einer baldigen 
Reform dringend bedarf und die Schwierigkeit dieser heiklen 
Frage durch Vergleich mit den neueren Gesetzen anderer 
Staaten einigermaßen erleichtert wird, obwohl in einem Klein- 
stäätchen der Maßstab eines GroßstaateS nicht immer geltend 
gemacht werden kann. 
DaS Gesetz über die Gebäudesteuer enthält 35 Paragra- 
phen. Nach § 1 bildet den Gegenstand der Gebäudesteuer 
entweder der MiethzinSertrag der Gebäude oder der NutzungS- 
werth der Wohngebäude. In Orten, in welchen die Anzahl 
der vermietheten Wohnbestandtheile jene der nicht vermieteten 
übersteigt, tritt die Besteuerung nach dem MiethzinSertrage, in 
allen übrigen Orten nach dem im Wege der Einschätzung zu 
erhebenden jahrlichen NutzungSwerthe der Wohngebäude ein. 
8 2 zählt in 12 Punkten taxativ die Fälle der Befreiungen von 
der Gebäudesteuer auf. Unter diesen Befreiungen fallt am 
meisten jene der zum Betrieb der Landwirthschaft gewidmeten 
Gebäude in die Augen. Bei Ermittlung deS NutzungSwertheS 
der Gebäude ist mit genauer Berücksichtigung aller auf den 
NutzungSwerth verGebäude Einfluß nehmenden Umstände (Größe 
und Beschaffenheit, Lage, Entfernung von HauptverkehrSplätzen. 
übliche Miethzinse, Verhältniß der Gebäude eineS und deSsel- 
ben OrteS zu einander, Verhältniß der Größe der Wohnge- 
bäude zur Ausdehnung deS landwirthschaftlichen oder Gewerbe 
betriebs, zu dem sie gehöien u. s. w.) vorzugehen. Inder 
Regel darf bei Gebäuden mit nur eitlem Wohnbestandtheil 
der NutzungSwerth nicht unter 10 fl., bei den übrigen Ge- 
büuden nicht unter 8 fl für einen Wohnbestandtheil veran- 
schlagt werden. ES ist bei der Feststellung deS NutzungS- 
Werths das Prozent ersichtlich zu machen, welches für die Er- 
Haltung der Gebäude und Amortisation deS Anlagekapitals in 
Abschlag zu bringen wäre. Dieses Prozent schwankt zwischen 
15 und 30 Prozent, ja steigt bis 50 Prozent deS Bruttozinses. 
Der ermittelte steuerbare reine NutzungSwerth dient durch 5 
Jahre als Grundlage der Steuerbemessung, welche die Steuer- 
behörde vornimmt. Von 5 zu 5 Jahren findet eine Revision 
deS GebaudekatasterS statt. DaS Prozent der Gebäudesteuer 
wird im Wege deS Gesetzes festgestellt. Nur Um« und Zu- 
bauten genießen eine zeitliche Steuerbefreiung in der Dauer 
von 12 Jahren die sich nur auf die l f. Steuer bezieht. Bei 
Bauten für Arbeiterwohnungen beträgt die Steuerfreiheit 15 
Jahre. In gewissen Fällen finden gänzliche oder tbeilheit- 
liche Steuerabfchreibungen statt. Die Gebäudesteuer ist von 
dem HauSeigentbümer oder bleibenden Nutznießer einvierteljäh- 
rig vorhinein zu entrichten. Der Gebäudesteuer gebührt das 
gesetzliche Pfandrecht. 
Frankreich. Der „Daily Telegraph" hat einen seiner 
Korrespondenten zum Herzog v. Broglie geschickt, um ihn über 
seine innere Politik auszuholen, und wenn auch der Bericht, 
den der „Daily Telegraph" von dieser Unterredung veröffent- 
licht, von der „Agence HavaS" als ungenau bezeichnet wird, 
so ist doch die Thatsache der Besprechung nicht bestritten, und 
andererseits entspricht der Inhalt so sehr dem. was wir von 
den politischen Ansichten deS Herzogs wissen, daß wir jenen 
Bericht für mittheilenSwerth halten, auch wenn er nicht wörtlich 
genau fein sollte. „Die Republikaner," sagte der Vizepräsident 
deS MinisterratheS, „müssen so gut wie die Legitimisten und 
die andern Parteien wissen, daß die Nationalversammlung ent- 
schieden hat, daß die RegierungSsorm während sieben Jahren 
unbestimmt bleiben soll; jeder während dieser Zeit gemachte 
Versuch, die Republik alS dte endgiltige RegierungSform Frank- 
reichS zu erklären, wird eben so streng bestraft werden, wie der» 
jenige, welcher die Wiedereinsetzung deS Grafen v. Ehambord 
als König von Frankreich zum Ziel hatte. Kein vom Mar- 
schall Mac Mahon erwählter Minister deS Innern kann den 
unter seinen Befehlen ein Amt einnehmenden Personen gestatten, 
den Grafen v. Ehambord als König zu behandeln, sei es 
mündlich, sei eS schriftlich; und ebenso werde ich meinerseits 
eS nicht mehr in der Presse dulden." Hienach würde also 
nach der Ansicht deS Herzogs v. Broglie die Regierung Frank- 
reichS noch sieben Jahre lang in demselben unbestimmten und 
unsicher» Zustande bleiben, in welchen eS daS Gesetz vom 
20. November versetzt hat. „Arankreich," sagte Herr v. Broglie, 
„ist für eine bestimmte Anzahl von Jahren eine Republik, deren 
Kaiser der Marschall Mac Mahon ist." Frankreich soll sein
	        

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