Volltext: Liechtensteinische Wochenzeitung (1874)

näber berühren. Der Adel war in dieser Zeit vielfach ver- 
kommen und manche Herren bedrückten daS Volk mit unge, 
bührlichen Lasten. Dadurch mag erklärlich erscheinen, daß sich 
nun daS Volk öfters gegen die Herren empörte, wenngleich 
eine solche Auflehnung stetS als eine verbrecherische Störung 
der staatlichen und gesellschaftlichen Ordnung betrachtet wer- 
den muß. Den Anlzß zu einer Empörung, die sich über daS 
ganze Rhein- und Jllthal verbreitete gaben die Appenzeller. 
Die Leute in diesem Thale waren dem Abte von St. Gallen 
unterthan. Seit 1367 hatte sich unter den Appenzeller» eine 
Abneigung gegen den Abt entwickelt Um sie zu gewinnen 
gestattete ihnen Abt Georg v. Wildenstein, mit den schwäbi- 
schen Reichsstädten in einen vund zu treten (1377). Dieses 
Entgegenkommen gab aber nur Gelegenheit zur Organisation 
dieses Bergvolkes und als 1379 ein neuer Abt gewählt wurd 
verweigerten die Appenzeller demselben die Huldigung und den 
Gehorsam Die gegen sie unternommenen Fehden fielen zu ih- 
ren Gunsten auS Deßhalb wurden sie immer kühner und 
wagten nun räuberische Einfälle in die umliegenden Gebiete, 
besonders in daS deS Klosters St. Gallen. Der Abt verband 
sich mit den Herzogen v. Oesterreich. Dagegen suchten auch 
die Appenzeller überall Bundesgenossen und fanden solche in 
großer Zahl in den Unterthanen der verschiedenen Herren im 
Rheinthale. Am rechten Rheinuser waren die Landleute am 
Eschnerberge die Ersten, welche sich anschlössen, „Amman und 
Landleute all gemeiniglich am Eschnerberg" schwuren den 21. 
Juli 1405 zum „Bunde ob dem See", wie sich die mit den 
Apenzellern Verbundenen nannten. Bald darauf erweiterte sich 
der Bund so, daß er Appenzell, die Städte St. Gallen und 
Feldkirch, daS ganze Rheinthal bis SarganS und Vaduz und 
daS ganze Jllthal bis auf die Höhe deS ArlbergS umfaßte 
Nur der Bregenzerwald, Dornbirn und Bregenz fehlten. Wäh- 
rend die erstern Beide später dem Bunde beitraten, scheiterte 
daS ganze Unternehmen am Letztern Die Leute in der ei- 
gentlichen Grafschaft Vaduz scheinen ruhig geblieben zu fem. 
Dagegen suchte der Bund den Bischof Hartmann von Chur 
für sich zu gewinnen und sandte deßhalb Boten zu demselben 
nach Schaan. Da der Bischof noch immer Oesterreich abge- 
neigt war, so zeigte er anfangs Lust seinen Beitritt zu erklä- 
ren, konnte sich jedoch zuletzt nicht dazu entschließen. ES wäre 
ihm auch nicht sonderlich wodl angestanden Mitglied eines sol- 
chen Bundes zu sein. DaS Beispiel eineS schönen Verhält- 
nisseS zwischen Herrn und Unterthanen gaben die Stadt 
Bludenz und ihr Graf Albrecht der Aeltere von Hciligenberg. 
Die Bürger waren fest entschlossen aus Dankbarkeit für die 
ihnen ertheilten Freiheiten und Rechte ihrem Herrn treu zu 
bleiben. Da aber die benachbarten Montafoner und Rungal- 
liner im Bunde waren und den Pludenzern ihr Vieh wegneh. 
men ließ der Graf die Bürger vor sich kommen und sprach; 
„Liebe Freunde bieweil ich sehe, daß Jedermann im Bunde 
ist, so muß ich und ihr verderben und was hälfe mir euer 
Verderben? „Ich sage euch ledig von allem Gelübd und Eid, 
mit dem ihr mir verpflichtet seid Thut wie andere Leute, das 
soll euerm Eide unschädlich sein und laßt mich armen Grafen 
euch empfohlen sein und helft mir davon." Die wackern Bür- 
ger brachten ihren Grafen, wie er gewunschen über den Tann- 
berg nach RothenfelS. Da blieb derselbe bis der Krieg vor- 
bei war. 
(Fortsetzung folgt.) 
Politische Rundschau. 
Deutschland. DaS Hauptinteresse des TageS, hinter wel- 
chem alle andern Vorgänge im deutschen Reiche verschwinden, 
bildet gegenwärtig der Arnim'sche Prozeß. Die Anklage gegen 
den ehemaligen Botschafter in Paris lautet auf Vergehen im 
Amte. Nach Mittheilung der Personalien Arnims bis auf die 
Abberufung vom Pariser Botschafterposten wird bemerkt, daß 
der Amtsnachfolger, Fürst Hohenlohe, bald nach seinem AmtS- 
antritt im Botschaftsarchiv bei genauer Recherche eine große 
Anzahl amtlicher Schriftstücke vermißte. Die Schriftstücke sind 
unter drei verschiedenen Rubriken aufgeführt. Der Angeklagte 
erscheine überführt, diese Schriftstücke (Urkunden), welche für 
die Politik deS deutschen Reiches, resp. dessen Beziehungen 
zu den ausländischen Mächten von großer Bedeutung sind, bei 
Seite geschafft und unterschlagen zu haben. Die erste Rubrik 
umfaßt die geständlich mitgenommenen und auf Aufforderung 
deS auswärtigen Amtes später zurückgegebenen Schriftstücke; 
die zweite Rubrik solche, die Arnim geständlich an sich nahm, 
aber als ihm gehörig zurückhält; die dritte Rubrik endlich sol- 
che, von deren Verbleib Arnim nichts wissen will. Die An- 
klage deduziert demnächst den amtlichen Charakter fraglicher 
Schriftstücke. Die Anklage widerlegt eingehend die Behauptung 
Arnims, baß er die in der ersten Rubrik ausgeführten Schrift- 
stücke nur an sich genommen habe, um solche dem auswarti- 
gen Amte zurückzustellen. 
Amerika. In Washington ist der Congreß der Verein. 
Staaten Nordamerikas eröffnet worden. Die stärkere demokra- 
tische Färbung war auf der ganzen Linie erkenntlich. Präsi- 
dent Gram trug seine Botschaft mit einer Würde vor, welche, 
wie manche meinten, deutlich seine Zuversicht auf einen dritten 
Termin durchblicken ließ. Er freute sich, sagen zu können, daß 
Nordamerika mit allen Völkern der Erde, ausgenommen ein 
paar widerstrebende Zndianerstämme und Spanien, in Freund- 
fchast lebe. Bei Spanien bildet die VirginiuS-Frage noch den 
Apropos, die immer noch' auf Regelung wartet. Spanien sei 
nicht im Falle, in Euba die Ordnung aufrecht zu halten, und 
schade dadurch den^ amerikanischen Handel. Nach der Ansicht 
Grant'S werden in dieser Frage sogar die großen Mächte sich 
ins Mittel legen müssen. 
Verschiedenes. 
* (DaS lebendige Passagier gut.) Kürzlich kam 
ein Bauer vom Zürchersee mit einem Quersack über die Schul- 
tern gehängt nach dem Bahnhof in Zürich, um mit dem 
Dampfwagen nach Baden zu fahren. Da aber der Zug nicht 
gleich abging, so entledigte sich der Bauer seines, wie es schien, 
elwaS schweren SackeS, legte ihn sanft neben sich zur Erde 
und wartete ruhig die Zeit deS Abganges deS Zuges ab. 
Endlich nähert sich ein Beamter, um daS Passagiergut der Ue- 
berfahtt wegen zu wiegen, und ergriff auch den Sack deS 
Baueril, legte ihn etwas unsanft auf die Waage, und — 
siehe^— das Passagiergut gab einen Schmerzensschrei von sich, 
welcher durch Mark und Bein ging. Der Sack wurde natür- 
lieh geöffnet, und — darin steckte — deS Bauern zehnjähriger 
Knabe, den er auf diese Weise umsonst mit fortzubringen 
glaubte. 
* Da die Größe einer Milliarde von Vielen noch nicht 
recht erfaßt und wenig verstanden ist, so glauben wir, daß 
folgende Thatsache zum Verständniß und zur richtigen Würdi- 
gung etwas beitragen wird. Von Christi Geburt bis jetzt ha- 
ben wir noch keine Milliarde Minuten verlebt: am 1. Jan. 
1875 fehlen an der Milliarde noch 15.025,600 Minuten, 
und diese berechnet, wird der Umlauf einer Milliarde erfüllt 
sein am S. August 1902, Morgens 10 Uhr 40 Minuten. 
Unsere deutschen Nachbarn haben von den Franzosen 5 Mil- 
liarden Franken erhalten und nichts verspürt. „Wo seid ihr 
hingerathen, ihr güldenen Dukaten?- 
* Jüngst hat in Prag ein Soldat vom 22. Jägerbataillon 
in einem Garten in Folge einer Wette von dem Kopfe eines 
dressirten Jagdhundes drei Mal nach einander einen kleine» 
Apfel aus der Entfernung von 100 Schritten herunterge- 
schössen.
	        

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