näber berühren. Der Adel war in dieser Zeit vielfach ver-
kommen und manche Herren bedrückten daS Volk mit unge,
bührlichen Lasten. Dadurch mag erklärlich erscheinen, daß sich
nun daS Volk öfters gegen die Herren empörte, wenngleich
eine solche Auflehnung stetS als eine verbrecherische Störung
der staatlichen und gesellschaftlichen Ordnung betrachtet wer-
den muß. Den Anlzß zu einer Empörung, die sich über daS
ganze Rhein- und Jllthal verbreitete gaben die Appenzeller.
Die Leute in diesem Thale waren dem Abte von St. Gallen
unterthan. Seit 1367 hatte sich unter den Appenzeller» eine
Abneigung gegen den Abt entwickelt Um sie zu gewinnen
gestattete ihnen Abt Georg v. Wildenstein, mit den schwäbi-
schen Reichsstädten in einen vund zu treten (1377). Dieses
Entgegenkommen gab aber nur Gelegenheit zur Organisation
dieses Bergvolkes und als 1379 ein neuer Abt gewählt wurd
verweigerten die Appenzeller demselben die Huldigung und den
Gehorsam Die gegen sie unternommenen Fehden fielen zu ih-
ren Gunsten auS Deßhalb wurden sie immer kühner und
wagten nun räuberische Einfälle in die umliegenden Gebiete,
besonders in daS deS Klosters St. Gallen. Der Abt verband
sich mit den Herzogen v. Oesterreich. Dagegen suchten auch
die Appenzeller überall Bundesgenossen und fanden solche in
großer Zahl in den Unterthanen der verschiedenen Herren im
Rheinthale. Am rechten Rheinuser waren die Landleute am
Eschnerberge die Ersten, welche sich anschlössen, „Amman und
Landleute all gemeiniglich am Eschnerberg" schwuren den 21.
Juli 1405 zum „Bunde ob dem See", wie sich die mit den
Apenzellern Verbundenen nannten. Bald darauf erweiterte sich
der Bund so, daß er Appenzell, die Städte St. Gallen und
Feldkirch, daS ganze Rheinthal bis SarganS und Vaduz und
daS ganze Jllthal bis auf die Höhe deS ArlbergS umfaßte
Nur der Bregenzerwald, Dornbirn und Bregenz fehlten. Wäh-
rend die erstern Beide später dem Bunde beitraten, scheiterte
daS ganze Unternehmen am Letztern Die Leute in der ei-
gentlichen Grafschaft Vaduz scheinen ruhig geblieben zu fem.
Dagegen suchte der Bund den Bischof Hartmann von Chur
für sich zu gewinnen und sandte deßhalb Boten zu demselben
nach Schaan. Da der Bischof noch immer Oesterreich abge-
neigt war, so zeigte er anfangs Lust seinen Beitritt zu erklä-
ren, konnte sich jedoch zuletzt nicht dazu entschließen. ES wäre
ihm auch nicht sonderlich wodl angestanden Mitglied eines sol-
chen Bundes zu sein. DaS Beispiel eineS schönen Verhält-
nisseS zwischen Herrn und Unterthanen gaben die Stadt
Bludenz und ihr Graf Albrecht der Aeltere von Hciligenberg.
Die Bürger waren fest entschlossen aus Dankbarkeit für die
ihnen ertheilten Freiheiten und Rechte ihrem Herrn treu zu
bleiben. Da aber die benachbarten Montafoner und Rungal-
liner im Bunde waren und den Pludenzern ihr Vieh wegneh.
men ließ der Graf die Bürger vor sich kommen und sprach;
„Liebe Freunde bieweil ich sehe, daß Jedermann im Bunde
ist, so muß ich und ihr verderben und was hälfe mir euer
Verderben? „Ich sage euch ledig von allem Gelübd und Eid,
mit dem ihr mir verpflichtet seid Thut wie andere Leute, das
soll euerm Eide unschädlich sein und laßt mich armen Grafen
euch empfohlen sein und helft mir davon." Die wackern Bür-
ger brachten ihren Grafen, wie er gewunschen über den Tann-
berg nach RothenfelS. Da blieb derselbe bis der Krieg vor-
bei war.
(Fortsetzung folgt.)
Politische Rundschau.
Deutschland. DaS Hauptinteresse des TageS, hinter wel-
chem alle andern Vorgänge im deutschen Reiche verschwinden,
bildet gegenwärtig der Arnim'sche Prozeß. Die Anklage gegen
den ehemaligen Botschafter in Paris lautet auf Vergehen im
Amte. Nach Mittheilung der Personalien Arnims bis auf die
Abberufung vom Pariser Botschafterposten wird bemerkt, daß
der Amtsnachfolger, Fürst Hohenlohe, bald nach seinem AmtS-
antritt im Botschaftsarchiv bei genauer Recherche eine große
Anzahl amtlicher Schriftstücke vermißte. Die Schriftstücke sind
unter drei verschiedenen Rubriken aufgeführt. Der Angeklagte
erscheine überführt, diese Schriftstücke (Urkunden), welche für
die Politik deS deutschen Reiches, resp. dessen Beziehungen
zu den ausländischen Mächten von großer Bedeutung sind, bei
Seite geschafft und unterschlagen zu haben. Die erste Rubrik
umfaßt die geständlich mitgenommenen und auf Aufforderung
deS auswärtigen Amtes später zurückgegebenen Schriftstücke;
die zweite Rubrik solche, die Arnim geständlich an sich nahm,
aber als ihm gehörig zurückhält; die dritte Rubrik endlich sol-
che, von deren Verbleib Arnim nichts wissen will. Die An-
klage deduziert demnächst den amtlichen Charakter fraglicher
Schriftstücke. Die Anklage widerlegt eingehend die Behauptung
Arnims, baß er die in der ersten Rubrik ausgeführten Schrift-
stücke nur an sich genommen habe, um solche dem auswarti-
gen Amte zurückzustellen.
Amerika. In Washington ist der Congreß der Verein.
Staaten Nordamerikas eröffnet worden. Die stärkere demokra-
tische Färbung war auf der ganzen Linie erkenntlich. Präsi-
dent Gram trug seine Botschaft mit einer Würde vor, welche,
wie manche meinten, deutlich seine Zuversicht auf einen dritten
Termin durchblicken ließ. Er freute sich, sagen zu können, daß
Nordamerika mit allen Völkern der Erde, ausgenommen ein
paar widerstrebende Zndianerstämme und Spanien, in Freund-
fchast lebe. Bei Spanien bildet die VirginiuS-Frage noch den
Apropos, die immer noch' auf Regelung wartet. Spanien sei
nicht im Falle, in Euba die Ordnung aufrecht zu halten, und
schade dadurch den^ amerikanischen Handel. Nach der Ansicht
Grant'S werden in dieser Frage sogar die großen Mächte sich
ins Mittel legen müssen.
Verschiedenes.
* (DaS lebendige Passagier gut.) Kürzlich kam
ein Bauer vom Zürchersee mit einem Quersack über die Schul-
tern gehängt nach dem Bahnhof in Zürich, um mit dem
Dampfwagen nach Baden zu fahren. Da aber der Zug nicht
gleich abging, so entledigte sich der Bauer seines, wie es schien,
elwaS schweren SackeS, legte ihn sanft neben sich zur Erde
und wartete ruhig die Zeit deS Abganges deS Zuges ab.
Endlich nähert sich ein Beamter, um daS Passagiergut der Ue-
berfahtt wegen zu wiegen, und ergriff auch den Sack deS
Baueril, legte ihn etwas unsanft auf die Waage, und —
siehe^— das Passagiergut gab einen Schmerzensschrei von sich,
welcher durch Mark und Bein ging. Der Sack wurde natür-
lieh geöffnet, und — darin steckte — deS Bauern zehnjähriger
Knabe, den er auf diese Weise umsonst mit fortzubringen
glaubte.
* Da die Größe einer Milliarde von Vielen noch nicht
recht erfaßt und wenig verstanden ist, so glauben wir, daß
folgende Thatsache zum Verständniß und zur richtigen Würdi-
gung etwas beitragen wird. Von Christi Geburt bis jetzt ha-
ben wir noch keine Milliarde Minuten verlebt: am 1. Jan.
1875 fehlen an der Milliarde noch 15.025,600 Minuten,
und diese berechnet, wird der Umlauf einer Milliarde erfüllt
sein am S. August 1902, Morgens 10 Uhr 40 Minuten.
Unsere deutschen Nachbarn haben von den Franzosen 5 Mil-
liarden Franken erhalten und nichts verspürt. „Wo seid ihr
hingerathen, ihr güldenen Dukaten?-
* Jüngst hat in Prag ein Soldat vom 22. Jägerbataillon
in einem Garten in Folge einer Wette von dem Kopfe eines
dressirten Jagdhundes drei Mal nach einander einen kleine»
Apfel aus der Entfernung von 100 Schritten herunterge-
schössen.