Volltext: Liechtensteinische Wochenzeitung (1874)

welchem alle Staaten Europas (mit vorläufiger Ausnahme 
Frankreichs) sowie die nordamerikanische Union beigetreten 
find, wird ein Gebiet von nahezu dreihundert Millionen Men 
schen umfassen, auf welchem fortan keine Postgrenzen mehr 
bestehen, ein mäßiges einheitliches Porto für Briefe und alle 
Arten von Sendungen zur Geltung gelangen, jedes Hinder- 
niß der freien Bewegung der Korrespondenz beseitigt werden 
foll. Die Errichtung dieses allgemeinen Postverbandes dessen 
endgültige Genehmigung durch die betheiligten Regierungen 
keinem Zweifel unterliegt und dessen Ausdehnung auf an- 
dere außereuropäische Staaten zuversichtlich erwartet werden 
darf, bezeichnet einen höchst bedeutsamen Fortschritt auf dem 
Gebiete des allgemeinen Weltverkehrs. Das hauptsächliche 
Verdienst um die Anregung, Vorbereitung und Durchführung 
des wichtigen Unternehmens gebührt dem General-Postdirektor 
deS deutschen Reichs, Dr. Stephan, welcher seit Jahren sei- 
nen ganzen Eifer an die Verwirklichung deS großen Planes 
gesetzt hat. 
Frankreich. Die offiziösen Blätter bestätigen endlich auch 
die schon seit mehreren Tagen bekannte Thatsache, daß der 
Gesandte der Madrider Regierung, der Marques de la Bega 
de Armijo dem Minister der auswärtigen Angelegenheiten, 
Herzog DecazeS, ein Memorandum überreicht hat, welches 
nochmals, und ausführlicher als die Note vom Juli d. I, 
die Klagen der spanischen gegen die > französische Regierung 
darlegt, und die Antwort auf die Note deS Herzogs DecazeS 
vom 6 August sein soll. Das Memorandum begleiten von 
spanischen Konsuln herrührende Berichte und andere Beweis- 
schristen, welche darthun sollen, daß schon seit vier Jahren die 
Bewachung der Pyrenäengrenze viel zu wünschen übrig lasse, 
so daß außer der gegenwärtigen, auch noch die Regierung des 
Hrn. Thiers, diejenige der Nationalvertheidigung und sogar 
noch daS Kaiserreich in die Anklage verwickelt sind. 
Die meisten Pariser Blätter finden den Ton dieser Rote 
höchst herausfordernd und stimmen in ihrer Beurtheilung der- 
selben dahin überein, daß sie sehr ernste Folgen haben könnte. 
„Wenn wir nur Spanien gegenüberstünden," sagt das „Pay?," 
„so könnten wir zu den an unö gestellten Forderungen ein- 
fach lachen, aber hinter Spanien spüren wir die Hand 
Deutschlands, hinter Serrano sehen wir Bismarck." 
Italien. Die furchtbarste Landplage Italiens sind die 
geheimen Gesellschaften Camora und Maffia auf der Insel Si« 
zilien und in einigen Theilen von Neapel und Rom. Tau- 
sende von Bürgern und Bauern gehören ihnen als Räuber, 
Mörder, Hehler, Spione und Helfershelfer. Sie rauben, mor- 
den und entführen die Leute am hellen Tage und verlangen 
unerschwingliches Lösegeld. Der Bater traut dem Sohne, der 
Sohn dem Vater und Bruder nicht mehr, der öffentliche Ver- 
kehr hat fast ganz aufgehört. Die Polizei findet keine Helfer 
mehr, die Gerichte keine Zeugen und Gefchwornen, ja die 
Richter selber legen aus Furcht vor Rache die Hände in den 
Schooß. Der Landmann und Grundbesitzer wagt sich nicht 
mehr auf seine Felder und selbst der Geschäftsmann in der 
Stadt wagt kaum mehr auszugehen, alle Geschäfte stocken und 
keine Steuern gehen mehr ein. Die Minister verlangen Voll- 
macht zu den umfassendsten AuSnahmSmaßregeln zu Gunsten 
der ehrlichen Leute. 
Die gute alte Tante. 
Humoreske 
von 
Stanislaus Graf Grabowski. 
„Hurrah!" rief der Lieutenant von Rohrbach aus voller 
Kehle, als er, von der MittagS-Parade zurückkehrend, in feine 
ziemlich bescheidene Wohnung eintrat, wo,ihn sein getreue5 
Bursche schon erwartete — „Hurrah abermals und zum drit- 
ten Mate Hurrah!" 
Dabei warf er den Helm auf daS Sopha, Degen und 
Schärpe dazu, knöpfte sich die Uniform auf, als ob ihm die 
Brust darin zu weit geworden wäre, und blickte seinen braven 
Friedrich im abgetragenen Waffenrocke deS Königs beinahe 
muthwillig heiter an. 
Und der Lieutenant von Rohrbach war doch in letzter Zeit 
so recht verstimmt, ganz gegen seine sonstige Gewohnheit, ge- 
wesen — daS wußte Friedrich am besten — er !hatte nicht 
einmal geflucht und gedonnert, was man im Militärstande 
schon erklärlich und verzeihlich, fast natürlich findet, sondern 
er war „recht in sich gegangen", wie Friedrich kopfschüttelnd 
meinte; der ehrlichen, treuen Seele gab eS ja auch jedesmal 
einen Stich in das Herz, wenn sein „guter Herr Lieutenant", 
der doch erst 23 Jahre zählte unv nur einen schwachen blon- 
den Flaumbart um die frischen Lippen trug, den & l'Anglaise 
gescheitelten Kopf hängen ließ, die blauen Augen so melan 
cholisch vor sich hinstarrten und er zuweilen äußerte: „ES 
schmeckt auch gar keine Cigarre mehr!" oder: „Ich will heute 
lieber um 9 Uhr zu Bette gehen, denn morgen um 6 Uhr 
tritt schon die Kompagnie an!" 
DaS waren bedenkliche Krankheitssymptome, die selbst und 
wohl am ehesten ein fühlendes Burschenherz verstehen mußte. 
Noch im letzten Winter, wenn der Lieutenant früh Morgens 
um Drei oder Vier von den Bällen oder Gesellschaften kam 
und Friedrich, der dann auf dem Sopha schlief, erwachte, hatte 
er stets gesagt: „Friedrich, lege Dich nur immer in die Federn, 
aber gib mir vorher noch eine Cigarre, denn ich will sie im 
Bette noch halb aufrauchen" — und dabei mußte der Lieu 
tenant doch schon um 7 Uhr zum Rekruten-Exerciren und es 
war dann immer so schwer gewesen, ihn aus seinem gesunden 
Schlafe; in dem er lächelnd träumte, auf die Beine zu bringen. 
Friedrich hatte auch dieS mit Lust und Liebe fertig gebracht, 
da er als zweijährig gedienter Soldat schon vollkommen begriff, 
der Dienst gehe über Alles, selbst über die besten Träume; sein 
Lieutenant war ja dennoch immer luftig und freundlich gewe 
sen, aber die letzten Monate hatten auch ihn selbst halb me- 
lancholisch gemacht. 
Nun leuchtete in seinem keineswegs hübschen, aber doch 
unbeschreiblich ehrlichen Gesichte auf einmal ein Freudenblitz 
auf; das dreimalige Hurrah, das an die Bayonnetattacke er- 
innert, frischt daS Herz jedes Infanteristen aus. 
„Ist Marschbefehl gekommen, Herr Lieutenant?" fragte er 
mit der Vertraulichkeit, die sich unter gewissen Umständen auch 
mit der Subordination vereinigen läßt. 
Friedrich hatte Grund zu dieser Frage. Ein großer Theil 
der preußischen Armee war damals schon zu dem eigenthümli- 
chen Feldzuge mobil gemacht worden, der mit dem Verluste deS 
bekannten Schimmels von Bronzell und der Olmützer Conven 
tion endete; das Regiment, bei dem unser Lieutenant und sem 
getreuer Schildknappe standen, hatte diese Ordre aber noch nicht 
erhalten und garnisonirte in einer der nordöstlichsten Provinzen, 
weitab vom vermuthlichen Kriegsschauplatze; eS war sogar ein 
sogenanntes Reserveregiment, daS von einer allgemeinen Mobil- 
machung vorläufig ausgeschlossen blieb. Dem unkundigen Leser 
übrigens zur Nachricht, daß diese Reserve-Regimenter damals 
ebenso gut zur Linie gehörten wie alle anderen und ganz^auf 
demselben Fuße standen; bei der neuen Organisation wurden 
ste sogar Füsilierregimenter und bildeten vorzüglich die „Wacht 
am Rhein." 
Friedrich durste also wohl erwarten, daß Marschbefehl ge- 
kommen sei, woran ihm persönlich nicht viel gelegen sein konnte, 
denn sür den gemeinen Soldaten dient eö sich am Ende doch 
besser im Frieden wie im Kriege; aber er dachte in jener 
Selbstverleugnung, die den preußischen Soldaten und inSbe-
	        

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