Volltext: Liechtensteinische Wochenzeitung (1874)

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gene bei Tag den Wunsch äußert, einen Gang auf der Terasse 
zu dachen, von der man unleugbar eine herrliche Aussicht ge» 
nießt, sieht er sich sogleich von zwei Beamten oder Agenten 
umgeben die erheiternd sind wie daS Institut, welchem sie an- 
gehören. Seine Mahlzeiten bezieht der Marschall und sein 
Sohn ans der Kantine, womit genügend gesagt ist, daß sie 
die frugalsten von der Welt sind. Der Marschall erträgt alles 
das mit stoischer Geduld; aber seinem Freund Billette wurde 
eS zu viel und er ist, wie wir vernehmen, soeben in Paris ein> 
getroffen, um den HH. de Broglie und Baragnon vorzustellen, 
wie es in dem Fort St. Margarethe zugeht. Die Marschallin 
Bazaine hat Paris noch nicht verlassen und bewohnt noch immer 
ihr kleines Hotel in der Avenue d'J^na. Es besteht kein Dämpf- 
schiffverkehr zwischen Cannes und der St. Margarethen-Insel; 
Frau Bazaine würde sich auf einige Fischerbarken angewiesen 
sehen, die bei dem in der jetzigen Jahreszeit herrschenden Mi- 
stral auch nur selten die Ueberfahrt unternehmen könnten. Sie 
warlet also resignirt, bis ihr Gemahl eine größere Räumlich- 
feit angewiesen erhält, als die gegenwärtige, in der er nicht 
einmal seine Bücher unterbringen kann. 
Spanien. Aus Madrid wird die Einnahme von Cartha- 
gena gemeldet. Endlich! Die Belagerung hat zwar nicht so 
lange gedauert, wie diejenige von Troja, aber doch ein volles 
halbes Jahr Mitte August 1873 wurden die ersten Operationen 
gegen die Stadt eingeleitet, aber erst am 4 November wurde 
die vollständige Einschließung der Festung von der Seeseite ge 
meldet s das ernstliche Bombardement auf die Stadt selbst wurde 
erst vom 27. November an eröffnet, nachdem die fremden Ge- 
sandten die Stadt'verlassen hatten Was sich in dieser langen 
Zeit in den Mauern Carthagena's zugetragen hat, wird erst 
iy diesen Tagen vollständig aufgeklärt und das Räthsel gelöst 
werten, wie es möglich war, daß ein Hause Abenteurer so 
lange einer kriegsgeübten Flotte Widerstand leisten konnte. 
Z^de^falls mußten die Belagerten Mehrend der Blokade mehr-., 
fach Gelegenheit gehabt haben, sich neu zu verproviantiren und 
unter General Lobo sind einige Jnttrmezzo's vorgekommen, wie 
die Kohlenfahrt nach Alicante, die jedenfalls viel zur Verlänge- 
rung des Belagerungszustandes beigetragen haben. Wie der 
Telegraph meldet, hat sich die edle Junta der Stadt Cartha- 
gena auf die Schiffe begeben, und sich auf diesem im spanischen 
Kriege bereits nicht mehr ungewöhnlichen Wege zu retten ver- 
sucht, zwar nicht in sympathischer Gesellschaft, denn auf dem- 
selben Schiffe, wie die „Bäter der Stadt" befanden sich auch 
die während der Belagerung losgelassenen Jnsaßen des Zucht- 
Hauses, denen um den Preis verzweifelter Gegenwehr die Frei- 
heit geschenkt worden war DaS Schiff, die „Numancia," 
von welchem schon wiederholt die Rede gewesen war, wurde 
nach einem Gefecht mit der spanischen Flotte gefangen und 
zwar mit der Junta an Bord. 
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Verschiedenes. 
* Maschinen- statt Pferdebahnen. Für Deutsch- 
land, welches in vielen seiner großen Städte Pferdebahnen an* 
legt, dürste eS von Interesse sein, zu erfahren, daß man. sich 
in England mit dem Gedanken beschäftigt, auf diesen Bahnen 
hie Pferde abzuschaffen und durch Maschinen zu ersetzen, nicht 
durch Lokomotiven, die ihr Bedenkliches haben, sondern durch 
Maschinen, deren bewegende Kraft, wie bei unsern Taschen- 
uhren, in einer Stahlfeder von entsprechender Stärke bestehen 
soll. An den Ausgangs- und Endpunkten der Fahrt würde 
das Uhrwerk durch stehende Dampfmaschinen aufgezogen wer- 
den, und da die Stahlfabrikanon so weit gediehen ist, um Fe- 
dern jeder beliebigen Stärke erzeugen zu können, dürsten den 
Versuchen anscheinend keine unüberwindlichen Schwierigkeiten 
im Wege stehen. 
* Der unterseeische Tunnel, schreibt der Pariser „Figaro," 
durch welchen man die Küsten von England und von Frank- 
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reich zu verbinden hofft, ist nicht mehr eine bloße Chimäre. 
Eine Kommission, bestehend aus politischen Persönlichkeiten, Ab- 
geordneten oder Generalrathen deS Pas de Calais, und auS 
Männern der Wissenschaft, ist bei Hrn. de Clereq, Abgeordne- 
ter dieses Departements, zusammengetreten, daß der Bau eineS 
unterseeischen Tunnels zwischen Frankreich und England von 
Staatswegen für ein gemeinnütziges Unternehmen erklärt werde. 
Von diesem Beschluß bis zur Ausführung mag der Weg noch 
weit fein; aber eS wäre ein Werk, welches dem 19. Jahrhun 
dert und den beiden Nationen, die es unternehmen zur Ehre 
gereichte. 
* Um ein recht wohlschmeckendes Rauchfleisch herzustellen, 
wird das zu räuchernde Fleisch dem frisch geschlachteten Thiere 
warm entnommen, sogleich in einem zuvor bereiteten Gemenge 
von 1 Theil gepulverten Salpeter und 32 Theilen Kochsalz 
gehörig herumgewälzt, dann überall mit so viel Rogg^leie 
bestreut, als irgend daran hängen bleiben will, und enW^der 
unmittelbar, oder in eine einfache Lage von Druckpapier einge- 
wickelt, in den Rauch gehängt. Die Kleie hält die brenzlichen 
Bestandtheile des Rauches ab und verhütet zugleich^MaS allzu 
starke Austrocknen des Fleisches durch die Wärme. ** Das auf 
diese Weise dargestellte Rauchfleisch besitzt eine denr stark ge- 
räucherten Lachs ähnliche Farbe , es schmeckt bei weitem ange- 
nehmer als das in gewöhnlicher Weise bereitete, und konservirt 
sich auf lange Zeit. 
Feuilleton. 
In der Zwischeu-Etage. 
Ein Drama unter „kleinen Leuten." Bon R. *B, 
Auf einem vornehmen stillen Platze einer großen Hauptstadt' 
des-Mordens stand ein aristokratisch abgesondertes Haus von ei^ 
genthümlicher Bauart. Es hätte nur zwei Stockwerke, ein Hat- 
terre und eine erste Etage, beide hatten hohe stylvolle Fenster 
mit Spiegelscheiben und reichem Gardinenschmuck dahinter. Zwischen 
diesen beiden Etagen befand sich jedoch eine dritte, eine Reihe 
schmälerer und nur halb so hoher, meist kahler Fenster. Dies, 
waren die Wohnungsräume der Dienerschaft, die Gesindestuben,, 
die Borrathskammern, die Küche u. s. w. Es bestand ein höchst 
auffallender Gegensatz zwischen den stolzen, lichtvollen, eleganten 
nnd heiteren Fensterreihen, welche die Herrschaft ankündeten, und 
den halbdunklen kleinen, etwas ödM Quadraten, die der Bedie- 
nung gehörten. Ein aristokratischer Fuß der unteren oder oberen 
Regionen verirrte sich selten in diese Zwischen-Etage und selbst 
die Herrin des Hauses, die alte Gräfin Skjöland, hatte vielleicht 
schon seit Iahren diese Räume nicht besucht. Und doch lebten 
daselbst Menschen, ebenso bewegt von den Neigungen, Leidenschaf- 
ten, Hofsnungen und Resignationen, wie in den kostbar geschmück* 
ten Herrschaftsgemächern. \ 
Da nun also „Helden und Heldinnen" nicht nur auf den, 
parketirten Fußböden einherschreiten und echt menschliche, interes» 
sante Begebenheiten auch in dem Halbdunkel einer Zwischen-Etage 
sich abspielen, so sei es mir erlaubt, meine verehrten Leser auch 
einmal in diese Region zu führen. 
Die Gräfin Skjölauo war eine alte steinreiche Wittwe. Sie 
führte ein großes Haus und hatte, weil sie das für eine Aristo- 
kratin angemessen hielt, ein gewisses vornehm patriarchalisches 
Gefühl für ihre zahlreiche Dienerschaft. Diese befand sich bei 
ihrer Herrschast vortrefflich, es ging ihr materiell durchaus nichts 
ab ; allein eine nähere Beziehung der Gräfin au dieser. Menschen- 
klaffe, etwa einmal eine freundliche Frage zu stellen bei irgend 
einem Unglück, das diese Personen betraf, noch anders als durch ein. 
schweigsames vornehmes Geldgeschenk teilzunehmen, vermied die 
alte Dame sorgfältig, als ob sie sich durch solche Vertraulichkeiten 
für ewig zu beschmutzen fürchte. Es waren daher, wie schon
	        

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