Volltext: Liechtensteinische Wochenzeitung (1874)

den Curgebrauch mit vollkommen befriedigendem Erfolge been< 
det und wird Kissingen nächster Tage verlassen. 
In München wird gegenwärtig das deutsche Sängerbund- 
fest gefeiert Beim Beginne der ersten Festproduktion (.den 9. 
August Nachmittag) hielt der erste Vorstand deS Central'AuS- 
schusseS, Hr. Ob'errechnungSrath Dr Fentsch, folgende Eröff« 
nuugSrede: „Vielliebe Freunde u. Festgenossen! Verehrte Ver 
sammlung! Zum erstenmal seit der Wiedergeburt unseres gro- 
ßen herrlichen Vaterlandes tagen heute die Sänger des Deut- 
schen Reiches. Der deutsche Sängerbund — daö erste Werk 
nationaler Einigung, das wir zu einer Zeit schufen, als wir 
unS über ©ranzpfähle und Markgräben hinweg nur mühselig 
die Hand zum Drucke reichen konnten — der deutsche Sänger 
bund schuldete noch eine Jubelhymne aus den ruhmvollen Dop- 
pelsieg, den wir in jüngster Zeil erfochten. Stark und gewaltig 
hat sich die deutsche Wehr erprobt gegen den Anprgll deS Lan- 
deSfemdeS, stark und gewatig, allen Widersachern zum Trutz 
haben wir die Hydra unserer Zwiettacht bezwungen. Wir sind 
ein einig Volk geworden von den Matten unserer Alpen bis 
an die Dünen der Nordsee! Nun dürfen wir alle offen unv 
freudig bekennen daß uns daS gleiche HeimathSgefühl an die 
deutsche Scholle kettet; daß gleiche Hoffnungen und Schmerzen 
unsere Seelen bewegen, daß gleiche Sprache unv Sitte ein un- 
lösliches Band um uns schlingen, daß wir im Norden wie 
Süden, im Osten wie Westen einen gleichen melodischen Aus- 
druck haben für alles, alles waS uns rührt, entzückt, begei- 
stert — das deutsche Lied. Wo, meine Freunde, ist ein Volk 
in der Welt das Gott mit einem so köstlichen Schatz begna- 
dete als das deutsche Volk mit seinem Liederhorte? Nicht al- 
lein die hundert und aber hundert Vereine sangeskundige Män 
ner und Frauen sind eS welche dem deutschen Liede seine na- 
tionale, culturgeschichtliche Bedeutung geben. DaS ganze deutsche 
Volk singt. Tief in seinem Gemüthe quillt ein unerschöpflicher, 
stetS sich erneuernder Born, der in Wort und Klang Gestalt 
gewinnt. Gesang ist die Offenbarung deS deutschen Genius. 
Das Lied bildet eine der sittlichen Grundlagen unseres Volkes; 
eS ist die Bürgschaft seiner schöpferischen Jugend. Darin kün- 
det sich germanisches Wesen daß eS auS Rhythmus und Wohl- 
laut die Kraft zieht — nicht nur zum Kampfe wiver alle 
Fährlichkeit des Lebens, sondern auch zum Kampfe wieder den 
„alten Riesen" — den Gedanken der unS bisweilen zu erdrü» 
cken droht. „Mnsik ist die Poesie der Luft," sagt Jean Paul. 
Kein Volk ist fühlsamer für diese dichterischen Schwingungen 
des AetherS als daS deutsche. In seiner Urwüchsigkeit ver- 
steht eS zwar nicht wälsche Triller zu schlagen und in Caden 
zen zu springen; aber sein Herz ist bei seinem Lied, und so 
erwärmt und entzündet hinwieder sein Lied auch alle Herzen. 
Das Banner desselben flattert unfern Schlachten wie unfern 
Friedens festen voran, und wie oft lasen wir aus seinen weißen 
Schwingen die müthentfachenden Worte: «üb tioe signo vinces. 
Ja, meine Freunde, im Liede liegt die Gewähr der schöpfen- 
schen Kraft und Jugend unseres Volkes. 
Oesterreich. Wie die „TageSpresse" meldet, ist ein 
deutsches Circular-Schreiben, welches die Anerkennung der 
Madrider Regierung befürwortet, am vorigen SamStag in 
Wien eingetroffen. Das Circularschreiben beschränkt sich dar- 
rauf: den europäischen Cabineten die Erwägung der Oppor- 
tunität der Anerkennung der spanischen Republik nahe zu legen. 
Am 30. Huli ist daS Städtchen Jaworzno in Galizien 
vollständig abgebrannt. 500 Familien sind obdachlos, mehrere 
Personen büßten daS Leben ein. Der Schaden heträgt über 
400,000 fl. — Zwischen Agram und Verbovec wurde am 29. 
Juli die Post von Räubern angefallen, der Postillon ermordet 
und eine Sendung des Agramer SteueramteS mit 10,000 fl 
gestohlen. 
Spanien. Die beiden zum Kreuzen an der Nordküste 
Spaniens bestimmten deutschen Schiffe „Nautilus" und „Alba- 
troß" werden heute den Kieler Hafen verlassen. 
Offiziöse Blätter Frankreichs berichten, daß die Zahl der 
Truppen an der Pyrenäengrenze verstärkk werde und die Be- 
wachung derselben eine strengere sei. Der Madrider „Jmpar- 
cial" wirft aber Frankreich vor, daß die Karlisten nach wie 
vor die Grenze ungefährdet überschritten. 
Die Karlisten, welche Ölot belagerten, sind geschlagen und 
und zersprengt worden, 105 derselben haben bei der Behörde 
sich gestellt und um Gnade gebeten. 
Die „Weser Ztg." meldet, daß der spanische Gesandte in 
Berlin mit der bedeutendsten Militareffekten-Fabrik dieser 
Stadt einen Lieferungsvertrag auf vollständige Ausrüstung für 
125,000 Mann spanischer Truppen, vorbehaltlich der Geneh- 
migung der Madrider Regierung, abgeschlossen habe. 
Volkswirthschastliches. 
Der Wem stock und der Wein. (X.) 
Behandlung des Weinstocks im Sommer. 
| Als eine Pflanze der gemüßigten Zone, hält der Weinstock 
seinen Winterschlaf und überdauert dabei 12 bis 14 °R Kälte; 
doch gehen oft schon im Januar und Februar — bei allfällig 
eintretender wärmerer Witterung — Veränderungen an ihm 
vor, waö wir durch das größer werden der Augen bemerken 
können. Wir sind zu der Annahme gezwungen, daß eS nicht 
die Kälte ist, welche diesen Winterschlaf bedingt, sondern daS 
Bedürfniß nach Ruhe, weil er auch im Süden, mitten in einer 
immer grünen einheimischen Pflanzenwelt, vom Blatte entblößt, 
4 bis 5 Monate lang in tiefem Schlafe verharrt. 
Man kann schon frühzeitig, wenn der Schnitt vollendet ist,, 
mit dem „Stoßen" der RebMöcke oder der Stickel beginnen; 
dieselben werden in manchen Gegenden den Winter über auS- 
gezogen und in Piramiden aufgestellt, weil so der in die Erde 
versenkte Theil mehr vor Fäulniß geschont wird. Hier ist dies 
nicht gebräuchlich, weil der Stickel —des harten steinigen Bo 
dens wegen — in das alte Loch, gestoßen werden muß. Zu 
gleicher Zeit werden die Geländer oder Nahmen, wo diese ein- 
geführt sind, in Ordnung gebracht. Die Holzrahmen müssen 
jetzt überall dem billigeren Drahte Platz machen. Drahtge 
länder lassen sich in sehr steilen und in kleinen Weingarten 
nicht mit Vorlhei! anbringen, dennoch werden die theuren Stik- 
kel immer mehr — namentlich bei neuen Anlagen — von den 
Drahtgeländern verdrängt. 
Sowie man mit dem Stoßen fertig ist, schon Anfangs und 
im Laufe deS Monat März, kann man mit dem „Aufbin- 
den" (Aufrichten) deS WeinstockeS beginnen. In der Spalier- 
wand vertheilt man die stehen gebliebenen Reben derart, daß 
alle Stellen gleichmäß bedeckt erscheinen. Als Band eignet 
sich die We.'denruthe am besten. 
Die Rebe treibt nun allmälig die Augen heraus und ent- 
wickelt sie zu grünen Ruthen, an denen von Mitte April bis 
halben Mai die Gescheine sichtbar werben. So nennt man 
die noch geschlossenen Blüthen. Alle Ruthen können nach ei- 
nem guten warmen Vorjahre Gescheine haben, allein gar oft 
sind die untern 2—3 Augen unbefruchtet und erst aus den 
höher gelegenen entstehen Fruchtruthen. Dieser Umstand muß 
beim Schnitt berücksichtiget werden, denn eS liegt j«. die Mög 
lichkeit nahe, daß durch zu kurzes Schneiden die meisten Frucht- 
äugen entfernt werden und schon durch den Schnitt eine 
ergiebige Ernte unmöglich gemacht wird! 
Wie wir auS der Entwicklungsgeschichte des WeinstockeS 
wissen, entsteht auS jedem Auge eine Ruthe, also je nachdem 
der' Schnitt kurz oder lang war — an jedem Mittlern Stocke 
6—12 und mehr Ruthen. Wir brauchen aber für'S nächste
	        

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