Volltext: Liechtensteinische Wochenzeitung (1874)

Stunde die Bonapartisten in Paris. Sie unterhalten öffent 
liche Einverständnisse mit der Sicherheitswache, welche sich die 
Hände übt um nächstens die Nationalversammlung verdienter- 
maßen zum Fenster hinauszuwerfen. DaS entrüstete Publikum 
hat allen Grund zu glauben, daß der von bonapartistischen 
Agenten überflügelte Polizeipräfekt wenigstens ein passives Ein- 
vernehmen mit der bonapartistischen Jnvaston und Insurrektion 
unterhält, und daß der Minister deS Innern die Nothwehr der 
Bevölkerung als Rebellion betrachtet, während der den Beln- 
gerungSzustand kommandirende General die Erneute ignorirt 
und der Präsident der Republick feine persönlichen Freunde in 
den Reihen der Invasion sucht. Niemals war Paris, das als 
Prostituirte an der Spitze einer zur Pest gewordenen Zivilisa- 
tion figurirt, gründlicher entehrt und geschändet worden. Paris 
stand während der Kommune am Schandpfahl der Humanität. 
Krankhafte Ursachen und die Fatalität plädiren jedoch mildernde 
Umstände. Heute fühlt jeder noch halbwegs anständige Mensch 
in allen Schichten der Gesellschaft sich persönlich entehrt und 
dedroht. Unter allen noch halbwegs ehrlichen Leuten erhebt stch 
ein Sturm sittlichen Widerstandes, der allein noch den letzten 
Rest von Ehre vielleicht retten wird. Diese entschlossene Ein- 
stimmigkeit der Gesellschaft die Ehre durch die Gesetzlichkeit zu 
retten, verhindert noch die allgemeine Erschütterung deS Ver 
trauens. Der Ministerrath ist gleichsam in Permanenz. Der 
Marschall will Magne und Fourtou nicht fallen und gehen 
lassen, weil er besorgt sonst keine Minister mehr zu finden, und 
also auch gehen zu müssen. 
Spanien. Die neuesten Depeschen, vom lt. Juni Abends, 
melden, daß die Truppen des Marschalls Concha ihren Marsch 
(von Logrosio auS) gegen die Linien von Estella fortsetzen, 
und zwar auf dem linken Ufer der Ega (eines Nebenflusses 
deS Ebro). In Madrid war man der Annahme, daß alSbald 
eine Schlacht stch entspinnen müsse. Die Schaaren der Carlisten 
werden aus 25,000—26,000 Mann veranschlagt und stehett, 
wie bekannt, auf den Höhen um Estelli; in letzterem selbst 
haben ste an Mannschaft und Geschützen nur gelassen, waS 
zur Bertheidigung dieses von ihnen wohl verschanzten Platzes 
durchaus nothwendig ist. Zn Durango haben die Carlisten 
zwei abtrünnige Bandenführer erschossen. AuS Madrid wird 
ferner von der Organißrung von 36,000 Rekruten gemeldet; 
mit den offiziellen Ziffern nimmt man eS jedoch bekanntlich in 
Madrid und auch im Lager der Carlisten nie fo genau. — 
Der spanische Gesandte in Washington hat die Weisung er- 
halten, sofort seinen Posten zu verlassen. Der Grund für 
diese Abberufung ist noch nicht bekannt gegeben. Sollte ste er- 
folgt sein wegen der Unterstützung, welche der Aufstand auf 
Euba auS den Bereinigten Staaten erhält? Offiziell war 
Spanien bis jetzt nur noch in Washington und in der Schweiz 
vertreten. 
Landwirthschaftliches. 
Die Getreidep reis« iin» in Frankreich gestiegen. In 
England find st« steh«» geblieben, weil stärkere Zufuhren er- 
wartet werden. AuS 'dem Osten kommen die bekannien .«klagen 
bald über Trockenheit, bald über Raffe in den Saatfeldern, 
was zugleich beweist, daß in denselben nicht Alles im April 
und Mai erfroren ist, denn in diesem Fall« könnt« weder Sonnen- 
schein noch Regen mehr schaden. Im Allgemeinen darf der 
Stand der Saaten gegenwärtig als günstig bezeichne« werden, 
fflton gibt stelSsort gut« Hoffnung auf Preisabschlag bei Kaff« 
und Zucker. 
Zur Rebenkultur. Im landwirthschastlichen Verein 
Reumünfter-Wipkingen behandelte Professor Köhler die Maß- 
regeln betreffend Behandlung der Reben nach starkem Frost. 
Der Vortragende gestand zu, daß eS wenig Mittel gebe, um 
daSUebel gut zu machen; durch das vielfach empfohlene „Ab- 
kneipen" der erfrorenen Schosse werde nichts erreicht. Die 
Hauptsache bestehe darin, so viel als möglich dafür zu sorgen,, 
daß stch ein gehöriges Tragholz auf nächstes Jahr ausbilden 
könne. Darum unterlasse man vor Allem das Läubeln der 
Reben und unterstütze das kräftige WachSthum durch geeignete 
Düngung. 
Verschiedenes. 
* Ein schweres Unglück hat den Direktor Schmidt von der 
rumelischen Eisenbahn getroffen. Derselbe kehrte mit seiner 
Frau von einer Reise zurück, seine Kinder waren in St. Stephans 
zurückgeblieben. Ein junger Ingenieur kam von dort mit dem 
elfjährigen Sohne Schmidt'S den Eltern entgegen und stieg auf 
dem Bahnhofe ab; aus Zeitvertreib zog er einen Revolver 
heraus, den er für nicht geladen hielt, zielte auf den Knaben 
und schoß ihn nieder. AlS bald darauf der Vater ankam^ 
hauchte das arme Söhnlein den letzten Athem in dessen Armen 
auS; die Mutter kam nur zu einer Leiche. Entsetzlicher Leicht 
sinn, der noch immer und immer sich wiederholen muß! Fast 
rasend ist der Thäter herumgelaufen und soll sich als Gefan- 
gener dem Konsulate selbst gestellt haben. 
* Die soziale Stellung deS Elementarlehrers vor Gericht» 
Eine von dem königlich preußischen Kreisgericht zu H. geführte 
Untersuchung ist geschloffen. — Zeuge: Ich bitte um eine An- 
Weisung an die Kasse behufS Erhebung der Diäten. Richter; 
WaS sind Sie? — Zeuge: Elementarlehrer. — Richter: Sie 
bekommen 25' Sgr. —- Zeuge (erinnert sich, daß ein Kollege 
unter ähnlichen Verhältnissen mehr erhalten hat und bemerkt): 
Ich bin auch Gerichtsschreiber. — Richter: Dann erhalten 
Sie 1 Thlr. 15 Sgr. — Zeuge: Ich bin auch Schiedsmann. 
— Richter: Als solcher haben Sie 2Thlr. 15Sgr. zu fordern! 
Verantwortlicher Redakteur u. Herausgeber: vi-. Rudolf Schädler» 
Nichtamtliche Anzeigen. 
Die Kirchenverwaltung von Bendern sucht eine gjrößere 
Anzahl inländischer Obligationen zu kaufen oder wäre auch 
in der Lage, auf sicheres Unterpfand größere Summen aus- 
zuleihen. Darauf Reflektirende wollen sich wenden an den 
Kirchenverwalter Landrath Kind in Bendern. 3i 
Kornpreise vom Fruchtmarkt in Bregenz vom 12. Juni. 
Der halbe Metzen 
beste 
mittlere 
geringe 

kr. 
> fl 
kr- 
fl- 
kr. 
Korn 
4 
50 
1 4 
25 
4 
— 
Roggen .... 
3 
50 
3 
25 
3 
— 
Gerste 
3 
20 
3 
10 
2 
80 
Türken . . . . 
1 2 
80 
1 
50 
2 
20 
Hafer ...... | 
1 
85 
1 2 
75 
1 
70 
Thermometerstand nach Reaumur in Vaduz. 
Monat 
Morgens 
7 Uhr 
Mittags 
12 Uhr 
Abends 
6 Uhr 
Witterung. 
Juni 
10 
+14 
+25 
+20 
halbhell, N.etw.R. 
H 
11. 
+16 
+223/4 
+ 19 1 /* 
n 
H 
12. 
+16 
+20 
+18 
H 
tf 
13. 
+10 
+üy2 
+10 
trüb; Nwd. 
(t 
14. 
+ 6 
+11 % 
+10 
halbhell; do. 
n 
15 
+ 5 
+ 6 
+ 8V2 
trübRg Sch i.d.H. 
it 
16. 
+ 8i/ 2 
+16</ 2 
+II-/2 
bedeckt. 
Telegrafischer Kursbericht von Wien. 
17. Juni Silber . 106.15 
20-Frankenstücke 8.94 
Druck von Heinrich Graff in Feldtirch.
	        

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