Volltext: Liechtensteinische Wochenzeitung (1874)

auf eine Weile auf guten Erfolg hoffen, da blies ein böser 
Geist dem Herrn Salmeron die Marotte inö Ohr, die TodeS- 
strafe abzuschaffen, sogar in der Armee abzuschaffen, während 
mitten im Bürgerkrieg diese selbe Armee auS Rand und Band 
gegangen war und zur Wiederherstellung der Disziplin die 
aKerstärkstsn Mittel nothwendig waren; und als dieser Marotte 
nicht willfahrt wurde, zog er sich grollend zurück. Nun aber 
fiel die Hauptlast der Regierung auf die Schultern Castelar's 
und dieser unterzog sich der furchtbaren Last mit einer wahr- 
Haft heroischen Hingebung. Es mag jetzt nachfolgen, was da 
—will, die Geschichte wird diesem einer bessern Nation würdigen 
-Manne das Zeugniß ertheilen, daß er nicht nur bis zum letz- 
ten Augenblick der reine Charakter und der glänzende Redner 
blieb, als den ihn alle Welt bewunderte, sondern daß er auch 
von Tag zu Tag mehr Staatsmann wurde und namentlich in 
den letzten Monaten des Jahres 1873 Alles that, was einem 
Menschen möglich war, um die Republik zu retten und durch 
die Republik die Ordnung im Land wiederherzustellen. Das 
begriffen nun die in den unseligen Bund mit den Communisten 
gerathenen Anhänger SalmeronS nicht, sonst hätten sie es nicht 
gewagt, in der ersten diesjährigen Cortes-Sitzung der Regie 
rung Castelar'S ein Mißtrauensvotum zu ertheilen. Erst als 
Genera! Pavia mit bewaffneter Macht in daS Haus der spa> 
nischen Volksvertreter einbrach und die Versammlung auflöste, 
ersuchten sie den geschmähten Präsidenten der Republik, das 
Ruder wieder zu ergreifen; doch zu spät, sie hatten ihm und 
sich selbst schon den Boden unter den Füßen entzogen. DaS 
Aufhören der spanischen Republik wird nur mehr eine Frage 
von ganz kurzer Zeit sein. Solche Verheerungen können ent- 
stehen, wenn politische Kinder mit Zündhölzchen spielen. 
Ueber die Vorgänge in der genannten CorteSsitzung macht 
ein Berichterstatter der „Times" folgende nähere Mittheilungen: 
Am 3 Januar herrschte in Madrid große Aufregung, weil sich 
mit großer Schnelligkeit das Gerücht verbreitete: falls Castelar 
geschlagen werden und Pi y Margall zur Bildung eines Mini- 
steriums schreiten sollte, werde die Armee ein Pronunciamento 
veranstalten. Es bildeten sich indessen keine Zusammenrottun- 
gen in der Nähe des Sitzungssaales der CorteS, weil auf Be< 
fehl deS CivilgouverneurS selbst die kleinsten Gruppen durch die 
in der Nähe deS Gebäudes in starken Abtheilungen aufgestellte 
Bürgerwehr sofort zerstreut wurden. Gegen 3 Uhr traten die 
CorteS unter dem Vorsitze SalmeronS zusammen, und Castelar 
verlas die bereits durch den Telegrafen bekannte Botschaft, die 
von allen Parteien kalt aufgenommen wurde. Sennor OliaS 
von der Rechten beantragte ein Dankesvotum, welchem Sennor 
Santamaria mit dem Antrage, die Vorfrage zur Abstimmung 
zu bringen, entgegentrat. Darauf nahm Castelar daS Wort, 
um in kurzen und beredten Worten anzukündigen, daß die Re 
gierung sofort zurücktreten werde, wenn die Vorfrage in Er- 
wägung gezogen werde. Seine Worte wurden von der Gallerie 
mit lautem Beifall empfangen, aber Salmeron erhob sich, um 
mit bitteren Worten das Verfahren deS Kabinets zu tadeln. 
Abermals trat nun Castelar auf zu der Erwiederung, daß die 
Regierung sich immer noch für die Aufrechterhaltung der Ord 
nung verantwortlich erachte. Im übrigen erneuerte er die 
Drohung mit dem Rücktritt des Ministeriums; schließlich zog 
Santamaria seinen Gegenantrag zurück und daS HauS ver 
tagte sich gegen 7 Uhr. Gegen 11 Uhr trat die Versamm 
lung wieder zusammen, und Salmeron griff die Politik der 
Regierung als antirepublikanisch an. Castelar antwortete mit 
einer glänzenden Rede, in welcher er die Politik deS Ministe- 
riumS als republikanisch im besten Sinne, freilich nicht demo- 
kratifch und sozialistisch, darstellte. Seine Allianz mit den Ra- 
Vitalen erklärte er als nothwendig, um das Land gegen die J»t- 
transigenten zu schützen, welche den RepublikaniSmuS zerstörtet, 
indem ste die Reaktion veranlaßten. Mit den bisherigen Cor- 
teS erklärte er jede Regierung für unmöglich, da kein Minist^- 
rium sich mit denselben acht Tage halten könne. DaS DankeS- 
Votum für die Regierung fiel in der Abstimmung mit 100 ge- 
gen 120 Stimmen durch. Sennor Castelar reichte nun formell 
die Entlassung deS KabinetS ein, und die Sitzung wurde sus- 
pendirt, um ein neues Ministerium zu bilden. Palanca ward 
zum Präsidenten gewählt. Plötzlich aber drang gegen 7 Ubr 
Morgens General Pavia mit einer starken Militärmacht in das 
Gebäude ein, und ließ durch seinen Adjutanten den Präsiden 
ten benachrichtigen, daß die Versammlung sich aufzulösen habe. 
Während etwa fünf Minuten ertönten laute Rufe und Pro- 
teste. General SociaS und andere drohten mit Widersetzlichkeit, 
allein die Offiziere erwiederten: sie würden sofort feuern lassen, 
falls die Deputaten nicht gutwillig den Saal räumten. In 
diesem Augenblick wurden zwei Schüsse von den Soldaten in 
die Luft gefeuert, und das Haus löste sich nun unverzüglich 
in großer Verwirrung auf. Die äußerste Linke beeilte sich be- 
sonders, zuerst in'S Freie zu gelangen. Niemand widersetzte 
sich, und eS kam daher weder zu Blutvergießen, noch zu Ver- 
Haftungen. Sämmtliche Deputirte ließ man ruhig ihres Weges 
ziehen. Das diplomatische Korps wurde mit der größten Höf- 
lichkeit behandelt und durch einen Brigadier auS dem Haus 
eskortirt, während die Truppen das Gewehr präftntirten, ehe 
sie in daS Haus eindrangen.. General Pavia hatte sich deS 
Ministeriums des Innern bemächtigt; um den Telegraphen in 
seine Gewalt zu bringen, besetzte er die Hauptpunkte der Stadt, 
besonders die Toledostraße stark mit Truppen und Artillerie, 
und ritt selbst durch die Stadt, um sich zu überzeugen, daß 
seine Vorkehrungen richtig ausgeführt seien Die ganze Sache 
war so gut veranstaltet, daß den Jntransigenten keinerlei Mög- 
lichkeit eines erfolgreichen Widerstandes geboten war. WaS 
die Truppen anbelangt, so schienen dieselben einig und von 
gutem Geist beseelt, befriedigende Mannszucht beobachtend. Un- 
ter solchen Umständen erwartet man, daß in Madrid auf alle 
Fälle keine Unruhen vorfallen werden. ES Amrde ein Befehl 
erlassen, nach welchem sämmtliche Bürger, mit Ausnahme der 
neuen Nationalmiliz, die Waffen abzuliefern haben. Wer dieser 
Verfügung zuwiderhandelt, soll gerichtlich verfolgt werden. 
Deutschland. Die Wahlen für den deutschen Reichstag 
haben am 10. d. MtS. begonnen; wie im letzten, so werden 
auch im neuen Reichstage 2 Parteien sich hauptsächlich feind- 
selig gegenüber stehen, die liberal' Reichspartei und die Ultra- 
montanen. — In der zweiten würtembergijchen Kammer han- 
delte eS sich in der Sitzung vom 8. d. Mts. um die Frage 
der Bestrafung der Schulversäumnisse Diese wurden nach den 
früheren Bestimmungen mit kleinen Geldstrafen von 2, 3, 4 
und 6 Kreuzern abgerügt, was die Leute gar nicht in An- 
schlag brachten, so daß die Schulversäumnisse in einer höchst 
störenden Weise überhand nahmen, und es geradezu wie ein 
Loskauf vom Schulbesuch erschien. Die Oberschulbehörden, das 
evangelische Konsistorium und der katholische Kirchenrath er- 
griffen daher im Januar v. I. die Gelegenheit der Einführung 
deS neuen Polizeistrafgesetzes und des Reichsstrafgesetzes um 
statt der bisherigen mit dem jetzigen Geldwerth in gar keinem 
Verhältniß stehenden Strafen das Strafminimum des Reichs- 
gefetzes von % Thal er oder 24 Stunden Haft eintreten zu 
lassen. Das that gut, und seitherhaben die unerlaubten Schul- 
Versäumnisse fast ganz aufgehört und in Fällen wo eine DiS- 
pensation begründet war, ließ man diese eintreten. Aber daS 
Geschrei solcher Eltern, welche ihre Kinder lieber zu Hause zum 
Viehhüten oder sonst verwendeten, als sie zur Schule gehen zu 
lassen, war groß und drang selbst in die Kammer, an welche 
zwei Anträge in dieser Richtung kamen: der eine von dem 
Abgeordneten Völmle verlangte nichts weniger als daß die 
Verfügungen der beiden Oberschulbehörden außer Kraft gesetzt 
werden, da er solche für ungerechtfertigt erklärte. Der andere 
Antrag von Schwandner war gemäßigter und verlangte nur 
eine Regelung der Sache im Gesetzgebungswege mit minderen 
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