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Politische Rundschau.
Deutschland. Der oberste bmrische Gerichtshof hat die
Nichtigkeitsbeschwerde der Adele Spitzeder M unbegründet ver
worfen. Das SchwurgerichtSurtheil ist daher nunmehr rechtS-
kräftig.
Die preußische Regierung hat die staatliche Anerkennung
deS allkatholischen Bischofs NeinkenS beschlossen.
Der preußische Gesandte in Rom, Keudell, ein Liebling
Bismarks, wird Unterstaatssekretär des Auswärtigen.
In Konstanz wurde am 12. d. der Altkatholiken-
kongreß bei 200 anwesenden Delegirten eröffnet.
Oesterreich. DaS erwartete kaiserliche Patent betreffend
die Auflösung des Reichsrathes, die Vornahme der allgemeinen
Neuwahlen und die Einberufung des neuen Reichsrathes auf
den 4. November 1873 ist am 7. September erschienen.
Ueber die Auswanderung nach Kanada theilt die „Feld-
kircher Zeitung" ihren Lesern folgendes mit:
Die Auswanderung nach Kanada betreffend er-
halten wir aus Milwaukee von einem achtbaren Landsmanne,
der durch vieljährigen Aufenthalt in Amerika mit den dortigen Ver
hältnissen wohl vertraut ist, die Mitteilung, daß die Anprei-
sung von Kanada, wie sie vor einiger Zeil in den Inseraten
der Vorarlberger Blätter, und auch in der Feldkircher Zeitung
enthalten war, stark aufgetragen sei und daß er „jeden Vor
arlberger bedaure, der sich dorthin verlocken lasse."
Wir haüfn uns verpflichtet, diese Notiz zur Warnung
für' Auswanderungslustige zu veröffentlichen^ Möge keiner sich
verleiten lassen, ohne vorher an verläßlicher Quelle, etwa bei
einer kaiserlich österreichischen, kaiserlich deutschen oder schweizeri
schen Konsulatsbehörde nähere Erkundigungen eingezogen zu
haben.
Frankreich. Ueber die Persönlichkeit des projektirten
Königs von Krankreich, des Grasen Chambord, liest man
folgende Notiz eines Legitimisten, der ihn neulich in Frohsdorf
gesehen hat: „Ich bemerkte gleich ftin aufgewecktes und lächeln-
des Gesicht, sein lebhaftes und sympathisches Auge. Er trägt
einen kurzen fast weißen Vollbart und langen Schnurrbart.
ES ist wahr, daß Se. Hoheit ein wenig hinkt, daß sein Bauch
vorspringend ist, wie derjenige Ludwigs XVIII " Laut dem
gleichen Legitimisten hätte Graf Chambord die weise Bemer-
kung von den Lippen fallen lassen: die Republik könne an sich
vortrefflich sei«, aber das französische Volk sei nicht republika-
nisch und man vergleiche mit Unrecht Frankreich mit Amerika..
Die Amerikaner seien weit entfernt, den Franzosen zu gleichen;
was bei jenen möglich, sei es nicht bei diesen. Er hoffe, daß
man bald einsehen werde, daß die Monarchie Frankreich uner,
läßlich sei. Von Mac Mabon soll er gesagt haben, er sei ein
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„Und Du glaubst nicht, daß ihr Jemand dabei geholfen
hat."
„Wer sollte ihr geholfen haben? Die alte Geheimräthin, bei
der sie dient, schreibt keine Liebesbriefe. Bei der würde Louise
jchön ankommen; und sonst kennt sie keinen Menschen im ganzen
Hanse."
„Um so räthselhaster erscheint mir die ganze Angelegenheit.
Das Mädchen besitzt, wenn es wirklich diesen Brief geschrieben
hat, nicht nur eine für ihren Stand ungewöhnliche Bildung,
sondern auch Herz und Gemüth. Wenn sie eben so schön ist,
so kannst Du Dir zu einem solchen Schatz gratnliren."
„Ja die Louise hat es in sich," versetzte der geschmeichelte
Bursche. „Die kann einem etwas zu rächen aufgeben; und ge-
fallen würde sie Ihnen auch: nett gewachsen, drall zum Anbeißen,
iwthe Wangen wie die Boisdorfer Aepfel und Augen wie zwei
feurige Kohlen."
„Wenn Du nicht bald aufhörst, so verliebe ich mich noch in
das Mädchen!" scherzte der Lieutenant gut gelaunt.
„Sie werden doch nicht?" entgegegnete der ehrliche Hans
ehrlicher, ehrwürdiger Mann, nur aber zu versteckt. Graf
Chambord ift geneigt zu glauben, daß die Anhänger des Kaiser-
thumS ihm zufallen werden, denn der Sohn des Kaisers sei zu
jung und eine Regentschaft unmöglich.
Uebrigens erhalten und verstärken sich die Anzeichen, daß die
vielgelesene Fusion der Bourbons und Orleans schon wieder
starke Risse bekommen hat und nahe daran ist, als undurch-
führbar fallen gelassen, oder vertagt zu werden. Die Fusionisten
haben es bloß auf 240 Unterschriften in ver Nationalversamm-
lung gebracht. Die Bonapartisten ließen sich nicht ködern. Auch
Aumale scheint nie ein besonderer Fustonsfanatiker gewesen zu
sein, er betrachtet die Fusion als untbunlich und nimmt sich
seine Freiheit des Handelns zurück. Nun ift die Verlange-
rung der Vollmacht Mac-MahonS auf dem Tapete.
Bei ihrer Selbstüberschätzung, bei dem Mangel an Wahr-
heitsliebe und dem sich breit machenden Größenwahnsinn der
Franzosen ist eS trotz der bittersten Erfahrungen nicht möglich
gewesen, sie bis jetzt zur Selbsterkenntnis und dadurch zur Ein-
kehr bei sich und zur Umkehr zu bringen. Es verdienen daher
wohl die vereinzelten Stimmen aus diesem Volke, 'welche der
Wahrheit die Ehre geben und über die tiefen Schäden deS
französischen Wesens, ernstes Gericht halten, unsere Beachtung.
Zu diesen wenigen Stimmen gehört die des berühmten Natio-
nalökonomen Michel Chevalier. In seiner' Uebersicht über die
Literatur deS Jahres 1871 spricht er es offen auö, daß man
aus derselben Einsicht erhalte in die ganze Unsicherheit und die
Mängel und Hohlheit der französischen Gesellschaft. „Was
alle diese Bücher enthalten, das ist eine Schrecken erregende
Anklage gegen unsern bisherigen Unterricht und unsere Erzie-
hung, gegen die Art und Welse, wie man bisher die Menschen
bei uns abrichtete. Und das gilt nicht etwa vom Straßen-
pöbel allein, nicht blos von den armen Leuten, sondern auch
von den höchsten aristokratischen Klagen, die für gebildet und
aufgeklärt gelten wollen." Chevalier macht keinen Unterschied
zwischen dem Parteitreiben der heutigen Akademie (Gelehrten- .
verein) und der rothen Clubs der Vorstädte. „Es ist hier wie
dort dasselbe System servilen Nachgebens, der Umtriebe, des
Ränke- und Gegenränkeschmiedens, der kleinen Kriege einer
Partei gegen die andere, der Schmähungen, des Geklatsches,
der kindischen Leichtgläubigkeit, der albernen Schwatzhaftigkeit,
der widersinnigen Verfluchungen, der innern Gehässigkeiten; das
alles ist in dem Schlamme der Clubs, bei den Petroleusen
und bei den unschuldigen Akademikern zu beobachten. Derselbe
Mangel an Willenskraft, dieselbe Schwäche, gute Vorsätze aus-
zuführen, dieselbe Fügsamkeit in moralische Sklaverei bei Hoch
und Nieder. Wahrhaftig, es ist eine durchgreifende moralische
Reform nöthig, um den Tempel unserer Literatur, Künste und
Politik wieder aufzubauen." Aber Chevalier glaubt diese Ur-
etwas stutzig. „Doch davor bin ich sicher; der Herr Lieutenant
sind kein solcher Schwimme!; und heirathen werden Sie kein
Dienstmädchen, denn das wäre .^egen die Subordination und
würde sich auch nicht schicken. Außerdem hat mir die Louise ihr
Wort gegeben, und wenn der verwünschte Krieg ein Ende hat
und ich gesund nach Hause komme, so machen wir gleich Hoch-
zeit. Die Ausstattung liegt schon lange fertig; etwgs haben wir
uns Beide gespart und wenn ich noch die Civilversorgung kriege,
so warten wir keine Stunde mehr."
„Nun, was ich dazu beitragen kann, will ich mit Vergnügen
thun."
„Wenn Sie mir nur jetzt erst helfen wollten, damit ich .mich
nicht blamire. Sie brauchen mir den Brief nur zu diktiren; denn
schreiben muß ich selber, sonst riecht die Louise gleich den Braten,
da sie meine Handschrift kennt."
(Fortsetzung folgt.)