Volltext: Liechtensteinische Wochenzeitung (1873)

Liechtensteinische 
Vaduz, Freitag 
Nr. 28. 
den 1. August 1873. 
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werden franco erbeten an die Redaction in Vaduz. 
Vaterländisches. 
(m) Bilder aus der vaterländischen Geschichte. 
Belehrend und anziehend zugleich ist es, die Geschichte ver- 
gangener Zeiten kennen zu lernen. Allerdings haben nur wenige 
Lust und Zeit, aus den staubigen Urkunden und halb oder ganz 
zerfallenen Denkmälern die Vergangenheit unmittelbar kennen 
zu lernen, aber ein Jeder, der noch afi anderm, als am bloßen 
gedankenlosen Alltagsleben Interesse hat, vernimmt gerne Er- 
Zählungen aus früherer Zeit und Schilderungen vergangener 
Zustände. Und welche BelMungen für unser eigenes Verhalten 
im privaten und öffentlichen Leben lassen sich nicht aus den 
Fehlern und Vorzügen früherer Zustände und Sitten schöpfen? 
Gilt das schon von der Geschichte im Allgemeinen, so nach 
viel mehr von der vaterländischen. Wenn unser Ländchen nun 
Gtch klein ist, qwr. WM. doch seit Jahrhunderten ein eigenes 
Gemeinwesen. Darum hqhen mir auch geWinsame Geschicke 
durchgemacht, Geschicke, die für ütis bedeutend genug sind, daß 
wir sie mit Interesse kennen zu lernen trachten. Der sei Rektor 
Kaiser hat mit großem Aufwände von Zeit und Mühe eine 
Geschichte unseres HndchenS geschrieben, die auch bei auswar- 
tigen GeschichtSfreunW große Anerkennung gefunden hat. Theil- 
weise nun an der Hayd dieses BucheS, theilweise nach andern 
zuverlässigen, gedrucktes und unaevruckten Quellen möchten wir 
im Folgenden den Lesern der „siechtenst. Wockenztg." Bilder 
aus unserer Geschichte Hpr Augen führen und wir glauben 
ihnen dadurch einen Dienst zu erweisen 
1. Die ältesten Bewohner. 
Das jetzige Liechtenstein war ein Theil deö alten Ratiens. 
Zu diesem wurden alle Völkerfamilien gezählt, die vom Boden- 
bis zum Comersee und vom Gotthard bis zum Ortler wohnten. 
Ganz Vorarlberg, Liechtenstein, der größte Theil von Tirol, die 
Hweizerischen Kantone Graubünden, Glarus, St. Gallen, 
Appenzell und ein Theil von Thurgau und Uri gehörten daher 
At Rätien. Alle Rätier sprachen, wenigstens zur Zeit der römi- 
fchen Eroberung, die räto-romanische Spracve, welche in Grau- 
bünden noch jetzt theilweise gesprochen wird und von der auch 
an Orten, wo längst die deutsche Sprache Eingang gefunden 
hat, noch Ortsnamen stch erhalten haben, so in Liechtenstein: 
Masescha, Lawodina, Valüna :c. w. 
Bis Rätien, und damit auch unser Land, zu einem wohn- 
lichen und kultivirten Lande wurde, mußten Natur und mensch- 
licher Fleiß Jahrtausende hindurch arbeiten. Die Bergthaler 
bildeten einst lange Reiben von Seeen. Erst allmälig brachen 
die wilden Gewässer sich Bahn durch das Gebirge und ge 
währten so den Wassermassen Abfluß. Ein solcher Durchbruch 
muß unter andern zwischen NmMüscher- und Schollberge bei 
Sargans stattgefunden haben, worauf der Rhein seinen Lauf, 
statt, wie bisher, zum Wallensee, gegen Norden einschlug *). 
Dichter Wald bedeckte ursprünglich das Gebirge und am 
*) v. Moor, Gesch. von Graub. I. S. 34. »Uehrigens ist die 
Rheinniederung in der Nähe von Sargans so wenig über den Rhein 
erhaben, daß es im Jahre 1618, wo derselbe nach langem Regen 
außerordentlich anschwoll, nur durch große Arbeiten möglich wurde, 
seinen Lauf zum Wallenstadtersee zu verhindern. Die Wasserscheide 
besteht zwischen Ragaz und Sargans nur au« der unmerklich gegen 
den Rhein stärker abfallenden Buschär und ist höchstens 2i'0 Schritte 
breit. Nach dem NivellewentC. Eschers von der Linth (i8n8) braucht 
der Rhein nur 19 und einen halben Fuß zu steigen und darüberhin 
gegen den Wallerstadtersee zu fließen, und da er durch Geschiebe 
fortwährend sein Bett erhöht, so könnte eine solche Katastrophe wohl 
einmal möglich werden.« 
Ebel, Anleitung, die Schweiz zu bereisen, 1843, S. 333. 
Feuilleton. 
Meister Martin, der Kiisner, und seine Gesellen. 
Novelle von E. T. A. Hoffmann. 
(Fortsetzung.) 
Der alte Holzschuer, aufgebracht über Meister Martin's Stolz, 
meinte dagegen, daß seine Goldstücke gerade so viel wögen, als 
die des Bischofs von Bamberg und daß er anderswo auch wohl 
für sein baares Geld gute Arbeit zu bekommen hoffe. Meister 
Martin, überwallt von Zorn, hielt mühsam an sich, er durfte 
den alten, vom Rath, von allen Bürgern hochverehrten Herrn 
Holzschuer wohl nicht beleidigen. Aber in dem Augenblicke schlug 
Konrad immer gewaltiger mit dem Schlägel zu, daß Alles dröhnte 
und krachte; da sprudelte Meister Martin den innern Zorn aus 
und schrie mit heftiger Stimme: Konrad — Du Tölpel, was 
schlägst Du so blind und toll zu, willst Du mir das Faß zer- 
schlagen? „Ho, ho," rief Konrad mdem er mit trotzigem Blick 
umschaute nach dem Meister, „ho, ho, Du komisches Meisterlem 
warum denn nicht?" Und damit schlug er so entsetzlich aus das Faß los, 
daß klirrend das stärkste Band des Fasses sprang, und den Rein- 
hold hiuabwarf vom schmalen Brette des Gerüstes, während man 
am hohlen Nachklange wohl vernahm, daß auch eine Daube ge- 
sp.rungen sein müßte. Uebermannt vor Zorn und Wuth sprang 
Meister Martin hinzu, riß dem Valentin den Stab aus der 
Hand, und versetzte laut schreiend: „Verfluchter Hund!" dem 
Konrad einen tüchtigen Schlag über den Rücken So wie Konrad 
den Schlag fühlte, drehte er sich rasch um, und stand da einen 
Augenblick wie sinnlos, dann aber flammten die Augen vor wilder 
Wuth, er knirschte mit den Zähnen, er heulte: „geschlagen?" 
Dann war er mit einem Sprunge herab vom Gerüst, hatte 
schnell das auf dem Boden liegende Lenkbeil ergriffen und führte 
einen gewaltigen Schlag gegen den Meister, der ihm den Kopf 
gespalten haben würde, hätte Friedrich nicht den Meister bei Seite 
genssen, so, daß das Beil nur den Arm streifte, aus dem aber 
das Blut sogleich hinausströmte. Martin, dick und unbeholfen 
wie er war, stürzte über die Fügbank, wo eben der Lehrbursche 
arbeitete, nieder zur Erde. Alles warf sich nun dem wüthenden
	        

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