Volltext: Liechtenstein - 10 Jahre im EWR

Lücken und offen bleibenden Fragen nicht hinreichend, nicht mutig ge- nug kommuniziert hat; dafür hat sie die Quittung erhalten. Man kann diese, angesichts des Geleisteten, ungerecht finden; aber sie bleibt eine Tatsache, mit der die Disponenten der hohen, der abgehobenen Europa- Politik rechnen lernen müssen. Die Frage ist jetzt allerdings, ob diese Rechnung auf der Grundlage des materiell Errungenen – Binnenmarkt und Währungsunion – zurei - chend angestellt werden kann oder ob ihr nicht selbst dann, wenn diese Er run genschaften unzweideutiger wären, als sie sind, etwas Wesent - liches fehlte – ein ganz anderer 
Acquis communautaire. Nennen wir ihn vor läufig: ein europäisches Gemeinschaftsgefühl von der Art, die sich nicht auf die kleine Buchhaltung, auf Gewinn und Verlust aus Krämer - sicht beschränkt; die auch 
Opferfür das Bewusstsein derer, die sie brin - gen müssen, rechtfertigen kann. Worauf lässt sich so etwas wie ein euro - päi scher Patriotismus gründen? Wie sehr und in welcher Form wäre er den Europäern zu wünschen? Wie müsste er beschaffen sein, um die Fal - len der europäischen Vergangenheit zu vermeiden? Das ist, in der Tat, eine bange Frage, aber mit dem Nein zweier poli tisch erfahrener und empfindlicher Völker ist sie gestellt. Und so viel min destens wissen wir jetzt: ein Verfassungstext von einigen hundert Sei ten bringt das Wunder nicht. Aber: auf ein Wunder darf ein Europa, das Europäer in der Wir-Form behandeln können, auch nicht angewie - sen sein. Und eigentlich ist ja das, was gegen jede Wahrscheinlichkeit in und mit Europa schon erreicht wurde, wunderbar genug. Auf dieser Grundlage brauchen wir jetzt die ernsthafte Diskussion darüber nicht zu scheuen, was Europa fehlt, was ihm zu sich selbst und zur Glaubwür dig - keit für seine Bürger fehlt. Und da kommt denn doch so etwas wie Glaube ins Spiel, also eine Di men sion, die in der Betriebswirtschaftslehre nicht vorkommt – und die doch die einzige ist, die – nach den Erfahrungen europäischer Ver - gan genheit – das Zeug hat, das Bewusstsein einer Gesellschaft, und inso - fern auch: die Welt, zu verändern. Glaube ist, das muss man als Europäer besonders gut wissen, eine riskante, eine zweischneidige Grösse. Und im Umgang mit ihr empfiehlt sich eben das, was Gläubigen besonders fremd zu sein pflegt: Vorsicht, Vorbehalt und Selbstkritik. Das euro pä - ische Projekt gibt sich hier in seinem ganzen Anspruch an seine Träger zu erkennen – an ihre Reife und zugleich an ihr Handlungsvermögen, ihre Entschlusskraft. «Der Sinn erweitert, aber lähmt, die Tat belebt, 13 
Gibt es und brauchen wir eine europäische Identität?
	        

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