Max Bill (1908 Winterthur—-1994 Berlin)
‚1 Geordnete Spannungen, 1948; verso sign., bez. u. dat.; Leinwand; 79x79 cm (diagonal); Inv. Nr.: P74M; erworben: 2000
1927 ging Max Bill ans «Bauhaus» nach
Dessau, wo er bei Josef Albers, Läszlö
Moholy-Nagy, Oskar Schlemmer, Wassily
Kandinsky, Paul Klee und anderen studierte.
Sie waren wichtige Wegbereiter und Reprä-
sentanten der modernen Kunst mit jeweils
sehr verschiedenen Überzeugungen und
Formvorstellungen, die ebenso das Konstruk
tive wie das Expressive, das Abstrakte wie
das Gegenständliche, das Sensuelle wie das
Spirituelle umfassten. Im Rahmen dieses
Spannungsfeldes hat Bill ein Werk von
bemerkenswerter Eigenständigkeit und
Konsequenz entwickelt, das ihn wohl zu
einem der bedeutendsten, sicher aber ein-
flussreichsten Schüler des «Bauhauses»
werden ließ. Auf Grundlage der 1930 von
Theo van Doesburg in der Zeitschrift L’Art
zoncret publizierten Ideen präzisierte er
die Definition von Konkreter Kunst, die er
als Maler, Bildhauer, Architekt, Grafiker,
Designer und Kunsttheoretiker mit der
ästhetischen Gestaltung der gesamten
Umwelt zu verbinden suchte: «Konkrete
Kunst nennen wir jene Kunstwerke, die
aufgrund ihrer ureigenen Mittel und Gesetz-
mäßigkeiten — ohne äußerliche Anlehnung
an Naturerscheinungen, also nicht durch
Abstraktion — entstanden sind» (1936).
Den Schritt zur konkreten Gegenstands-
losigkeit vollzog Bill bereits ab 1931. Sein
Bildvokabular bestand nun aus Linie und
geometrischer Form sowie aus flächig aufge-
tragener Farbe, die gelegentlich «nebelartig»
abgestuft und durch an- oder abschwellende
Intensität moduliert wurde. Von 1932 bis
1936 war er Mitglied der Pariser Künstler-
vereinigung «Abstraction-Creation», zu der
neben den Gründern Vantongerloo und
Herbin auch Personen wie Arp, Delaunay,
van Doesburg, Kandinsky, Mondrian und
Vordemberge-Gildewart gehörten. Sie alle
hatten sich die Aufgabe gestellt, der gegen-
standslosen Kunst durch Ausstellungen und
Publikationen ein internationales Forum zu
schaffen. 1949 äußert Bill in einem Aufsatz
folgende Gedanken: «das urelement jeden
bildwerks ist die geometrie, die beziehung
der lagen auf der fläche oder im raum. und
so wie die mathematik eines der wesentli-
chen mittel zu primärem denken und damit
zum erkennen der umwelt ist, so ist sie auck
in ihren grundelementen eine wissenschaft
der verhältnisse, des verhaltens von ding
zu ding, von gruppe zu gruppe, von bewe-
gung zu bewegung».
Diese Gedanken finden in dem nahezu
zeitgleich entstandenen Bild Geordnete
5pannungen eine sichtbare Entsprechung. In
hm hat Bill auf weißem Grund aus 28 farbi-
gen Quadraten von jeweils sechs Millimetern
Seitenlänge vier beziehungsweise sieben
arogressive Reihen gebildet, je nachdem, ob
man sie vertikal oder horizontal liest. Sämt-
ichen Maßverhältnissen liegt die Zahl 3 als
<leinste Einheit sowie die Zahl 6 als (Qua-
drat-) Modul zugrunde. Bei aller Ordnung,
auf der die Reihen basieren, wirkt das Bild
gleichwohl nicht streng mathematisch,
sondern vielmehr poetisch verspielt. Dazu
tragen insbesondere die Kleinheit der Qua
drate, der spannungsvolle Rhythmus ihrer
Abfolge sowie die asymmetrische Platzierung
auf der Bildfläche bei, schließlich auch die
Farben, die ebenso das Ergebnis einer
dewussten Auswahl wie des Zufalls zu sein
scheinen. Auch vermittelt das, wie Bill es
nannte, «spitze», d.h. übereck gestellte
Format, das schon Mondrian ab 1918 hin
Und wieder verwendet hatte, den Eindruck
aufsteigender Dynamik. Vor allem aber
eignet dem Bild eine optische Frische und
Klarheit, die für Max Bills Gesamtwerk
charakteristisch ist.
J.W.