Volltext: Werke aus der Hilti art foundation

Piet Mondrian (1872 Amersfoort—-1944 New York) 
23 Tableau Vill with yellow, red, black and blue, 1925; monogr. u. dat. u. r.: 25 PM; Öl auf Leinwand; 49x41, 5 cm; Inv. Nr.: P23T; erworben: 2002 
Provenienz 
Sophie Küppers, Hannover/Dresden, 1925 
vom Künstler erworben); 
Kunstausstellung Kühl, Dresden, 1926/27 
/von Sophie Küppers); 
Kaiser Wilhelm Museum, Krefeld, ca. 1929-1950; 
Galerie Alex Vömel, Düsseldorf, nach 1950 
bis 1955; 
Karl Anselmino, Wuppertal, ca. 1955-1977; 
>rivatsammlung, Deutschland (von 1977-1988 
-„eihgabe an die Staatsgalerie Moderner Kunst, 
München, Inv. Nr. L 1641); 
Drivatbesitz 
Mondrians künstlerisches Ziel war die Ent- 
aüllung des «Universalen», das, wie er sagte, 
n der Natur nur verschleiert erscheine: 
«Die Natur offenbart alles, das Wahre wie 
das Schöne, aber sie drückt beides nur unter 
dem Schleier der natürlichen Erscheinung 
aus, und in eben diesem Schleier vor der 
Wahrheit liegt das Tragische.» Das «Univer- 
;ale» als Einheit des Wahren und des Schö- 
ıen war also nicht sichtbar zu machen durch 
das Abbilden natürlicher Gegenstände, son- 
dern «nur durch abstrakt-konkrete Gestal- 
tung». Mondrian reduzierte seine abstrakt- 
konkreten Gestaltungsmittel auf Linie, Fläche 
und Farbe, und er reduzierte sie schließlich 
50 radikal, dass er Linien nur als Vertikale und 
Horizontale, Flächen nur als Rechtecke, 
Farben nur als «Primärfarben» gelten ließ. 
Mondrians symbolistische Anfänge wur- 
den durch den analytischen Kubismus und 
dessen Interesse an der Form geläutert. Die 
zunehmende Befreiung der Form von allem 
individuellen und Zufälligen führte ihn 
etztlich zu dem, was er «Nieuwe Beelding» 
nannte und selbst mit «Neue Gestaltung» 
ader «Neo-Plasticisme» übersetzte — ein 
Begriff, der im Zentrum der 1917 in Leiden 
gegründeten Künstlergruppe «De Stijl» 
stand, zu der neben Theo van Doesburg als 
Gründer auch Mondrian und andere gehör- 
ten. Im gleichen Jahr definierte Mondrian 
seine Malerei als Widerspruch «zu den 
Launen der Natur und zur Unordnung der 
Umwelt». Er strebte jedoch keinen starren 
Formalismus an, sondern suchte vielmehr 
ein auf Gegensätzen beruhendes, lebendi- 
ges Gleichgewicht von Linie, Fläche und 
Farbe, denn er war, angeregt durch Hegels 
Dialektik, davon überzeugt, dass das Sein 
aur in Verbindung mit seinem Gegensatz 
«real» werde. 
Die Schaffung eines dialektischen Gleich- 
Jewichts der Gestaltungsmittel als ein aus 
der Formen- und Farbenvielfalt der Natur 
Jewonnener Extrakt gelingt nur mühsam 
und in kleinen Schritten. Linien und farbige 
-lächen entwickeln ihre jeweils eigene Dy- 
namik und finden nicht ohne Widerstände 
zusammen. Die Beobachtung, dass z.B. 
das Nebeneinander von gelben, roten und 
Dlauen Farbflächen zu unterschiedlichen 
Tiefeneindrücken führt, widersprach Mon- 
drians Auffassung von der Malerei als einer 
strikt zweidimensionalen Kunst. Um die Ener 
gie der Farben zu bändigen, ihr räumliches 
Auseinanderstreben zu neutralisieren, bettet 
er sie daher in ein regelmäßiges, aus Senk- 
"echten und Waagerechten bestehendes, 
schwarzes Liniengerüst ein, welches der 
Struktur von gemauerten Wänden gleicht. 
Die statische Struktur dieses Gerüsts ent- 
spricht jedoch nicht seinem Wunsch nach 
ainer lebendigen Ordnung der Gestaltungs- 
mittel. Er geht folglich dazu über, Linien, 
-lächen und Farben in freiem Spiel zu 
<ombinieren und zu fein ausgewogenen 
Kompositionen zusammenzufügen. 
Das freie Spiel der Gestaltungsmittel 
vertrug sich durchaus mit dem Ziel, das 
«Universale» sichtbar machen zu wollen, 
denn auch diesem ist es als dynamisches 
Zlement eigen. Notwendig aber schien 
Mondrian das Festhalten an einer dialekti- 
;chen Bildauffassung. Seine Weltsicht war 
nicht nur durch Hegel oder Spinoza geprägt 
sondern auch durch Theosophie und Neu- 
platonismus, mit denen er durch die Schrif- 
ten des ehemals katholischen Priesters 
Schoenmaeker in Berührung kam. Dieser 
wollte die Natur durchschauen, damit sie 
uns «die innere Konstruktion der Wirklich- 
keit» offenbare, die er in Gegensatzpaarer 
beschrieb: universal-individuell, geistig- 
stofflich, aktiv-passiv, männlich-weiblich. 
Erst Schoenmaekers Theorie vom «Weltbau- 
veranlasste Mondrian, Gegensätze durch 
die rechtwinklige Überschneidung einer 
vertikalen und einer horizontalen Linie 
zu veranschaulichen. Und den bunten 
(«Primär»-) Farben Gelb, Rot und Blau, aus 
denen man seit dem Frühbarock glaubte, 
die ganze Palette mischen zu können, stellte 
er die unbunten Farben Weiß, Grau und 
Schwarz gegenüber, die Mondrian «Nicht- 
Farben» nannte. 
Tableau Vill von 1925 fällt in Mondrians 
«klassische» Zeit (ca. 1920-1932) und weist 
alle Merkmale seiner künstlerischen Überzeu- 
gungen auf, Es gehört zu den «peripheren» 
Kompositionen, denn das große weiße 
Rechteck (kein Quadrat!) beansprucht soviel 
Fläche, dass die kleineren Farbflächen an der 
Rand des Bildes gedrängt sind. Alle «zulässi- 
gen» Buntfarben kommen vor, doch jeweils 
nur einmal. Bewusst hat Mondrian, wie in 
jedem seiner Bilder, Zentrierung und Sym- 
metrie vermieden, hat die Komposition nicht 
rechnerisch durch mathematische Regeln, 
sondern intuitiv, durch spielerisches Kombi- 
nieren, ins Gleichgewicht gebracht. Durch 
die vor den Rahmen tretende Leinwand hat 
er das Bild in den Rang eines Objekts «erho- 
ben», das mit dem Raum kommuniziert. 
Zweifellos sind Mondrians Gemälde 
weltanschaulich begründet, doch wäre es 
verfehlt, in ihnen nichts anderes als gemalte 
Weltanschauung sehen zu wollen. Ihre wun- 
derbare Klarheit und Frische überdauern 
jeglichen Zeitgeist, ihre Textur und Kompo: 
sition zeugen von der hohen ästhetischen 
Sensibilität ihres Urhebers. Es spricht für 
dessen künstlerische Größe, dass er in den 
letzten Jahren seines Schaffens malend die 
Dogmen seiner Malerei in Frage gestellt und 
ihre Strenge durch Heiterkeit gemildert hat 
U.W.
	        

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