Fernand Leger (1881 Argentan-1955 Gif-sur-Yvette)
‚1 La Danseuse, 1929; sign. u. dat. u. r.: FLEGER. 29; rückseitig sign., dat. u. bez.; Leinwand; 92x73 cm; Inv. Nr.: P10T; erworben: 2001
Provenienz
>aul Rosenberg, Paris;
Sammlung Mrs. Sinclair;
Sammlung Daniel Varenne, Genf;
Galerie Beyeler, Basel;
Privatsammlung, USA
Der Kritiker Louis Vauxcelles charakterisierte
LEgers Arbeiten in einer 1911 geschriebenen
Rezension des Salon d’Automne als «tubis-
tisch». Er erfasste mit dieser witzigen Wort-
schöpfung einen durchaus wesentlichen
Unterschied zur «kubistischen» Gegenstands-
auffassung, die Einfluss auf Legers künstleri-
sche Ideen hatte und ihnen doch nicht
eigentlich entsprach. Tatsächlich stellt sich
der in Flächen und «Pläne» zerlegte Bild-
gegenstand des analytischen Kubismus bei
ihm von Anfang an als tendenziell zylindrisch
und vollplastisch dar, ungeachtet flächig
facettierter Details. Die «tubistische» Form-
vorstellung übertrug Leger grundsätzlich auf
all seine der klassischen Themenpalette
entnommenen Sujets, darunter auch auf
die Darstellung des menschlichen Körpers,
wie etwa das im Jahre 1911 entstandene
Gemälde Les Fumeurs (Solomon R. Guggen-
heim Museum, New York) veranschaulicht.
LEger erfuhr die Technisierung und
Mechanisierung des modernen Lebens zu-
gleich als Faszination und Bedrohung. Der
Mensch beherrschte gigantische Maschinen
und war doch in deren Getriebe selbst nur
nehr eine Maschine, deren einzelne Glieder
den Gesetzen der Mechanik gehorchten.
Der Erste Weltkrieg verschärfte diese Erfah-
rung durch die zerstörerische Gewalt der
<riegsmaschinerie. Gleichwohl stand Le&ger
den Errungenschaften der Technik und
Mechanik weiterhin aufgeschlossen gegen-
iber, betrachtete er sie doch auch als Zeuge
des Fortschritts, den er aus einer tendenziell
‚inksorientierten Position heraus durchaus
begrüßte. Mit dieser Position vertrug sich
auch ein ent-individualisiertes, aus der Idee
der Gleichheit geborenes Menschenbild,
das sich problemlos mit «tubistischen» Form-
vorstellungen in Übereinstimmung bringen
‚ieß, wofür Le Mecanicien (National Gallery
of Canada, Ottawa) von 1920 als Beispiel
gelten mag.
Der Frau als Einzelfigur begegnen wir im
Nerk L&gers schon 1912/13, etwa im Modele
1u dans l’atelier (Solomon R. Guggenheim
Museum, New York). Im Verlauf der zwan-
ziger Jahre tritt eine zunehmende Verein-
'achung der Formenvielfalt ein. In archaischer
3lockhaftigkeit stellt L&ger nun die mensch-
iche Figur, einzeln oder paarweise, vor
einfarbige Bildhintergründe, wie auch im
Semälde La Danseuse von 1929. Der in
ebhaften Schattierungen, mit Weiß und
Selb malerisch durchmischte grüne Grund,
vor dem sich die Halbfigur der Tänzerin
‚und-füllig abhebt, erzeugt den Eindruck
ichter Natur. Durch Ocker und Weiß sind
die Glieder des Körpers klar gegeneinander
Anterschieden. In großen Wellen, einer
Wasserkaskade gleich, fällt das schwarze
AAaar über Schulter und Rücken. Ein blau-
weiß gestreiftes Tuch, zum Grün und Ocker
einen schönen Kontrast bildend, bedeckt
den Unterkörper der ansonsten unbekleide-
ten Frau. Während ihre Rechte in dieses Tucl
greift, liegt ihre Linke auf der Stirn. Der Kop"
‚st seitlich nach hinten geneigt, das Gesicht
ernst, doch unpersönlich, wie in teilnahms-
loser Betrachtung eines Gegenstandes
verloren. Man stellt sich die Figur eher
sitzend als stehend, kaum aber tanzend vor
n ihr hat L&ger zweifellos Vorlagen von
Picasso verarbeitet, wie ein Blick auf dessen
vereits 1919/20 geschaffene Zeichnung
der Drei Tänzerinnen (Mus&e Picasso, Paris,
Zervos XX1X,432) zeigt, deren üppige
Sliedmaßen den eingenommenen Ballett-
posen eine schwerfällige Note verleihen. Vor
allem ihre Kopf- und Armhaltungen fordern
zum direkten Vergleich mit L&gers Figur auf
Picasso selbst wiederum ließ sich für Posen
dieser Art unter anderem von Werbefoto-
grafien der «Ballets Russes» anregen.
La Danseuse könnte auch Buste de femme
oetitelt sein, wie jene 1931 entstandene
3leistiftzeichnung (Christie’s, London, Juni
2003, Nr. 5), in welcher LEger die gleiche
Figur vor die Ecke eines Innenraumes plat-
ziert hat. Aus der im Gemälde entblößten
inken Brust scheint hier ein Apfel geworden
zu sein, welchen die Frau in ihrer rechten
Hand hält - beide Varianten gleichsam
als Symbol verführerischer Weiblichkeit. Das
aigentliche Thema des Gemäldes aber ist
wohl die plastische Gegenwart des mensch.
ichen Körpers, der menschliche Körper
als bildnerische Synthese aus Linie, Form
und Farbe
U.W