Paul Klee (1879 Münchenbuchsee/Bern-1940 Muralto-Locarno)
18 Gemüsegarten, 1925, 14 (K 4); sign. u. bez. 0. I.: Klee 1925 K 4; Öl auf Karton; 36x53 cm (originale Rahmenleisten); Inv. Nr.: P1U; erworben: 2000
Provenienz
Alfred Flechtheim, Düsseldorf/Berlin/Paris/London,
bis 1927;
Rudolf Probst (Galerie Neue Kunst Fides;
Das Kunsthaus), Dresden/Mannheim, 1927-1933;
Hans und Erika Meyer-Benteli, Bern;
Ted und Meret Schaap-Meyer, Vallamand-Dessous,
bis 1996
Paul Klee gehört zu den bedeutendsten
Wegbereitern der abstrakten Kunst. Dies
mag auf den ersten Blick paradox erschei-
nen, da auf seinen meist kleinformatigen
Werken immer Bezüge zur sichtbaren Wirk-
lichkeit zu finden sind. Doch diente Gegen-
ständliches Paul Klee nicht zur Darstellung
des Gesehenen. Vielmehr ging es ihm
darum, «das nicht Sichtbare sichtbar zu
machen». Die in seinen Bildern, Aquarellen
und Zeichnungen stets erkennbaren Konfi-
gurationen und Szenen sind deshalb stets
Ausdruck seines Bestrebens, die hinter den
Dingen verborgenen Wirkungskräfte des
Kosmos und der Natur, d.h. der geistigen
und der materiellen Kräfte, anschaulich
werden zu lassen. In seinem Werk fließen
verschiedene Aspekte des ganzheitlichen
Denkens zusammen, das einen großen Teil
der Künstler der klassischen Moderne prägte.
Wie sehr sich dieser Künstler zwischen
den verschiedenen Strömungen seiner Zeit
zu bewegen vermochte, zeigen seine engen
Kontakte zur Künstlergruppe «Der Blaue
Reiter» in München vor dem Ersten Welt:
krieg sowie die Tatsache, dass er sowohl!
Lehrer an dem von Walter Gropius in Wei-
mar ins Leben gerufenen «Bauhaus» war
als auch zu den Teilnehmern der ersten
Ausstellung surrealistischer Kunst 1924 in
Paris gehörte. Von den Nationalsozialisten
mit Berufsverbot belegt, emigrierte Klee in
die Schweiz, wo er 1940 nach langer, schwe-
rer Krankheit starb.
1925 veröffentlichte Klee am «Bauhaus»
das «Pädagogische Skizzenbuch», in dem er
in systematischer Weise seine Methode der
Bildgestaltung anhand der Linie und der
Fläche erstmals erläuterte. Das Ölgemälde
Gemüsegarten, das im selben Jahr entstand,
bezieht sich deutlich auf verschiedene
Kapitel dieses Buches und veranschaulicht
darüber hinaus in überzeugender Weise
<lees Naturverständnis.
Wir sehen eine durch ein Gitter von
verschieden großen und unterschiedlich
ausgerichteten Rechtecken gegliederte
Fläche. Jedes Viereck ist in einem Farbton
zwischen Grün, Ocker und Braun einheitlich
ausgemalt. Die Farbe wurde recht dick
aufgetragen und bildet an vielen Stellen eine
gestaltete Reliefstruktur, die aus einzelnen
punktartigen Erhebungen bestehen, aber
auch ein Muster aus Kreisen, Sternen oder
Gittern aufweisen kann. Darüber liegen
einfache Strichzeichnungen, die den Titel
des Gemäldes näher kennzeichnen. Es han-
delt sich um Darstellungen von Pflanzen,
die nicht genauer bestimmt werden können
Die meisten Pflanzen bestehen aus einer
Senkrechten, aus der von ihrem Mittelpunki
aus nach links und rechts oben jeweils eine
oder mehrere kürzere Linien diagonal her-
austreten. In der rechten Bildhälfte werder:
die Darstellungen komplexer, und es
tauchen auch geschwungene Linien auf.
Die linke Hälfte des Bildes ist zudem durch
die Farbgebung harmonisch ausbalanciert
es herrscht eine Stimmung der Ruhe. Das
rechte Drittel dagegen ist von Brauntönen
dominiert und wirkt weniger ausgeglichen.
Hier hat Klee auch zusätzlich orange Tupfer
aufgetragen, die teilweise Blütenblätter
darstellen, teilweise auch Blätter von
Büschen.
Im Bild ist also eine deutliche Bewegung
von links nach rechts als von der Ruhe zur
Energieentfaltung zu erkennen. Die Pflanze
war für Klee ein grundlegend energetisches
Gebilde, in dem mit den Säften Energien
fließen. An den Knotenpunkten, d.h. dort,
wo sich verschiedene Linien treffen, ist
besonders viel Energie vorhanden. Dabei
weist die geschwungene Linie ein deutlich
höheres Energiepotential auf als die gerade
Linie. Während wir es also im linken Teil des
Gemäldes mit einem Garten zu tun haben,
der sich in einer Phase der Wachstumsruhe
befindet, ist das rechte Drittel von einer
hochenergetischen Entwicklung der Pflanzeı
geprägt. Die Sterne, die zwei obere Farb-
felder ausfüllen, sind dafür ein deutlicher
Beleg, ebenso wie die gekrümmten, aber
offenen Linien im mittleren Teil. Im unteren
Teil schließlich weisen Kreisformen, die zu
geschwungenen Ketten zusammengefügt
sind, auf die ausgebildeten Früchte hin. So
zeigt das Gemälde letztlich den jährlichen
Rhythmus eines Gartens, der den größeren
Teil des Jahres in Ruhe verbringt, um dann
in großer Dynamik die Früchte hervorzu-
bringen. Dass je nach Jahreszeit unter-
schiedliche Pflanzen Früchte ausbilden und
ihre ganze Energie dafür verwenden, ist
daneben ebenso erkennbar. Damit ist letzt
lich der‘ Gemüsegarten ein Sinnbild für
den Mechanismus der Fortpflanzung, der
die Welt aller Organismen prägt. Es ist
typisch für Paul Klee, dass er in dem kleinen
Germüsegarten ein Modell für die große
Ordnung des Lebens erkannte und als
solches veranschaulichte.
F.M