Volltext: Werke aus der Hilti art foundation

Fernand Leger (1881 Argentan-1955 Gif-sur-Yvette) 
4 Contraste de formes, 1914; monogr. u. dat. u. r.: F.L14; Leinwand; 61x50 cm; Inv. Nr.: P11T; erworben: 2000 
Provenienz 
Maurice Laffaille, Paris; 
sammlung Ernst Beyeler, Basel (seit 1961) 
Die mit Contraste de formes betitelten 
Gemälde und Gouachen Legers sind zeitlich 
auf die Jahre 1912 bis 1914 beschränkt. 
Mit ihnen wendet sich der Maler endgültig 
von seinem Frühwerk ab, dessen wenige 
Zeugen in Anlehnung an den Impressionis- 
mus und Postimpressionismus entstanden 
waren. Mit ihnen vollzieht er auch den 
Schritt zur Gegenstandslosigkeit, genauer 
formuliert, zur Abbildiosigkeit, denn den in 
diesen Werken erkennbaren Formen fehlt 
zwar jede mimetische Ambition, sie halten 
aber gleichwohl die Erinnerung an Gegen- 
stände wach, die auf ihre Grundform im 
Sinne Cezannes reduziert wurden: auf Zylin- 
der, Kugel und Kegel. Schon vor 1912 hat 
Leger, unter dem Einfluss C&zannes sowie 
der kubistischen Werke Picassos und Braques, 
Gegenstände der sichtbaren Wirklichkeit 
auf diese geometrischen Grundformen 
zurückgeführt, etwa in seinem 1910 ent- 
standenen Gemälde Nus dans la for&t, Und 
auch während der Jahre 1912 bis 1914 ver- 
bindet sich mit seinen nunmehr abstrakten 
Formen immer wieder das Gegenständliche, 
woraus Titel wie Les Maisons sous les arbres, 
L’Escalier oder La Femme assise resultieren. 
Tatsächlich ist L&ger kein Maler der Abstrak- 
ion, sondern die Abstraktion dient ihm 
kurzfristig als Mittel zur radikalen Klärung 
der «drei bildgestaltenden Grundelemente 
Linie, Form und Farbe» und deren «simul- 
taner Zusammenordnung» (Löger). 
Bei dem hier gezeigten Gemälde hat 
L&ger in einem weitgehend vertikal struktu- 
rierten Liniengerüst räumlich wirkende 
Kegelstümpfe unterschiedlicher Größe 
zu einer zentralen Bildfigur aufgetürmt. 
Obgleich diese Kegelstümpfe, deren Schnitt- 
‚Jächen unregelmäßige Kreise bilden, 
übereinander gestapelt und ineinander 
gesteckt erscheinen, unterliegen sie weder 
ainer statischen noch einer perspektivischen 
_ogik. Das Bildgefüge ist — eine Errungen- 
schaft des Kubismus — gänzlich autonom 
.ınd folgt allein den gestalterischen Absich- 
:en des Künstlers, der erkennt, dass sich mit 
abstrakten, mehr durch den reflektierenden 
Verstand als durch die sinnliche Anschauung 
gewonnenen Formen ein vollständiges Bild 
erschaffen lässt. Dieses Bild bedarf, neben 
inie und Form, noch der Farbe als drittem 
„bildgestaltenden Grundelement», das wie 
7leisch zum Gerippe kommt. Die Farben 
sind freilich ein Hinzugefügtes und gliedern 
sich in die durch die Linien vorgegebenen 
:ormen ein, wenn auch nicht sklavisch an 
deren Umriss gebunden und daher in einer 
Art freiem Schwebezustand befindlich. 
jie sind, zumeist in Parallelschraffuren, mit 
ebenso rascher und sicherer Hand aufgetra- 
gen wie die Linien selbst und stehen in ihreı 
Frische und Leuchtkraft dem Orphismus 
(vgl. Kat. Nr. 12) näher als dem Kolorit des 
analytischen Kubismus. Es kontrastieren Rot 
und dunkles Grün, dem sich akzentuierend 
Selb, Blau und zartes Violett hinzugesellen. 
Auch Weiß kommt zum Einsatz, das den 
Kegelstümpfen wie Glanzlicht aufgesetzt ist 
Jnd deren räumliche Wirkung verstärkt. 
Stellenweise blieb die weiß grundierte Lein- 
wand unbemalt. An einer subtilen Aus- 
nischung der Farben war L&ger nicht inter- 
essiert. Ihre Buntwerte sind gleichermaßen 
elementar wie die Formen, in die sie ein- 
geschrieben sind. Im Zusammenwirken 
argeben sie ein flächiges und räumliches, 
ein statisches und dynamisches, ein graphi- 
sches und malerisches, ja ein robustes und 
zugleich fragiles Bild — ein Bild voller Kon- 
craste also, die unvereinbar scheinen mögen 
und dennoch miteinander ins Gleichgewicht 
gebracht wurden. 
«Kontrast» bedeutet in der Vorstellung 
„Egers «Dissonanz» und daraus resultierend 
ein «Maximum an Ausdruckskraft». Als 
«dissonant» beurteilte er, wie zahlreiche 
seiner Äußerungen belegen, die sozialen 
und technischen Umbrüche seiner Zeit, 
die er mit seismographischer Empfindsam- 
keit registrierte, das «schnelllebige, viel 
‘ältige Getriebe» des modernen Lebens, 
das «uns hin und her schiebt und uns zu 
zerreißen droht». Künstlerisch antwortete 
LEger auf diese ZerreiRßprobe, unmittelbar 
vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs, fast 
gleichnishaft mit den Contrastes de formes 
als einer im abstrakten Gewand erscheinen- 
den Versöhnung der Gegensätze ohne 
Aufhebung der Spannung. 
UW
	        

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