Alexej von Jawlensky (1864 Torschok-1941 Wiesbaden)
0 Landschaft bei Murnau, ca. 1910; sign. u. I.: A. Jawlensky.; verso bez.: Gelbe Abendwolken; Karton; 33,2x41,2 cm; Inv. Nr.: P8T; erworben: 1999
Provenienz
Privatsammlung, Deutschland
1896 siedelte Alexej von Jawlensky zusammen
mit Marianne von Werefkin von St. Peters-
burg nach München über, wo er, wie ein
Jahr darauf auch Wassily Kandinsky, die Kunst-
schule des Anton AZbe besuchte. Zu einer
tieferen Beziehung zwischen Jawlensky und
Kandinsky kam es erst in Murnau, wo Kan-
dinsky und Gabriele Münter 1909 ein Haus
erworben hatten (siehe Kat. Nr. 9), in dem
sie Jawlensky und von Werefkin häufig als
Gäste willkommen hießen. In dieser ebenso
freundschaftlichen wie kreativen Gemein-
schaft gediehen bald schon jene Ideen,
die nur wenig später in die Kunst des
«Blauen Reiters» Eingang finden sollten.
Die Vereinfachung der Form und die
Dominanz der Farbe sind in den Werken
der vier Künstler die auffälligsten Merkmale.
Jawlensky hatte, anders als Kandinsky, schon
an der Akademie in St. Petersburg sowie
durch seine Bekanntschaft mit dem russi-
schen Maler Ilja Rjepin eine Vorstellung
von den Werken van Goghs und Cezannes
gewonnen, durch den malenden Mönch
Jan Verkade (Pater Willibrord) aus Beuron,
den er 1906 kennen lernte, wiederum von
der flächigen Malerei der französischen
«Nabis», die in der Nachfolge Gauguins
(siehe Kat. Nr. 1) standen. Bereits 1905 hatte
er Henri Matisse in Paris und Ferdinand
Hodler in Genf getroffen. So war Jawlensky
in der Murnauer Gemeinschaft nicht nur der
ältere, sondern auch der erfahrenere Künst-
ler, der die Malerei seiner Freunde erkennbar
beeinflusste. Kandinsky, der im Unterschied
zu Jawlensky ab 1910 den Schritt zur reinen
Abstraktion vollzog, zeigte sich dem Älteren
gegenüber stets dankbar für die Murnauer
Zeit, «da Sie mich lehrten»
Das Dorf Murnau ist hier, hinter freiem
Feld, gegen einen Gebirgszug der Alpen
gesehen. Über dessen Silhouette erhebt
sich am rechten Bildrand die Pfarrkirche
St. Nikolaus, die noch heute das Ortsbild
von Murnau beherrscht. Dem dunklen
Violett der Berge und der Kirche ist das helle
satte Gelb der Abendwolken komplementär
entgegengestellt. Diesen dramatischen
Farbklang begleiten kräftige Akzente in Blau
und Orange sowie in Rot und Grün. Alle
7arben sind mit lebhafter Geste auf den
Malkarton gesetzt, halten sich in ihrer Aus-
dehnung jedoch weitgehend an die Umriss
linien, die Jawlensky zuvor summarisch in
dunklem Blau angelegt hat, wodurch der
Eindruck eines «Cloisonne» entsteht,
umschlossener Formen, wie sie für die kunst
handwerkliche Zellenschmelztechnik (Email
cloisonn&) charakteristisch sind. Emile Ber-
nard und Gauguin hatten dieses «Cloisonne:
für die Malerei entdeckt und dunkle Kontu-
ren zu einem Ausdrucksmittel erhoben, das
auf viele Künstler stilbildende Wirkung hatte
wie auch ihr «Synthetismus», ihre praktizier
te Synthese aus einfacher Form und klarer,
gegenstandsunabhängiger Farbe. Mehrfach
bediente sich auch Jawlensky in kunsttheo-
retischen Gesprächen des Begriffs der «Syn-
these», für die er in seiner Landschaft bei
Murnau ein anschauliches Beispiel gegeben
hat. Gabriele Münter fasste in knappen
Worten zusammen, worum es damals ging
«Weg vom impressionistischen Naturabma
len und hin zum Fühlen des Inhaltes, zum
Abstrahieren - zum Geben des Extraktes.»
In diesem Extrakt hat die Verwandlung
eines äußeren Eindrucks in ein inneres Erleb-
nis sichtbare Gestalt anadgenommen.
UW.