herstellen kann. Entsprechend frühzeitig haben sie ein Interesse an der Etablierung und Sicherung zwischenstaatlicher Verträge und völker - recht licher Normen gewonnen, die für regularisierte ökonomische Aus - tausch beziehungen die notwendige Voraussetzung bilden. 3) Lange, bevor es Atomsprengsätze und Fernlenkwaffen gab, mussten die Bewohner sehr kleiner Staaten schon mit der Tatsache zu - recht kommen, in einem militärisch verwundbaren, von den Waffen des Feindes jederzeit erreichbaren Territorium zu leben und einen externen Angriff als «totalen Krieg» zu erfahren, der alle öffentlichen und priva - ten Ressourcen bindet und das Überleben des gesamten Staats wesens be- droht. So haben sie viel früher als grössere Staaten gelernt, dass mili tä - rische Expansionsstrategien einerseits keine brauchbare Option dar - stellen, und dass es andererseits sehr viel attraktivere Wege staatlicher Selbst behauptung (z.B. mittels der Kontrolle von Handels- und Finanz - trans aktionen)
gibt. «Subjektive» Kleinstaatlichkeithat innerhalb der vergangenen Jahr zehnte weltweit dadurch zugenommen, dass in einem Feld sich ver - dichtender globaler Interdependenzen immer mehr auch die grösseren Staaten jene Verletzlichkeiten, Abhängigkeiten und Souveränitätsver - luste erfahren, die früher allein kleineren Staaten vorbehalten waren.7 Das relativ kontinuierliche Voranschreiten des Europäischen Eini - gungs werks hat viel damit zu tun, dass alle europäischen Staaten nach dem Zweiten Weltkrieg die USA als Referenz- und Vergleichsstaat wähl - ten: und sich dementsprechend alle als relativ kleine Staaten defi nie ren, die aufgrund ihrer beschränkten nationalen Mittel auf solidarische Ko - ope ration und den Ausbau supranationaler Institutionen verwiesen sind. Vor allem Deutschland hat sich aufgrund seines geschwächten Natio nal - bewusstseins nach dem Zweiten Weltkrieg konsequent von hege m onia - len Machtambitionen verabschiedet und auf das Selbstver ständ nis, ein zweit rangiger, weltpolitisch unbedeutender Staat zu sein, zurück ge zo - gen. Als «grösster Kleinstaat der Welt» (Katzenstein) zeigt Deutsch land sowohl in seiner politischen Binnenorganisation wie seiner Wirtschafts- und Aussenpolitik Eigenheiten, die eher an Dänemark oder die Nieder - lande als etwa an die USA oder Japan erinnern. 138Hans
Geser 7Geser, Was ist eigentlich ein Kleinstaat? In: Kirt/Waschkuhn(Hrsg.), Kleinstaaten- Kontinent Europa. Probleme und Perspektiven, 2001.