Volltext: Das Verhältnis zwischen Völkerrecht und Landesrecht nach Massgabe der Praxis des Staatsgerichtshofes des Fürstentums Liechtenstein

sowohl aus theoretischer?96? als auch aus praktischer®”9 Sicht äu- 
sserst heikel®571 und ändert nur schon durch seine Existenz jene Pa- 
rameter, unter denen Liechtenstein mit anderen Völkerrechtssubjek- 
ten in völkerrechtliche Bindungen tritt. Unter den Bedingungen 
dieser Revision droht eine Prozessflut, die nur durch eine Reform 
wieder eingedámmt werden kann. Die Probleme dieser Perspektive 
liegen schon heute auf der Hand; die Neuordnung leidet schon vor 
ihrem Inkrafttreten unter Korrekturbedürftigkeit. Mit der Revision von 
Art. 104 Abs. 2 erster Satz LV zeigen alle Indikatoren der Verfassung 
vom 16. Márz 2003 in die der Praxis des Staatsgerichtshofes entge- 
gengesetzte Richtung. Diesem Umstand gesetzgeberisch oder ge- 
richtlich gerecht zu werden wird Keine leichte Aufgabe sein. 
den werden, als dass die LV insgesamt (und nicht nur einzelne Gesichtspunkte wie z.B. der 
Wesensgehalt der Grundrechte oder die ,Strukturprinzipien’ der liechtensteinischen Verfas- 
sungsordnung) den Prüfungsmasstab bilden soll; siehe hierzu die nicht in allen Punkten und 
Gewichtungen kongruenten Studien Winklers (Prüfung) S. 9ff und Kohleggers (Prüfung) S. 
4f. 
3569 Eine gánzliche oder teilweise Kassation eines vólkerrechtlichen Vertrages, der ein untrennba- 
res Ganzes (einen Interessensausgleich) bildet, ist nicht móglich und steht im Widerspruch zu 
den Art. 26 und 27 WVRK. Ebenso unmóglich ist es, einen ,vólkerrechtlichen' von einem ,in- 
nerstaatlichen Geltungsgrund vólkerrechtlicher Vertráge zu unterscheiden, die ein unter- 
schiedliches Schicksal haben kónnen. Schliesslich ist an den von Epiney (Primat) S. 557 ver- 
tretenen Grundsatz einer ,Parallelitàt der Formen" zu erinnern; siehe hierzu das 14. Kapitel 
Pkt. 4.1.3.2. 
3570 Man kann sich fragen, welchen Akt der Staatsgerichtshof unter Art. 104 Abs. 2 erster Satz LV 
in den Fállen der Verfassungswidrigkeit eines vólkerrechtlichen Vertrages aufheben (kassie- 
ren) soll. Hierfür in Frage kommen: 
- die Paraphierung/Unterzeichnung des Vertragstextes durch die Regierung; 
- die Genehmigung gemáss Art. 8 Abs. 2 LV; 
- eine (allfällige) Volksabstimmung gemäss Art. 66bis Abs. 1 LV; 
- die Ratifikation durch die Regierung; 
- die Kundmachung im Liechtensteinischen Landesgesetzblatt. 
Logisch ebenso wie zeitlich vor dieser Frage stellt sich jene, in welchem Akt der ,innerstaatli- 
che' Geltungsgrund vólkerrechtlicher Vertráge zum Ausdruck kommen soll, der nach Massga- 
be der Erláuterungen der Regierung in ihrem Schreiben vom 22. Oktober 2002 ein anderes 
Schicksal erfahren kann als der ,vólkerrechtliche' und der als solcher den Gegenstand einer 
Kassation durch den Staatsgerichtshof und damit das ,Anfechtungsobjekt' bilden soll. Den 
Studien Winklers (Prüfung) und Kohlegger (Prüfung) lásst sich eine Antwort auf diese Frage 
nicht entnehmen. 
3571 Trotz der Erläuterungen der Regierung in ihrem Schreiben vom 22. Oktober 2002 in einem 
Umfang von 12 Seiten stehen die Einzelheiten der Auswirkungen von Art. 104 Abs. 2 erster 
Satz LV alles andere als fest. So hat sich die Regierung in diesen Erläuterungen in einem 
Umfang von mehr als vier Seiten (S. 5 bis 9) dazu gezwungen gesehen, das in dieser Bestim- 
mung ,neu aufgelegte' und damit in vollem Umfang bestátigte Kassationsprinzip als Rechts- 
folge einer vom Staatsgerichtshof festgestellten Vertassungswidrigkeit vólkerrechtlicher Ver- 
tráge zu relativieren und der Wirksamkeitstorm der Aufhebbarkeit gemáss StGH 1993/4 an- 
zunáhern; siehe hierzu das das 11. Kapitel Pkt. 3.2. 
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