Volltext: Das Verhältnis zwischen Völkerrecht und Landesrecht nach Massgabe der Praxis des Staatsgerichtshofes des Fürstentums Liechtenstein

obwohl Art. 23 StGHG allen drei Rechtsgrundlagen (LV, EMRK und 
UNO-Pakt II) den gleichen Stellenwert als Prüfungsmasstab verleiht 
und obwohl die politischen Rechte (die , Volksrechte' im engen Sinne) 
vom Staatsgerichtshof als Grundrechte bezeichnet worden sind, die, 
aus diesem Grunde, grundsátzlich auf der gleichen Stufe stehen wie 
die durch die EMRK garantierten938!, Vor diesem Hintergrund bleibt 
die Frage offen, ob StGH 1998/61 zwischen den Anwendungsfällen 
von Art. 23 Bst. a StGHG einerseits und Art. 23 Bst. ¢ StGHG ande- 
rerseits insofern differenziert, als eine Uberpriifung des EWRA nur 
an den von der EMRK garantierten Grundrechten, nicht aber an je- 
nen des UNO-Paktes II erfolgen kann. Wáre dem so, bestünde auch 
in diesem Zusammenhang eine Unter- bzw. Überordnung, die umso 
unverstándlicher wáre, als das EWRA vor allem auf die politischen 
Rechte einen besonderen bzw. einen besonders starken Finfluss 
hat3382, 
Im Verhältnis zwischen dem EWRA (Primär- und Sekundär- 
recht) und dem Landesrecht hat der Staatsgerichtshof in StGH 
1998/61 trotz aller Bedenken nichts anderes als das getan, was er zu- 
vor als ,implizit im Widerspruch insbesondere zu Art 7 EWRA “5883 
bezeichnet hatte: Er hat mit der von ihm geschaffenen Môglichkeit 
einer Überprüfung von EWR-Recht auf seine inhaltliche (,materielle") 
Vereinbarkeit mit der LV (und mit der EMRK) einen , Vorrang der 
Verfassung und somit von Landesrecht gegenüber EWR-Recht^3384 
begründet. Dass nur bestimmte Bestandteile der LV (und der EMRK) 
— die „Grundprinzipien und Kerngehalte der Grundrechte der Lan- 
desverfassung“ 3385 - das Privileg dieses Vorranges geniessen, ändert 
daran ebenso wenig wie der Umstand, dass in Bezug auf den Begriff 
der ‚Grundprinzipien’ der LV nach wie vor offen ist, worin diese be- 
stehen3386, Mit dem vom Staatsgerichtshof in StGH 1998/61 aufge- 
stellten Grundsatz, dass Vólkervertragsrecht auf seine materielle Ver- 
fassungsmássigkeit überprüft werden kann, ist — in seiner Praxis zum 
ersten Mal — ein Vorrang des Landes- vor dem Vôlkervertragsrecht be- 
gründet worden. 
3381 StGH 1978/4, LES 1/1981 S. 1ff sowie StGH 1986/10, LES 4/1987 S. 152. 
3382 Siehe hierzu statt vieler Wille (Staatliche Ordnung) S. 87 oder Bruha/Büchel (Grundfragen) S. 
11. 
3383 StGH 1998/61, LES 3/2001 S. 130. 
3384 StGH 1998/61, LES 3/2001 S. 130. 
3385 StGH 1998/61, LES 3/2001 S. 130. 
3386 Siehe hierzu das 9. Kapitel sowie unten Pkt. 3.1.3. 
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