Volltext: Das Verhältnis zwischen Völkerrecht und Landesrecht nach Massgabe der Praxis des Staatsgerichtshofes des Fürstentums Liechtenstein

In seiner Praxis ist der Staatsgerichtshof auf die Frage nach 
dem Bestand und Inhalt von Staatsvertragsschranken sowohl unter 
formellen als auch unter materiellen Gesichtspunkten eingegangen, 
ohne dass er seine Praxis unter diesen Titel (unter den Titel der 
,Staatsvertragsschranken’) gestellt hätte. In diesem Rahmen sind — 
dem Vólkervertragsrecht gegenüber — Vorbehalte begründet worden, 
die dort, wo sie durchgesetzt worden sind, zu dessen gänzlicher oder 
teilweiser Aufhebung geführt haben30?’. Die Frage nach dem Be- 
stand und Inhalt solcher Staatsvertragsschranken hat in diesen Fällen 
nicht nur eine theoretische, sondern vor allem auch eine praktische 
Bedeutung erfahren. 
Auf die Vorbehalte (des Landesrechts), die vom Staatsge- 
richtshof (dem Völkervertragsrecht gegenüber) geltend gemacht 
worden sind, wird in den folgenden beiden Kapiteln unter dem Titel 
der formellen und der materiellen Verfassungsmässigkeit des Völ- 
kervertragsrechts eingegangen. Dieser Ansatz folgt der Lehre3028, 
wobei unter ,formeller Verfassungsmássigkeit' die Übereinstimmung 
der Form3?9?9 und unter ‚materieller Verfassungsmässigkeit" die 
3027 Siehe hierzu das 24. Kapitel Pkt. 2. 
3028 Siehe hierzu Winkler (Prüfung) S. 4 zu Art. 104 Abs. 2 erster Satz LV: ,Das Kriterium ,Verfas- 
sungsmássigkeit' umfasst alle wesentlichen formellen und materiellen Bedingungen der Lan- 
desverfassung für das verfassungsmässige Zustandekommen und für die Geltung und Ver- 
bindlichkeit von Staatsvertrágen"; ,Verfassungswidrigkeiten von Staatsvertrágen können“ 
nach dems. (Prüfung) S. 10 ,formal oder materiell sein". 
3029 Unter den Begriff der ,Form' kónnen verschiedene Tatbestánde fallen, wie insbesondere die 
Art und Weise der Kundmachung. Móglich sind aber auch andere Tatbestànde, wie — in Be- 
zug auf formelle Gesetze — das Fehlen einer der vier Gültigkeitsvoraussetzungen wie z.B. der 
Sanktion durch den Landesfürsten oder der Gegenzeichnung durch die Regierung. Batliner 
(Aktuelle Fragen) S. 68 spricht in diesem Zusammenhang von einer Instanz (dem Staatsge- 
richtshof), ,welche die der Verfassung nachgeordneten Normen sowie deren Zustandekom- 
men auf ihre Verfassungsmässigkeit überprüft" und an anderer Stelle (EMRK) S. 104 (Fus- 
note 25) davon, dass ,der Mangel ... auch im prozeduralen Zustandekommen liegen (kann)". 
Formelle Gesetze, deren prozedurales Zustandekommen einen solchen formellen Mangel 
aufweisen, leiden unter formeller Verfassungswidrigkeit und kónnen einen Gegenstand der 
Normenkontrolle bilden (Prüfungsgegenstand). Der gleiche Fall — jener der formellen Verfas- 
sungswidrigkeit — kann aber auch in Bezug auf das Vólkervertragsrecht eintreten, wie z.B. 
dann, wenn die Durchführung der Anwendbarkeitsverfahren unter einem Mangel leidet oder 
dann, wenn — wie es in StGH 1993/6, LES 2/1994 S. 41ff behauptet worden war — eine vôl- 
ker- oder landesrechtliche Formvorschrift nicht zur Anwendung gebracht worden ist. Im An- 
lassfall war geltend gemacht worden, dass im Rahmen des ERHÜ die Kundmachung einer 
Beitrittsnotifizierung' unterlassen worden sei und dass dies (sinngemáss) die Rechtsfolge ei- 
ner formellen Verfassungswidrigkeit nach sich ziehe. Der Staatsgerichtshof hat diese Vorbrin- 
gen in StGH 1993/6, LES 2/1994 S. 45 als unbegründet zurückgewiesen, nachdem die 
Kundmachung einer ,Beitrittsnotifizierung"^ nichts anderem als einer blossen Ordnungsvor- 
schrift entspreche. Siehe zu dieser Frage im Kontext des Wirtschaftsvertragsrechts auch Bru- 
ha/Büchel (Grundfragen) S. 12 (Fussnote 129), wonach sich ,liechtensteinische Gerichte ... 
bislang darauf beschränkt (haben), die formelle Rechtmässigkeit (Zuständigkeit der Schweiz, 
Erfordernis rechtsstaatlicher Kundmachung) schweizerischen Rechts zu prüfen“. Auf solche 
Fälle wird im 24. Kapitel jedoch nicht eingegangen, sondem nur auf den Sachverhalt der for- 
mellen Verfassungsmässigkeit aufgrund einer nicht verfassungs- oder gesetzmässigen 
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