Volltext: Das Verhältnis zwischen Völkerrecht und Landesrecht nach Massgabe der Praxis des Staatsgerichtshofes des Fürstentums Liechtenstein

Rechtsunterworfenen haben ein Interesse an einer Wahrung des 
Rechtsstaatsprinzips im Sinne einer Durchsetzung der Verfassungs- 
bzw. Vólkervertragsrechtsgewáhr i.S.v. Art. 114 LV?692, 
Dieses subjektive wird durch ein zweifaches objektives Interesse 
verstárkt: Zum einen muss in einem Rechtsstaat nicht nur über die 
Rechtmássigkeit, sondern vor allem auch über die Rechtskraft einer 
Rechtsvorschrift Rechtsklarheit bestehen. Dies ist jedoch dann nicht 
der Fall, wenn die Anderen Gerichte dazu in der Lage sind, diese 
Frage - ohne eine Anrufung des Staatsgerichtshofes — getrennt und 
unabhàngig voneinander zu beantworten. Unter einer solchen Vor- 
aussetzung droht eine Fragmentarisierung des objektiven Rechts in der 
Schlüsselfrage der Rechtskraft von Rechtsvorschriften und damit eine 
Gefáhrdung der ,Einheit der Rechtsordnung/?953, die auch unter 
dem Gesichtspunkt des Gleichheitssatzes des Art. 31 LV nicht hinge- 
nommen werden kann. Zum anderen ist das Vorlageverhalten der 
Anderen Gerichte, das — wie das Beispiel des OGH zeigt — zur Unein- 
heitlichkeit neigt?99^, zu kanalisieren. Die sich aus einer solchen Unein- 
heitlichkeit ergebende Lnberechenbarkeit schafft eine Rechtsunklar- 
heit, die das Vertrauen der Rechtsunterworfenen in den Rechtsstaat 
und damit den Rechtsfrieden als solchen beeintráchtigt. Fine verfas- 
sungs- oder vólkervertragsrechtswidrige Bestimmung aufzuheben 
oder ,aus gewichtigen Gründen ausnahmsweise" nicht aufzuheben, 
,muss allein dem Staatsgerichtshof vorbehalten sein'?955, 
Unabhängig von diesen Gesichtspunkten ist darauf hinzuwei- 
sen, dass der Tatbestand eines legislativen Unrechts nur in den Fällen 
einer Verletzung des Völkervertrags-, nicht aber auch in den Fällen 
einer Verletzung des Verfassungsrechts zur Haftbarkeit Liechten- 
steins führen kann?®56, Aus diesem Grunde ist eine Antragspflicht 
und nicht nur ein Antragsrecht dann, wenn der Prüfungsmasstab das 
Völkervertragsrecht und nicht das Verfassungsrecht ist, erst recht zu 
vertreten: In diesem Falle, in dem es um die Frage der Vertragser- 
füllung i.S.d. Art. 26 und 27 WVRK geht, ist eine Befassung des 
2652 Siehe hierzu das 14. Kapitel Pkt. 4.1.3.1. 
2653 StGH 1979/3, LES 1981 S. 110. 
2654 Siehe die Diskrepanz zwischen der Vorgehensweise des OGH in seinem Beschluss vom 2. 
Juni 1978, OG 76/77-23, LES 1981 S. 118ff einerseits und in seinem Beschluss vom 10. Ja- 
nuar 1979, Rs 172/78-24, LES 1981 S. 135f andererseits: Wáhrend der OGH die Zustàndig- 
keit des Staatsgerichtshofes zur Normenkontrolle im ersten Falle anerkannt hat, hat er sich im 
zweiten Falle als im eigenen Recht und Namen als dazu befugt angesehen, eine dem Vólker- 
vertragsrecht widersprechende Bestimmung des Landesrechts ohne Anrufung des Staatsge- 
richtshofes als aufgehoben und ausser Kraft gesetzt" zu bezeichnen. 
2655 StGH 1996/36, LES 4/1997 S. 216. 
2656 Siehe hierzu das 22. Kapitel Pkt. 2.2. 
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