Volltext: Das Verhältnis zwischen Völkerrecht und Landesrecht nach Massgabe der Praxis des Staatsgerichtshofes des Fürstentums Liechtenstein

4.1.3.1 
Vorrangprinzip und Verfassungsgewähr 
In Art. 114 LV heisst es unter dem Titel „Verfassungsgewähr und 
Schlussbestimmungen", dass „alle Gesetze, Verordnungen und sta- 
tutarischen Bestimmungen, die mit einer ausdrücklichen Bestim- 
mung der gegenwärtigen Verfassungsurkunde im Widerspruche ste- 
hen, ... hiermit aufgehoben beziehungsweise unwirksam (sind); jene 
gesetzlichen Bestimmungen, die mit dem Geiste dieses Grundgeset- 
zes nicht im Einklang stehen, werden einer verfassungsmässigen Re- 
vision unterzogen”. 
Wird diese Bestimmung — zu der keine Praxis des Staatsge- 
richtshofes besteht — als Ausdruck einer allgemein verbindlichen!907 
Entscheidung des Verfassungsgebers mit dem Ziel der Verfassungs- 
gewähr verstanden, bildet sie einen von mehreren Ausgangspunkten 
für eine Antwort auf die Frage, wie mit Konflikten zwischen zwei 
miteinander unvereinbaren Bestimmungen in der liechtensteinischen 
Verfassungsordnung zu verfahren ist; sie bildet eine Kollisionsnorm, 
und zwar von Verfassungs wegen. 
Als eine Bestimmung unter dem Titel „Verfassungsgewähr” 
im XI. und damit im letzten Hauptstück der LV kommt Art. 114 LV 
in erster Linie die Bedeutung einer „Rechtsüberleitung“ 1908 im Sinne 
einer Garantiebestimmung zu, mit der die Massgeblichkeit der am 24. 
Oktober 1921 in Kraft getretenen LV sichergestellt werden sollte. In 
diesem Rahmen besitzt Art. 114 LV die Funktion eines Mechanismus’ 
für die Anpassung des alten (Gesetzes- und Verordnungs-)Rechts an 
das neue (Verfassungs-)Recht. Dieser Mechanismus hat zwei Stoss- 
richtungen: 
e Der erste Teilsatz von Art. 114 LV bezieht sich auf Fálle, in de- 
nen echte oder verdeckte Konflikte, also Normwidersprüche zwi- 
schen zwei miteinander unvereinbaren Bestimmungen beste- 
hen. In diesen Fállen hat die LV die Rechtsfolge einer 
automatischen Aufhebung bzw. Unwirksamkeit des widerspre- 
chenden alten Rechts angeordnet, ohne dass dieses durch den 
Landtag (auf Antrag der Regierung!909) oder durch den 
1907 Siehe hierzu Art. 112 Abs. 1LV. 
1908 Kley (Verwaltungsrecht) S. 46. Die im ersten Teilsatz von Art. 114 LV vorgesehene Rechts- 
überleitung ist, was die endgültige und abschliessende Ausserkraftsetzung der vor dem 1. 
Januar 1863 erlassenen Rechtsvorschriften betrifft, am 16. November 1967 sowohl formell als 
auch materiell vollzogen worden; siehe das Bereinigungs-Gesetz. Art. 1 dieses Gesetzes 
lautet wie folgt: „Alle vor dem 1. Januar 1863 erlassenen Rechtsvorschriften (Gesetze, Ver- 
ordnungen, Patente, Dekrete und dergleichen) mit Ausnahme der Staatsvertráge und der im 
folgenden Artikel aufgeführten Erlasse sind ausser Kraft". 
1909 Art. 115 Abs. 1 und 2 LV per analogiam. 
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