4.1.2.1
EWR-Recht
Der Vorrang des EWR- vor dem Landesrecht ergibt sich wenn auch
nicht unmittelbar, so doch mittelbar aus Art. 121 Bst. b EWRA, der -
der Benelux-Klausel des EG-Vertrages nachempfunden — die Zusam-
menarbeit innerhalb der liechtensteinisch-schweizerische Regional-
union (d.h. innerhalb der Rechts- und Wirtschaftsgemeinschaft mit
der Schweiz) unter bestimmten Bedingungen wahrt. In einem Um-
kehrschluss ergibt sich aus dieser Bestimmung, dass das EWRA, und
zwar sowohl dessen Primár- als auch Sekundárrecht, den Wirtschafts-
verträgen vorgeht, wenn seine Ziele , durch die Anwendung des Ver-
trages gleich oder besser verwirklicht werden^1885 und wenn der in
Frage stehende grenzüberschreitende Sachverhalt sowohl einen
EWR-Bezug als auch einen Bezug zur schweizerisch-liechtenstei-
nischen Regionalunion besitzt. Dies bedeutet aber nichts anderes, als
dass in Konfliktfállen ,nicht nur entgegenstehendes", sondern ,auch
gleichlautendes bilaterales Recht ... vom EWR-Recht verdrängt wer-
den (dürfte)^1886.
Die Schweiz ist dem EWRA zwar nicht beigetreten. Der Vor-
behalt von Art. 121 Bst. b EWRA, der Bruha/Büchel zu dieser Fest-
stellung veranlasst hat, ist seiner ratio dadurch jedoch nicht beraubt
worden: Unabhángig davon, ob die Schweiz ein EWR-Mitgliedstaat
ist oder nicht und unabhängig von seiner Sonderstellung im EWR1887
ist es Liechtenstein unmöglich, die Tatsache seiner Rechts- und Wirt-
schaftsgemeinschaft mit der Schweiz geltend zu machen, um sich,
den anderen EWR-Mitgliedstaaten gegenüber, seiner völkerrechtli-
chen (EWR-rechtlichen) Bindungen zu entziehen. Stehen sich eine
Bestimmung des EWR- und des Wirtschaftsvertragsrechts in einem
Normenkonflikt 1888 gegeniiber, muss einer Anwendung des EWR- vor
dem Wirtschaftsvertragsrecht der Vorzug gegeben werden. ,Vertragli-
che Parallelregimes”, die Liechtenstein ,den gemeinschaftlichen
Uberwachungs- und Durchsetzungsmechanismen” 1889 des EWRA
1885 Bruha/Büchel (Grundfragen) S. 7.
1886 Bruha/Büchel (Grundfragen) S. 7. Im gleichen Sinne wohl Batliner (Schichten) S. 298 (Fuss-
note 42), wo davon die Rede ist, dass durch das EWR-Recht ,manche aufgrund des Zollver-
trages ... bestehende Vorschriften ersetzt (werden)".
1887 Siehe hierzu den Beschluss des EWR-Rates Nr. 1/95 vom 10. Márz 1995 über das Inkraft-
treten des Abkommens über den Europáischen Wirtschaftsraum für das Fürstentum Liech-
tenstein, LGBI. 1995 Nr. 70; LR 0.110.02.
1888 Siehe hierzu das 17. Kapitel Pkt. 2.2.
1889 Bruha/Büchel (Grundfragen) S. 7.
353