liechtensteinischen Verfassungsordnung und von der Regierung unter
Art. 70b VRG bestütigt worden!"!^.
An dieser Praxis, die in der Tradition eines Erkenntnisses aus
dem Jahre 1956 steht!715, darf vor allem deshalb nicht gerüttelt wer-
den, weil sie die Rechtsschutz- und Rechtssicherheitsinteressen der
Einzelnen an der Schnittstelle zwischen dem Landes- und dem Vól-
kervertragsrecht wahrt. Beispielhaft hierfür ist das Erkenntnis StGH
1997/29, in dem der Staatsgerichtshof die Móglichkeit einer Verfas-
sungsbeschwerde (Grundrechtsrüge) auch in den Fällen einer Verlet-
zung von grundrechts-gleichen Rechtspositionen dann eróffnet hat,
wenn diese Rechtsansprüche durch einen vólkerrechtlichen Vertrag auf
Verfassungsstufe garantiert werden (wie im Anlassfall durch das
EWRA aufgrund seines ,materiell verfassungsándernden bzw. —er-
gánzenden Charakters/)!716, Mit der Finalitát dieser Praxis steht der
Umstand, dass Verfassungs- und Staatsvertragsreferenden gemáss
Art. 66 Abs. 2 LV einerseits und Art. 66bis Abs. 1 LV andererseits die
gleichen Quoren zur Voraussetzung haben, im Einklang.
Dem Standpunkt der Regierung, wonach ein Verfassungsrang
vôlkerrechtlicher Vertráge ,grundsátzlich' ausgeschlossen sein soll,
darf aber auch deshalb nicht gefolgt werden, weil es unter dieser Àn-
nahme keinen Prüfungsmasstab von Verfassungs- und Gesetzesinitiati-
ven gemáss Art. 70b VRG mehr geben kann: In diesem Falle besteht
weder die Bezugsgrósse (ein verfassungsándernder oder -ergánzender
vôlkerrechtlicher Vertrag) noch die Voraussetzung eines Vorranges
vôlkerrechtlicher Verträge vor dem Landesrecht auf Verfassungsstu-
fe sowie auf der Rechtsquellenstufe formeller Gesetze (wie es die Re-
gierung inzwischen ebenfalls anzunehmen scheint!"!7). Unter diesen
1714 Siehe hierzu den BuA Nr. 50/2001 (Bericht und Antrag der Regierung an den Landtag des
Fürstentums Liechtenstein betreffend die Vorprüfung der angemeldeten Volksinitiative zur
Abänderung von Art. 20 der Landesverfassung) S. 7: ,Staatsvertrágen, welchen ein weniger
hoher Rang als der Verfassung (Unterverfassungsrang) zukommt, kónnen für Verfas-
sungsánderungen kein Prüfungsmasstab bilden". Diese Aussage setzt die Móglichkeit eines
Verfassungs- oder gar Überverfassungsranges vólkerrechtlicher Vertráge wenn auch nicht
explizit, so doch implizit voraus.
1715 Gutachten des Staatsgerichtshofes (ohne Geschäftszahl) vom 7. März 1956, ELG 1955-1961
S. 111, in dem davon, dass ein vôlkerrechtlicher Vertrag ,die durch die liechtensteinische
Verfassung gewährleisteten Rechte der Staatsbürger“ unter Umständen „verletzt“, wie von ei-
ner Selbstverständlichkeit ausgegangen wird. Ist dem aber so, muss es sich bei diesem völ-
kerrechtlichen Vertrag um einen solchen mit verfassungsändernder bzw. -ergänzender Wir-
kung handeln.
1716 Siehe hierzu StGH 1997/29, n. publ., Pkt. 3.3.1 der Entscheidungsbegründung, S. 13 des
Entscheidungstextes, sowie das 18. Kapitel Pkt. 5.2.
1717 Regierung (BuA Nr. 88/2002) S. 7.
328