Volltext: Das Verhältnis zwischen Völkerrecht und Landesrecht nach Massgabe der Praxis des Staatsgerichtshofes des Fürstentums Liechtenstein

e Drittens ist der Geltungsgrund von Rechtsvorschriften i.S.v. 
Art. 3 Bst. c KmG, die im Liechtensteinischen Landesgesetz- 
blatt zwar nicht kundgemacht worden, für die Behörden ge- 
mäss StGH 1985/1 jedoch trotzdem verbindlich sind, ein völ- 
kervertrags- und kein landesrechtlicher!!33. Obwohl sie vom 
Staatsgerichtshof begründet worden ist, handelt es sich um ei- 
ne vôlkervertragsrechtliche und nicht um eine landesrechtliche 
Wirksamkeitsform!!?^ — es handelt sich um eine Wirksam- 
keitsform, die mit dem Schicksal ihrer vilkervertragsrechtlichen 
Grundlage steht und fällt: entfällt diese Grundlage, besteht an 
ihrer Stelle auch keine wie auch immer geartete landesrechtli- 
che, d.h. weder eine gesetzliche noch eine richterrechtliche. 
Der Rechtskrafttypus der Behördenverbindlichkeit, wie er in 
StGH 1985/1 geschaffen worden ist, zeichnet sich also dadurch aus, 
dass er sich auf eine Rechtsvorschrift bezieht, die — ihrer Nicht- 
Kundmachung wegen — weder Verbindlichkeit i.S.v. Art. 14 KmG 
noch Wirkungen für den Einzelnen i.S.v. Art. 15 KmG und trotzdem 
ein bestimmtes Mass an Massgeblichkeit besitzt. Die Eigenart dieser 
Massgeblichkeit hángt vom Einzelfall ab und ist nicht generell- 
abstrakter Natur, d.h. sie ist nicht rechtsetzend i.S.v. Art. 1 KmG bzw. 
— Art. 106 Abs. 1 LVG per analogiam — dazu geeignet, Rechtswirkun- 
gen zu erzeugen. Die Qualifikation Schurtis, wonach das ANAG auf- 
grund von StGH 1985/1 als ,ein verfassungswidriges Gesetz doch 
Gültigkeit hat^!!35, ist unzutreffend: Der Vollzug einer im Liechten- 
steinischen Landesgesetzblatt nicht kundgemachten Rechtsvorschrift 
„zu Lasten" eines Einzelnen ist „Willkür im Sinn der Rechtsprechung 
zum Gleichheitsgrundsatz gemáss Art. 31 Abs. 1 der Verfas- 
sung”1136, 
Die Wirksamkeitsform der Behôrdenverbindlichkeit gemäss 
StGH 1985/1 richtet sich einzig und allein an die Vollzugsorgane, 
d.h. an die Gerichte und Verwaltungsbehôrden. Sie ist nichts anderes 
als ein Notbehelf zur Überwindung von Umständen im landesrechtli- 
1133 Becker (Nachtrag) S. 59 oder Hoop S. 301f. Erwähnenswert ist, dass die Regierung aufgrund 
von Art. 88 Abs. 2 EGZV dazu „ermächtigt (ist), die Niederlassungs- und Aufenthaltsbestim- 
mungen in Abánderung der bestehenden gesetzlichen Bestimmungen neu zu regeln" (Kursiv- 
stellung durch den Verfasser). Nachdem der Staatsgerichtshof auf diese Bestimmung in StGH 
1985/1 nicht auch nur mit einer Silbe eingegangen ist, spricht nichts für die Annahme, dass 
Sich die Behórdenverbindlichkeit gemáss StGH 1985/1 auf Art. 88 Abs. 2 EGZV stützt und 
damit keinen vólkervertragsrechtlichen, sondem einen landesrechtlichen Geltungsgrund be- 
sitzt. 
1134 Becker (Nachtrag) S. 59. 
1135 Schurti (Verordnungsrecht) S. 290 (Fussnote 5). 
1136 StGH 1985/4, n. publ., Pkt. 2 der Entscheidungsgründe, S. 5 des Entscheidungstextes. 
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