Volltext: Beiträge zur liechtensteinischen Identität

sache, dass es in Liechtenstein bis heute keine wirkliche kritische Öffent - lichkeit gibt, keine auch nur im Ansatz freie Presse, keinen kritischen Journalismus, sondern nur parteigelenkte Hofberichtserstattung, hat hier einen Panzer geschaffen, der mir härter und undurchdringlicher vor kommt als anderswo. Freilich sehe ich das auch nicht einfach von aussen. Man reagiert ja nicht mit starken Affekten auf Dinge, die einen nichts angehen. Man ist nicht in diesem Lande aufgewachsen, ohne von diesen jahrhundertealten Ver drängungsmechanismen berührt zu sein. Das moralisierende Hände - rin gen ist keine Alternative zur Verdrängung, sondern steht in ihrem Dienst. Das Gerede von «Kollektivschuld» verhindert die kritische Kon - fron tation mit dem, was uns prägt und an dem wir entsprechend teilha- ben, und damit die Analyse im doppelten Sinne dieser Prägungen: dass sie zur Wahrnehmung gelangten und aufzulösen wären. Wenn ich von jahrhundertealten Prägungen spreche, so ist das auch eine kleine Kritik an dem sehr schönen Dialekt-Text von Stefan Sprenger in 
Land Sichten,in dem es bei aller Klarsichtigkeit, Vorsichtigkeit und Genauigkeit im Registrieren von jenen kleinen Details, auf die es an- kommt, doch untergründig eine merkwürdige Nostalgie und Verklärung der liechtensteinischen Vergangenheit gibt, als wäre, was jetzt passiert, das böse Neue, von dem unsere liechtensteinischen Vorfahren nicht träu- men konnten, und vor dem man nur noch schamhaft ihre Porträts gegen die Wand kehren kann. Gewiss Form und Dimension dessen, was sich auf dem liechtensteinischen Finanzmarkt abspielt, sind relativ neu. Aber in dem, was diesen Geschäften zugrunde liegt, gibt es auch Kontinui tä - ten von früheren Verhaltensformen her, wenn gar nicht so selten der oder jener Bauer nachts die Grenzpfähle zu seinen Gunsten versetzte (wobei allerdings damals in Triesenberg zum Beisipiel die Verdrängung noch nicht ganz so vollkommen klappte wie heute [es gibt auch Fort - schritt in der Verdrängung], indem nämlich um Mitternacht die verstor- benen Täter um die versetzten Grenzpfähle geisterten). Auch gab es ge- nug Schlitzohrige, die Böden auf Böden den weniger Gewitzten abliste- ten und Sonntags dann im Kirchenchor sangen. Und wenn es ums Erben ging, brach die dünne Oberfläche der Familiensentimentalitäten sehr schnell zur brutalen und gnadenlosen Wahrheit auf. Nicht dass das eine liech tensteinische Eigenart wäre. Ich lese gerade den Roman 
Les âmes fortesvon Jean Giono, der in den Hochalpen der Provence sich abspielt und dessen Atmosphäre, hochgeladen vom Ungesagten im ständigen 86Rainer Nägele
	        

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