Volltext: Beiträge zur liechtensteinischen Identität

Balzner redeten anders (ich wechsle in die Vergangenheitsform, weil ich nicht sicher bin, wie weit die Differenzen noch hörbar sind); sehr anders die Triesenberger mit ihrem Walserdialekt, der mir als Kind fast zur zweiten Sprache wurde, und der mir noch jetzt leicht über die Lippen geht. Und dann die Unterländer – das war, wie meine Mutter manchmal sagte, schon «eine andere Welt». Da war trotz Staatsgrenze Sargans, das zwar einen sehr andern Sprachton hatte, aber dafür in direkter Postauto - ver bindung zu erreichen war, viel näher und vertrauter. Es war sozusa- gen der entlegenste noch «dazu» gehörige Punkt einer heimischen Re - gion, der dann später zum immer wiederholten Ort der Ankunft und des Abschieds wurde. Aber mehr noch als die kleinern und grössern örtlichen Differenzen im Dialekt und Tonfall der Sprache, wirkten andere Verhältnisse ein, die zutiefst das Sprechen und das Verhalten zur Sprache prägten. Deshalb musste ich vorher, als ich von Prägungen «jenseits» von Klassen- und Geschlechtsdifferenzen zu schreiben anfing, mich sogleich korrigieren. Denn zumindest damals waren Buben und Mädchen schon von früh auf deutlich anders in der Sprache da und verhielten sich anders im Spre - chen, nicht nur im Vokabular, sondern auch im Tonfall. Und dazu kamen dann eben die Klassenverhältnisse, die in meinem Fall in der Volksschule so ziemlich für alle ähnlich waren. Es gab da kaum grossbürgerliche Kinder aus «besseren» Familien, wie man sagte. Höher als zum Klein - bür ger lichen gings kaum. Das aber prägte für lange Zeit meine Sicht des Dialekts und seiner Möglichkeiten. Wie sehr, das zeichnete sich in jenen ersten Jahren im Übergang von der Volksschule zum Gymnasium ab, als in der intensiven Begegnung mit Dichtung und Literatur zunächst in der sogenannten Schriftsprache eine Welt des Ausdrucks dem staunend Lesenden sich eröffnete, die ihm in der Welt des Dialekts unmöglich erschien. Und es war keineswegs nur das so genannte Intellektuelle, das ihm im Dialekt verschlossen schien, sondern ebenso, ja mehr noch die Ausdruckswelt des Gefühls, die so reich in immer neuen Wendungen ihm in den Gedichten mehr als Klang und Ton, indem er unermüdlich sie sich vorlas, sich auftat, und wo ihm die Schriftsprache zur Mundsprache wurde. Es ist nicht übertrieben zu sagen, dass im Ton und Rhythmus dieser andern Sprache, die nicht sei- ne Muttersprache war, auch seine «Identität» durch den andern Zug die- ser Prägung sich nachhaltig veränderte. Er wurde gewissermassen mün- dig in 
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Nichtidentisches: Aus distanzierter Nähe
	        

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