Volltext: Beiträge zur liechtensteinischen Identität

Jede Identität, die auf ein festes, stabiles WIR baut, muss vieles un- terdrücken und vergessen. DIE Identität in Frage zu stellen, heisst nicht, in den gegenteiligen Wahn zu verfallen, man gehe als tabula rasa durchs Leben. Statt von Identität spreche ich lieber von Prägungen, von denen es viele gibt, manche höchst widersprüchlich und in Konflikt miteinder. Eben diese möchte man mit der einen Identität auslöschen, zumindest vergessen. Anlässlich eines Fürstenbesuchs in Triesen sollte ich im Na - men der jüngsten Schüler ein Gedicht aufsagen. Es begann: «Ein Triesner Bube bin ich ja ...» Damit stellte der kleine Schüler sich und seine Mit - schüler gleich in doppelter Identität vor, nicht als Liechtensteiner, trotz des hochoffiziellen Staatsbesuchs, sondern als Triesner und als Bube. Dorf und Geschlecht, zwei Prägungen, die zählten und Konsequenzen hatten.(Ich kann mich nicht erinnern, ob auch ein Triesner Mädchen ein Gedicht aufsagte.) Es gab andere Prägungen, die damals wie heute kaum genannt wurden, schon gar nicht offiziell. Klassenverhältnisse zum Bei - spiel, zu denen gehörte, dass dieser Zweitklässler auch ein Fabrigglerbub war. Das hat ihn mehr geprägt als die eher abstrakte Identität «Liechten - steiner». Wenn am Wangerberg abends mit schnellen Schritten der «Minister» seinem Haus zuschritt, sprach die Nana das Wort «Minister» in einem Ton aus, der deutlich machte, dass da einer vorbei ging, der einer andern Welt angehörte. Er kam ja auch direkt aus dem «grossen Haus», wie das Regierungsgebäude, bei den Wangerbergern wie bei den Triesnern hiess, nach Hause. Und das verwandelte in den Augen des klei nen Jungen auch sein Haus am Wangerberg, obwohl wenig verschie- den von den andern dort, in etwas geheimnisvoll Anderes, das man kaum zu betreten wagte. Es war eben, wie man am Wangerberg sagte, «s’Minis ters» Haus. So kam es denn wohl auch, dass der eine Wan ger - berger, zu dem eine wirkliche Affinität sich hätte herstellen können, der kaum zwei Jahre ältere Sohn des «Ministers», der später auch Literatur - wis senschaft studierte, mir fremd und unbekannt blieb. Als wir uns dann endlich viel später zum erstenmal in der Landesbibliothek trafen und sprachen, war er schon von der Krankheit gezeichnet, die ihn dann schnell hinwegraffte. Aber auch solche Verhältnisse konnten von andern «Identitäten» durchkreuzt werden. Dazu gehörte etwa die Tatsache, dass ich auch am Wangerberg ein «Bub» war und als vier- oder fünfjähriger in die beiden Töchter des Ministers verliebt war und trotz Ministerscheu eines Tages die jüngste nach Triesen zu entführen versuchte. Wir gelangten auch ziem lich 81 
Nichtidentisches: Aus distanzierter Nähe
	        

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