Volltext: Beiträge zur liechtensteinischen Identität

Ein Kollektiv – d.h. das, was in Liechtenstein mit «ma» umschrie- ben wird – hat sich dazwischen zu positionieren. Tendiert es zum Ge - heimnis, bevorzugt es orthodoxe Werte, nimmt eine Schutzhaltung ein und verändert sich nur langsam. Befindet es sich näher am Geschichten - pol, pflegt das Kollektiv eine dauernde Bestandsaufnahme von Situation und Befindlichkeit. Nach Massgabe der Umstände werden Entschei - dung en getroffen und man bleibt wandlungs- und reaktionsfähig. Wel - ches Modell in der Wirtschaft funktioniert, muss nicht gesagt werden. Liechtenstein hat sich im zwanzigsten Jahrhundert über fast die ge- samte Skala vom Geschichtenpol zum Geheimnisende verschoben. In den zwanziger Jahren hat sich die Gesellschaft als Staat mit Verfassung, Zollvertrag und Gesellschaftsrecht neu erfunden und hält sich dort eindeutig am Geschichtenpol auf. Durch die Zeitumstände sucht das Kollektiv in den späteren dreissiger und dann vierziger Jahren nach einer geschützteren Position und baut die jetzt noch starke Identi - täts funktion Monarchie auf. In den fünfziger und sechziger Jahren sind Bewegungen in beide Richtungen auszumachen. Auf der einen Seite wirt schaftlicher Aufschwung und stark expandierender dritter Sektor, den man als Quelle garantierten und wachsenden Einkommens erkennt und schützt. Auf der anderen Seite die Vision einer durchlässigen, de- mokratie-hellen Gesellschaft, die besonders während der Regierung Batliner in den sechziger Jahren zum Tragen kommt. Spätestens ab Mitte der siebziger Jahre verwandelt der enorme Erfolg des Gesellschafts we - sens die veränderungswillige Gesellschaft in eine zumindest verände- rungsuninteressierte Gesellschaft. So kommt es, dass über Jahrzehnte und nur dank der Fülle der Mit - tel ein ausserordentlich seltsames und steriles Gebilde entsteht, in dem die verschiedensten Modelle auf kleinstem Raum und ohne sich zu kon- frontieren koexistieren: innovative Wirtschaft neben mächtiger Monar - chie, fortschrittliches Dekanat neben komplett statischen Parteien. Das läuft in einem fast ahistorischen Prozess parallel, die Funktionen und Art der Beziehungen unter den Teilwelten sind geregelt. Die Monarchie dient dem Volk zur Identität und als Attraktivitätsfaktor für ausländi- sche Gelder. Der Finanzplatz dient dem Fürstenhaus zur Sanierung des Fa milienvermögens, und der Staat Liechtenstein zur Wahrung der Inter - es sen des Hauses Liechtenstein. Die verschiedenen Stränge überkreuzen sich erst zu Beginn der neunziger Jahre und erzeugen eine fundamen tale Verunsicherung und eigentliche Paralyse: «Ma» ist reaktionsunfähig ge- 154Stefan Sprenger
	        

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