Volltext: Beiträge zur liechtensteinischen Identität

zählt. Erzählen ist etwas Geschehenes mit einer Geschichte ganz wie- derzugeben. Geschichten sind eine Programmiersprache der Psyche, der Schicht, die Energien bereitstellt und ausrichtet. Die Psyche drückt sich in Ge - schich ten aus und wird durch Geschichten angesprochen. Ob man einem Kind eine Gutenacht-Geschichte erzählt, im Theater ein Stück ver folgt oder nachts träumt – es ist das immer gleiche Prinzip in Arbeit. Im Erzählen wird das Geschehene überblickt, mit der Psyche in ein Ver hältnis gebracht und diese so in die Lage versetzt, sich diesem Ge - sche hen gegenüber entscheiden zu können. Geschichten sind Ent schei - dungs hilfen. Der greifbarste Liechtensteiner Geschichtenkörper sind die Sagen.2 Was sind Sagen? Sie sind Gebrauchsanweisungen für eine Lebens - land schaft. Das kann topologisch-geologisch sein: Beispielsweise wird das Wissen um ein instabiles Gelände mit einer Sage am Ort und im Ge - dächt nis verankert. So befindet sich laut einer Triesenberger Sage in der «Bleika», einer Flur nordöstlich des Gemeindezentrums Jonaboden, ein Drache. Sobald kein Stein der Kapellen in der Litze und von St. Wolf - gang unten am Hangfuss mehr auf dem anderen stehe, werde der Drache ausbrechen und die ganze Bleika als Erdrutsch zu Tale fahren. Tatsäch - lich sei die Bleika ein Gelände, das zu Abrutschungen neige.3 Oft leiten die Sagen den Menschen in der Landschaft an und be- kommen den Charakter von psychologischen Wissensdispositiven. Als Bei spiel sei die Sage vom Sücka-Keres angeführt: «Die Alpe Sücca am Kulm hat früher einmal dem Fürsten gehört. Auf dieser Alpe hat es einen Sennen gehabt, der hat Keres geheissen. Als dieser Senn wurde, hat er schwören müssen, dass er treu und redlich die- nen wolle. Er hat es aber nicht getan und hat seinen Herrn betrogen. Er hat ihm Käse und Butter heimlich fortgetragen und in Triesen verkauft.»4 Zur Strafe muss der Keres geisten. Auf der Alp wird man nicht vom Dorfverband kontrolliert. Keres ver wandelt sich in dieser plötzlich drucklosen Situation in einen Eid - 150Stefan 
Sprenger 2Erstmals zum Teil 1858 in Vonbuns «Sagen Vorarlbergs» schriftlich fixiert, erscheint das erste liechtensteinische Sagenbuch, H.F.Walsers «Sagenumwobene Heimat» erst 1948. Mitte der fünfziger Jahre beginnt Otto Seger in Liechtenstein Sagen zu sam- meln und veröffentlicht sie 1966 im Buch «Sagen aus Liechtenstein». 3Seger, S. 7. 4Seger, S. 21f.
	        

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