Volltext: Beiträge zur liechtensteinischen Identität

Erikson, der die Moderne zur Identitätssuche anstiftete, stellte die Frage: «Ist das Identitätsgefühl bewusst?» Seine Antwort lautete: «Man ist sich seiner Identität am bewusstesten, wenn man sie eben erst zu ge- winnen im Begriff steht und gewissermassen überrascht seine eigene Be - kannt schaft macht» (147). Zumindest für das Individuum erfordert die Identität einen gewissen Effort: Leicht lässt sie sich nicht gewinnen. Nicht umsonst sahen bereits die alten Griechen die nobelste Aufgabe darin, sich selbst zu erkennen. Wer durch Selbsterkenntnis seine Identität erlangt, hat sie nicht auf sicher. Mit der Identität (Selbstbewusstsein) ist im modernen Leben un- weigerlich die kulturelle Forderung nach Selbstverwirklichung verbun- den. Wer jemand ist (also Identität hat), hat sich selbst zu verwirklichen. Das verlangt die heutige Zeit, unsere Kultur. Wer eine Identität hat, muss sich auch selbst treu bleiben, das ist er seinem Selbstwertgefühl schuldig. Selbstwertgefühl und Selbstachtung sind nicht selten gegen das zu schützen, was man Reputation oder Ruf oder heute am geläufigsten Image nennt. Was zusätzlich Wachsamkeit erfordert, ist die Gefahr des Selbstbetrugs. Im Namen eines guten Image wird die Identität allzu leicht kompromittiert: «Wer hat nicht für seinen guten Ruf schon einmal – sich selbst geopfert.» (Nietzsche). Im Deutschen hat Selbstbewusstsein bekanntlich eine erweiterte Bedeutung, die in Richtung Selbstvertrauen und Selbstüberschätzung geht: Interessanterweise verfügt ein Mensch, jemand, von dem andere sa- gen, er habe ein «gesundes Selbstbewusstsein», in den Augen dieser an- dern nicht etwa eine klare Selbsteinschätzung, sondern viel mehr eine et- was überhöhte Ansicht von sich selbst. Ist es ein Zufall, dass in einer Zeit, in der Identität in aller Munde ist, die Worte Selbstverwirklichung und Selbstbestimmung häufiger zu hören sind als Selbstlosigkeit? Vielleicht weil Selbstlosigkeit falsch ver- standen wird: als absoluter Mangel an Selbst? Das ist Selbstlosigkeit aber paradoxerweise nicht. Im Gegenteil: Sie erfordert vermutlich ein starkes Selbst, eine ausgeprägte Identität. Identität hat einen ausgeprägten Wahrheitsanspruch. Dies gilt für die Identität rein persönlicher Natur und noch ausgeprägter für die Iden ti tät als nationales oder kulturelles Phänomen. Und je stärker das Iden titätsgefühl umso totalitärer der Anspruch. Das wird z.B. deutlich, wenn sich ein Mitglied einer Gruppe, also jemand, der eine bestimmte Identität mit andern teilt, sich in den Augen anderer Mitglieder nicht 138Pio Schurti
	        

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