Volltext: Verfassungsgerichtsbarkeit im Fürstentum Liechtenstein

und Schrift stel ler, welche sich anschicken, die Funk tions weise des Rechts systems als solche zu untersuchen, oder Studenten zu Beginn des Rechtsstudiums. Sie alle entdecken, dass «Gerechtigkeit» nicht zum all- täglichen begrifflichen Instru men tarium des Juristen gehört; nur margi- nal ist in Kom men taren, Gerichtsurteilen oder Lehr büchern von Ge - rech tig keit die Rede. Rechtspraktiker werden auf die Frage, weshalb sie kaum von Gerechtigkeit sprächen, vielleicht im Sinne jenes Zürcher Oberrichters antworten, der – als Jurist und leidenschaftlicher Alpinist – mir zu Beginn meines Studiums gesprächsweise erklärte: «So wie es für den Bergsteiger nutzlos ist, sich über die Gravitations kraft den Kopf zu zerbrechen, die sein Tun beherrscht, und er sich fragt: Wie ist die Wand beschaffen, die ich bezwingen möchte – Granit oder Schiefer? Was ist der Schwierigkeitsgrad: fünf oder sechs? Wie ist die Gefahr einzuschät- zen, dass sich an der Halde ein Schneebrett löst? So fragt sich der Jurist nicht von von Tag zu Tag und von Fall zu Fall, was für eine innere Kraft die Rechtsordnung zusammenhalte und ihr Gestalt gebe, obwohl er sich natürlich bewusst ist, dass es diese Kraft gibt.» Die Frage nach der Gerechtigkeit also ist – wenn auch auf der Oberfläche kaum sichtbar – auch für die juristische Praxis zentral.5Die liechtensteinischen Richter werden bei ihrem Amtsantritt feierlich daran erinnert, wenn sie schwören und geloben, «in allem, was vom Gerichte zu beurteilen ist, nach Recht und Gerechtigkeit, best Ihres Wissens und Gewissens ein allen gleich unparteilicher Richter zu sein».6 Wiewohl es in einem Land wie Liechtenstein keinen «Palais de Justice» gibt und die Richter auch nicht «Justices» genannt werden, steht die Idee der Gerechtigkeit im Hintergrund jeder Rechts- und Richter - 89 
Recht, Gericht, Gerechtigkeit 5Zum Ganzen Reinhold Zippelius, Recht und Gerechtigkeit in der offenen Gesellschaft, 2. Aufl., Berlin 1996; Bernd Rüthers, Das Ungerechte an der Gerechtigkeit – Defizite eines Begriffs, 2. Aufl., Zürich 1993. 6Die ganze Eidesformel lautet: «Sie schwören und geloben vor Gott dem Allmächtigen: Genaue Beobachtung der Verfassung, Gehorsam den Gesetzen; Verschwiegenheit in allen an Sie gelangenden Amtssachen; allen erhaltenen Einberufungen zu Gerichts ver - hand lungen und in der Amtspflicht liegenden Auf trä gen mit Vorbehalt statthafter Aus - schliessungs-, Ablehnungs- oder Verhin de rungs gründe jederzeit pünktlich Folge zu leis ten; in allem, was vom Gerichte zu beurteilen ist, nach Recht und Gerechtigkeit, best Ihres Wissens und Gewissens ein allen gleich unparteilicher Richter zu sein, ohne An - sehen der Person, dem Reichen wie dem Ar men, und dabei nicht ansehen Miet, Gab, Gunst, Furcht, Freundschaft noch Feind schaft, denn allein gerechtes Gericht und Recht, inmassen Sie das gegen Gott, den All mäch tigen, am Jüngsten Tage verantworten können.» «Ich schwöre, so wahr mir Gott helfe!»
	        

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