Bestehende Wahltheorien 3.1.5 Wertewandel und Niederschlag in der Wahltheorie Die klassischen Wahltheorien sind in den 40er und 50er Jahren entstan den. Seitdem ist nicht nur in unzähligen Studien versucht worden, die Erklärungskraft der Theorien empirisch zu erhärten, sondern parallel dazu hat sich auch der Untersuchungsgegenstand verändert, d.h. die soziologische Zusammensetzung und Einstellungen des Elektorats, das Wahlverhalten und die Wahlmotive und nicht zuletzt in manchen Län dern auch die Parteienlandschaft und die institutionellen Rahmenbedin gungen, wenn nicht sogar die territorialen Grenzen und damit das Staatsvolk. Ein wesentlicher Aspekt der Veränderungen ist die Tertiäri- sierung der Gesellschaft, in deren Gefolge eine fundamentale Umwäl zung von Wertordnungen stattgefunden hat oder immer noch stattfin det. Wir werden kurz betrachten, wie die Wahlforschung auf diese Ver änderungen reagiert hat. Entstrukturierung oder Neustrukturierung Explizit oder implizit kommt in allen Wahltheorien der Parteineigung eine grosse Bedeutung zu. Man kann die Parteineigung unterschiedlich definieren, messen und interpretieren. Man kann die Einflussfaktoren der Parteineigung als abhängige Variable unterschiedlich modellieren und gewichten und man kann Richtung und Einfluss der Parteineigung als unabhängiger Variable und deren Bedeutung für den Wahlentscheid unterschiedlich einschätzen, aber man wird in Modellen zum Wahl verhalten nicht an der Berücksichtigung dieser Variable vorbeikommen. Seit den 80er Jahren wird jedoch in den westlichen Demokratien eine Abschwächung von Parteineigungen festgestellt, in deren Gefolge die Frage aufgeworfen wurde, ob es sich dabei um eine Phase des definitiven Rückgangs (Dealignement bzw. Entstrukturierung) oder eine Phase der Neuorientierung (Realignement bzw. Restrukturierung) handelt.352 Der Einzug der Grünen in den deutschen Bundestag im Jahr 1983 stellt in die ser Hinsicht einen Einschnitt dar. Soziostrukturelle Grundlage des Zer falls der vormaligen Bindungen soll die Tertiärisierung der Wirtschaft mit 352 Vor allem Dalton/Flanagan/Beck (1984), Dalton/Rohrschneider (1990), fnglehart (1977; 1989; 1990) und Crewe/Denver (1985) haben sich damit auseinandergesetzt. 151