stiess in Graubünden nicht auf Gegenliebe. Die «Churer Zeitung» lehnte das
Ansinnen aus Solothurn besonders vehement ab. In einem langen Artikel mit
dem Titel «Das Veltlin konveniert der Schweiz nicht» wurde unter anderem
argumentiert, dass «ein der Freiheit nicht gewohntes, für dieselbe noch
unreifes, grösstentheils unbemitteltes, ungebildetes, leicht erregbares Volk»,
auf das man sich nicht verlassen könne, eine «Quelle endloser Verlegen-
heiten» werden könnte. Auch die Bündner Konservativen hatten 1848 den
Traum einer Rückgewinnung des Veltlins begraben, beklagten aber wei-
terhin die angebliche politische Unzuverlässigkeit ihrer ehemaligen Unter-
tanen.?” Die Angelegenheit wurde anscheinend auf eidgenössischer Ebene
nicht weiter verfolgt.
Ich möchte diese summarischen Angaben mit einem Zitat schliessen, das die
Atmosphäre in der Asylfrage illustrieren soll. Am 30. September schreibt die
«Churer Zeitung» unter dem Titel «Die fremden Flüchtlinge und das Asyl-
recht»: «Es ist etwas Schönes um das Asylrecht., [...] Das Schöne, Erhabene,
Edle hat [...] aber auch den Charakter des Heiligen, Unverletzbaren. Wer
also das Asylrecht missbraucht, zeigt sich des Schutzes, den ihm dieses
Heiligthum gewährt, nicht werth, und wer [...] dem Missbrauche gleich-
gültig zusieht, begeht nicht weniger eine Sünde an der Nation. [...] Leider
stossen wir heute in der Schweiz auf beide Sünden, auf den schnöden
Missbrauch des Asylrechts und die Gleichgültigkeit gegenüber diesem Miss-
brauche. [...] Wir haben Flüchtlinge aller Nationen, die sich nicht scheuen,
den friedlichen Herd, zu dem man sie aufgenommen, zum Herde des Ver-
raths und Brudermordes umzuwandeln, und wir haben Behörden, die diesem
Treiben nicht Einhalt thun wollen.»2?
Wie die Mehrheit der Bündner Bevölkerung gedacht hat, bleibt vorderhand
im dunkeln. Die pauschale Kritik von konservativer Seite an einer in ihren
Augen allzu liberalen Asylpraxis kommt uns aber auch heute vertraut vor.
Schlussbemerkung
Das Jahr 1848 war für Graubünden kein revolutionärer Einschnitt. Versuche,
tiefgreifende Reformen der kantonalen Verfassung — in Anpassung an die
neue Bundesverfassung — rasch zu verwirklichen, scheiterten in den Ab-
stimmungen der Gerichtsgemeinden bis zur neuen Gebietseinteilung von