einer Haltung, der das ganze freisinnige Europa seine volle Anerkennung
zollt.»?
Weiter spricht der Verfasser von dieser schönen «Frühlingszeit schweize-
rischen Selbstbewusstseins», der bedeutungsvollen Erfahrung der Eintracht
in einer kräftigen Nationalität. Danach folgt ein Detailprogramm zur na-
tionalen und kantonalen Erneuerung, das der «Liberale Alpenbote» propagie-
ren wollte: zum Beispiel die Zentralisation des Zoll-, Münz-, Strassen- und
Militärwesens, aber ohne «Schmälerung der Kantonalsouveränität», der Kampf
gegen «religiöse Heuchelei», womit vor allem als Sündenbock die Jesuiten
gemeint waren, und im Kanton gelte es, den «Kantönli-, Hochgerichts-,
Gerichts- und Gemeindli-Geist» zu bekämpfen. Das war ein Teil der Wunsch-
liste für die kommende Verfassungsdiskussion des Jahres 1848. Von grösseren
Sorgen ist nicht die Rede. Eine Intervention der europäischen Mächte fürch-
tete die Bündner Presse kaum. Nach den Wirren der 40er Jahre — eine
Zerreissprobe für den konfessionell paritätischen Kanton Graubünden — wirkte
der Ausgang des Sonderbundskriegs wie eine befreiende Entscheidung. So
blickte die liberale Presse zu Beginn des Jahres frohgemut vorwärts und
freute sich noch über den Applaus der europäischen Liberalen.
Aber selbst die Verlierer, die konservativen Katholiken, scheinen trotz allem
erleichtert über die Klärung der Verhältnisse gewesen zu sein. Militärisch
gehörte man nicht zu den Besiegten, denn am Krieg hatten die Bündner Ka-
tholiken nicht teilgenommen und in bezug auf die kantonalen Strukturen
konnte man immer noch hoffen, möglichst viel Gemeindeautonomie und
«Kantonalsouveränität» in den neuen Staat hinüberzuretten, dies forderten
selbst die liberalen Redaktoren des «Alpenboten».
Noch besser verständlich wird der Optimismus von Anfang 1848 vor dem
Hintergrund der Schwierigkeiten, die Graubünden zu Beginn des Jahrhun-
derts bis zum Wiener Kongress mit der neuen Rolle als Kanton der Schweiz
hatte. Zumindest eine grosse Minderheit in der Bevölkerung lehnte die
Zugehörigkeit zur Schweiz in dieser Phase eher ab. Noch 1814 hatten öster-
reichfreundliche Konservative im Zeichen der Restauration in Chur einen
Putsch inszeniert, dessen Ziel die Wiederherstellung des Freistaats und die
Loslösung von der Schweiz war. Zwischen 1815 und 1848 bildete sich
aber in Graubünden in einem eigentlichen Integrationsprozess ein schwei-
zerisches Nationalbewusstsein heraus, es war die Phase der «Nationsbil-
dung» für diesen Randkanton. Dieser Mentalitätswandel war die sichtbarste
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